Big Brother im Heimbüro

17.02.2009
Programmieren und vom Auftraggeber überwacht werden - in den USA ist dieses Szenario für Freiberufler schon Realität. In Deutschland ist die Rechtslage schwieriger.

Sohaib Muneer ist begeistert: Gerade mal einen Tag ist es her, dass der pakistanische Programmierer seine Dienste im Internet angeboten hat, und schon klopft der erste Interessent an. Es ist ein Amerikaner, der für 2000 Dollar im Monat einen Cake-PHP-Experten sucht. Muneer willigt ein - vor allem, weil über eine Plattform namens oDesk zusammengearbeitet werden soll. Und die garantiert, dass der Programmierer auch wirklich sein Geld bekommt.

Doch schon nach einigen Tagen legt sich Muneers Freude. oDesk macht Probleme: Obwohl der IT-Profi für neun Arbeitsstunden ins System eingebucht war, zeigt die Software nur sechs bis sieben Stunden Arbeitszeit an. Den Grund findet Muneer schnell: oDesk überwacht, wie häufig der Freelancer eine Taste drückt! Tippt er nicht regelmäßig, geht das System davon aus, dass er auch nicht arbeitet. "In diesem Moment habe ich schlagartig das Interesse an oDesk verloren", schreibt Muneer in seinem Blog.

Dabei hätte es für den Pakistani noch weitaus schlimmer kommen können. Denn oDesk bietet den Auftraggebern noch viel weitreichendere Überwachungsmöglichkeiten: Auf Wunsch hätte sich das beauftragende US-Unternehmen auch im Zehn-Minuten-Takt einen Screenshot vom Bildschirm des Programmierers anzeigen lassen - und im Extremfall sogar Livebilder von dessen Webcam abrufen lassen können. All diese Informationen wandern in das so genannte Work Diary des Selbständigen, sobald er bei oDesk eingeloggt ist.

"Du kannst nicht Blackjack spielen, du kannst nicht YouTube schauen. Warum? Weil ich dich sehe", so wirbt Gary Swart, Chef von oDesk, für sein Unternehmen. Er hält die Überwachung für gerechtfertigt, schließlich würden die Heimarbeiter ja stundenweise von ihren Kunden bezahlt. 90 000 Freelancer weltweit scheinen die Überwachungsmaßnahmen nicht zu stören: Sie nutzen die Plattform regelmäßig, um Aufträge zu akquirieren. Die Aussicht auf Kontakt zu den 10 000 registrierten Kunden zerstreut ihre Bedenken. Theoretisch können auch deutsche Freelancer sich bei oDesk registrieren. Heißt das, Big Brother zieht demnächst auch in deutsche Heimbüros ein? Oder anders gefragt: Geht es mit der Freiheit des Freiberuflers zu Ende?

Verdi sieht das Ganze gelassen

Bei der Gewerkschaft Verdi sieht man die Umtriebe der Amerikaner gelassen. "Bei uns ist der Markt anders. Freie haben eine gute Verhandlungsposition", erklärt Gunter Haake, Geschäftsführer der Selbständigenberatung Mediafon in Berlin. "Im hochqualifizierten Bereich wird sich so etwas niemand bieten lassen", ist der Gewerkschaftler überzeugt.

Diskutiert wird das Modell von oDesk aber durchaus in der deutschen IT-Szene. Dabei nehmen die Profis vor allem daran Anstoß, wie das Überwachungssystem die Produktivität misst - nämlich über die reine Anwesenheit am Rechner. "Das funktioniert nicht bei der Art, wie ich Projekte bediene. Die schließt nämlich teilweise Stunden ein, in denen kein einziger Tastenschlag getan wird", schreibt ein Programmierer im Forum von Gulp, einem Portal für IT-Freelancer. Ein anderer pflichtet bei: "Tippen macht nur 50 Prozent meiner Arbeit aus." Andere sehen in Plattformen wie oDesk gar eine Form der "elektronischen Sklaverei" heraufdämmern.

