Rechnungsprüfer KPMG geht auf Distanz

Bilanzskandal bei L&H zwingt auch Gründer Hauspie zur Aufgabe

01.12.2000
MÜNCHEN (CW) - Die Vorstandsreihen beim Spezialisten für Spracherkennungssoftware Lernout & Hauspie (L&H) lichten sich. Da sich der Vorwurf der Bilanzmanipulation verdichtet, mussten nun auch Mitgründer Pol Hauspie, Gaston Bastiaens, früherer Chief Executive Officer (CEO), und Vice Chairman Nico Willaert ihre Aufsichsratsposten räumen. Zugleich kommen neue Mauscheleien ans Licht.

Der Abgang von Hauspie, Bastiaens und Willaerts ist ein weiteres tristes Kapitel in dem seit Wochen andauernden Finanzskandal um den belgischen Hersteller von Spracherkennungssoftware. Dieser muss nach und nach Vorwürfe bestätigen, er habe seine Bilanzen durch vorgetäuschte Umsätze in Südkorea nach oben manipuliert. Zudem untersuchen die mittlerweile eingeschalteten Börsenaufsichten in den USA und Europa, ob L&H tatsächlich, wie behauptet, im letzten Jahr 25 Prozent und 1998 zehn Prozent seiner Umsätze durch Lizenzverkäufe an 30 in Belgien und Singapur registrierte Startup-Unternehmen erwirtschaftet hat (siehe CW 46/00, Seite 4). Kürzlich hatte das Softwarehaus zugegeben, dass die Zahlen für 1998, 1999 sowie das erste Halbjahr 2000 revidiert werden müssen, da bei der laufenden Wirtschaftsprüfung "gewisse Fehler und Unregelmäßigkeiten" festgestellt wurden. Da L&H dadurch seiner Veröffentlichungspflicht für das laufende Quartal nicht nachkommen konnte, ist der Aktienkurs seit Mitte November ausgesetzt.

Zugleich erhielten Vermutungen neue Nahrung, dass die Bilanzierungsfehler auch auf das Konto der belgischen KPMG-Tochter gehen könnten. Diese will sich den Vorwurf jedoch nicht länger gefallen lassen und brach dieser Tage endlich ihr Schweigen: In einem Schreiben an die Börsenaufsichten erklärte sie die Berichte der letzten zweieinhalb Jahren offiziell für ungültig. Parallel dazu gestand der Aufsichtsrat von L&H, dass er bei seinen eigenen Untersuchungen "gewisse Tatsachen" entdeckt habe, die möglicherweise vor den Wirtschaftsprüfern "versteckt worden" seien. Die örtliche belgische Staatsanwaltschaft gab daraufhin bekannt, nun offiziell wegen des Verdachts der Bilanzmanipulation zu ermitteln.

In dieser Situation kommt nun für die drei genannten Topmanager das endgültige Aus. Insbesondere L&H-Mitbegründer Pol Hauspie hatte offenbar bis zuletzt gekämpft. Zwar hatte er kürzlich "aus gesundheitlichen Gründen" seinen Rückzug angekündigt, tatsächlich aber als Aufsichtsratsmitglied zusammen mit seinem Partner Jo Lernout, dem seinerseits nur noch der Posten eines Vice Chairman geblieben ist, hinter den Kulissen weitergemacht. So sind die beiden laut "Wall Street Journal" derzeit dabei, Geld flüssig zu machen, indem sie die von ihnen gegründete Non-Profit-Stiftung "Sail Trust" zur Förderung von Sprachtechnologie auflösen. Diese war durch Aktienverkäufe mit rund 100 Millionen Dollar ausgestattet worden und hat derzeit 40 Mitarbeiter.

Für umtriebig halten manche Beobachter auch Gaston Bastiaens. Der Manager war zuvor Chief Executive Officer beim Anbieter von Internet- und Deinstallationssoftware Quaterdeck gewesen, bevor dieser 1998 von Symantec gekauft wurde. Manche der damaligen Mitarbeiter geben ihm bis heute die Schuld am Ausverkauf des Softwarehauses. "Er hat das Unternehmen zunächst mit diversen Firmenzukäufen hochgepusht und dann mit falschen Bilanzen in den Boden gewirtschaftet. Als die Aktie von Quarterdeck nur noch wenige Cents wert war, übernahm er L&H. Hier lief alles nach demselben Schema. Viele Pressemitteilungen und Firmenaufkäufe und schließlich falsche Bilanzen", so ein früherer Quaterdeck-Mitarbeiter gegenüber der CW.

Tatsächlich untersucht die US-Börsenaufsicht im Rahmen der allgemeinen Ermittlungen gegen L&H unter anderem, inwieweit eine Reihe hochrangiger Manager zur desolaten Finanzsituation beigetragen haben, darunter auch Bastiaens. Dieser hatte früher im Jahr, begleitet von großem Marketing-Rummel, zunächst angeblich 625000 Anteile von Jo Lernout gekauft. Berichten der belgischen Tageszeitung "De Standaard" zufolge, verkaufte er diese jedoch bereits im Oktober mit erheblichem Gewinn an eine nicht genannte Bank. Diese Aktivitäten lassen laut der Zeitung den Schluss zu, dass Bastiaens schon vor Bekanntwerden der Bilanzmanipulationen im November informiert war.

Millionen in Südkorea verschwundenIn Südkorea ist währenddessen der dortige L&H-President und General Manager Joo Chul Seo mit sofortiger Wirkung vom Aufsichtsrat entlassen worden. Neben dem Vorwurf der Bilanzmanipulation steht Seo im Verdacht, rund 30 Millionen Dollar an Risikokapital anderweitig verwendet zu haben. Das Geld war laut Angabe der Riskiokapitalgesellschaft Flanders Language Valley Fund, an der auch Lernout und Hauspie beteiligt sind, als Investitionshilfe für Startup-Unternehmen im Bereich Sprachtechnologie gedacht gewesen, aber nie bei den Empfängern angekommen.