Wie misst man Nachdenken?

Auch Stephan Eichenlaub hält nichts von dieser Art der Leistungserfasssung. "Wie misst man Nachdenken? Wenn ich viel klicke, aber die Aufgabe nicht wirklich verstanden habe, was dann?", gibt der freiberufliche Diplominformatiker aus Mandelbachtal-Ommersheim zu bedenken. Außerdem sei die Arbeit mit komplexer Software trotz aller Anstrengungen nicht messbar oder vorhersagbar.

"Die Suche nach einem Fehler im Code etwa kann eine halbe Stunde dauern - oder manchmal auch eine Woche", so Eichenlaub, der zuletzt für ein Telekommunikationsunternehmen ein Data Warehouse entwickelt hat. Geht es also ganz ohne Überwachung? Der 45-Jährige zieht soziale Kontrolle dem Zählen von Tastaturklicks vor: "Die Kontrolle erfolgt dadurch, dass man über den Projektfortschritt im Gespräch bleibt."

Kontroll-Tools gibt es zur

Eine Alternative zu Stechuhrmethoden wie bei oDesk wären Festpreise, doch die sind bei Freelancern nicht sonderlich beliebt: 83 Prozent bevorzugen eine Entlohnung auf Stundenbasis, ergab eine Studie von Gulp. Nur zehn Prozent wünschen sich ein Fixum. Im Schnitt liegt das Stundenhonorar eines selbständigen Informatikers derzeit bei 71 Euro (Stand August 2008). Eine gezielte Kontrolle durch den Auftraggeber findet meist nicht statt, eher eine Art von Plausibilitätsprüfung: War die Anzahl der in Rechnung gestellten Stunden für den jeweiligen Auftrag realistisch?

Mit dem Fall oDesk kocht eine Diskussion hoch, die zwischen Betriebswirten und Informatikern schon fast Tradition hat: Die DV-Profis halten ihre Arbeit von jeher für eine Art von Kunst, die sich nicht per Stoppuhr messen lässt, die Manager sehen darin lediglich ein Handwerk. Versuche, die Produktivität von IT-Arbeitern objektiv zu messen, gab es schon viele. In den 1960er Jahren zählte man die Programmzeilen (Lines of Codes = LOC), mittlerweile beschäftigt sich eine ganze Disziplin namens Software Measurement mit der Frage: Woran erkennt man, dass vorm Bildschirm auch gearbeitet wird?

An Werkzeugen, um vermeintlichen Trödlern auf die Schliche zu kommen, mangelt es zumindest nicht. Spezialanbieter fahren ein ganzes Arsenal von Keyloggern und Web-Filtern auf, das Müßiggang aufdecken soll. Was oDesk den Softwareeinkäufern an Spionage-Tools präsentiert, ist im Vergleich dazu eher harmlos. Ob viel Kontrolle auch viel hilft, ist allerdings fraglich: Bei Versuchen in den USA wurde schon vor einigen Jahren nachgewiesen, dass überwachte Arbeitnehmer schlechtere Leistungen erbringen. Die Testpersonen versuchten nur noch, möglichst schnell zu arbeiten, und vernachlässigten die Qualität.

Rein rechtlich zumindest spricht nichts dagegen, Spionagewerkzeuge wie bei oDesk auch in Deutschland einzusetzen. "Solange der Freelancer explizit in die Überwachung einwilligt, wäre sie auch mit deutschem Recht konform", sagt Florian Schmitz, Datenschutzexperte in der internationalen Kanzlei Clifford Chance, Frankfurt am Main. Schließlich herrsche hierzulande Vertragsfreiheit.

Vorsicht vor Scheinselbständigkeit

Doch es gibt eine Grenze, und die diktiert das Arbeitsrecht: Rückt der Auftraggeber dem Freelancer zu nah auf die Pelle und behandelt ihn wie einen normalen Angestellten, gilt er als Scheinselbständiger. Und das heißt: Für ihn gelten die gleichen strengen Datenschutzregeln wie für die restliche Belegschaft - und Big-Brother-Technik einzusetzen wäre verboten.

Erfahrene Dienstleister halten deshalb bewusst Distanz zu ihren Auftraggebern. Sie benutzen nicht das betriebsinterne Zeiterfassungssystem, um sich ein- und auszustempeln, sind nicht an das interne Telefonsystem angeschlossen und verwenden keine E-Mail-Adresse, die den Eindruck erwecken könnte, dass sie zur regulären Belegschaft gehören.

Fazit: Wenn Big Brother dem Freiberufler über die Schulter guckt, dann ist das normalerweise kein Fall für die Arbeitsgerichte. Das Problem scheint eher finanzieller Natur zu sein: Denn bei aller Entrüstung über die neue E-Sklaverei sollte nicht vergessen werden, dass es sich die meisten deutschen Freiberufler schlichtweg leisten können, Discount-Plattformen wie oDesk eine Abfuhr zu erteilen: Ein Programmierer verdient hierzulande im Schnitt 50 bis 75 Euro pro Stunde. Bei oDesk liegen die Stundensätze zwischen 13 und 15 Dollar, können aber bis auf zwei Dollar sinken.

Angesichts dieser Zahlen überrascht es nicht, dass die Nutzer von oDesk vor allem außerhalb der USA sitzen. Indische und russische Programmierer nutzen gern die Gelegenheit, doppelt- oder dreifach so viel zu verdienen wie ihre Kollegen im Inland; dass sie bei der Arbeit beaufsichtigt werden, ist ihnen größtenteils egal.

Und was passiert, wenn - wie nach dem New-Economy-Crash - die Honorare für Freiberufler wieder in den freien Fall gehen? Schließlich boten sich um 2003 herum nicht wenige Programmierer, die heute 75 Euro oder mehr pro Stunde verlangen, für weniger als die Hälfte an. "Natürlich sind Notlagen denkbar, in denen man sich auf solche Bedingungen einlassen muss", gibt Programmierer Eichenlaub zu. Dass ihm indische Billigkonkurrenten über Plattformen wie oDesk Aufträge wegnehmen, glaubt der Freelancer jedoch nicht. Örtliche und kulturelle Nähe zum Kunden, strukturiertes und analytisches Arbeiten, schnelle Reaktionen und Mitdenken, das hilft, Fehler zu vermeiden - darin seien einheimische Informatiker ungeschlagen. (am)

Kontrolle am Arbeitsplatz: Was ist erlaubt?

Jedes vierte Unternehmen schaut seinen Mitarbeitern auf die Tastaturfinger, das ergab unlängst eine Studie des Beratungsunternehmens Steria Mummert Consulting. Demnach überprüfen die Firmen vor allem, ob die Angestellten am Arbeitsplatz private E-Mails verschicken. Aber ist das überhaupt erlaubt?

Für Angestellte gilt:

Wird es den Mitarbeitern ausdrücklich verboten, Privates am Büro-PC zu erledigen, ist eine Überwachung zulässig.

Selbst wenn es kein explizites Verbot gibt, kann der Angestellte abgemahnt werden, wenn er den Netzzugang "exzessiv" privat nutzt.

In jedem Fall dürfen E-Mail-Verkehr und Internet-Nutzung nur stichprobenartig überwacht werden. Das Gleiche gilt für Videoüberwachung am Arbeitsplatz und die Nutzung des Dienst-Handys. Auch hier ist eine Totalkontrolle generell unzulässig.

Wenn ein Missbrauchsverdacht vorliegt, muss der Betriebsrat einer Überwachung zustimmen.

Für Selbständige gilt:

Die Überwachung mit elektronischen Mitteln ist uneingeschränkt erlaubt, solange der Betroffene explizit zustimmt. In Ausnahmefällen ist die Kontrolle sogar ohne Einwilligung möglich.

Quelle: Steria Mummert Consulting, eigene Recherchen