Hersteller erfüllen seiten die gesetzlichen Kriterien für DV-Ausbildung:

Big-Blue Schüler sehen die Welt blauäugig

12.02.1982

Von Dieter Ballin*

Bereits das Wort "Herstellerausbildung" weckt falsche Erwartungen und entpuppt sich als Etikettenschwindel. Das, was die Hersteller an "Lehrgängen" und "Kursen" anbieten, auch wenn das in aufbauender Form möglich ist, erfüllt nicht die Kriterien und Maßstäbe, die man im üblichen und auch gesetzlichen Sinne an Ausbildung stellt. Da helfen nicht einmal Grundlagenlehrgänge. Die in die Datenverarbeitung "einführen".

Genau betrachtet liegen die Aufgaben und wohl auch die erklärten Absichten der Hersteller in der" Produktschulung", und nicht zu Unrecht arbeiten in diesem Sinne die Schulungszentren häufig mit den Vertriebsabteilungen zusammen. Entsprechend der Vertriebs- und Software/Hardwarephilosophie hat sich das Schulungsgeschäft mittlerweile in Profitcenterorganisationen mit einer von vom "Unbundling" getroffenen Produktpalette etabliert, und die letzten Freikontingente sind versiegt. Die rund 500 000 Teilnehmertage (pro Jahr) des Marktführers entsprechen rund 150 Millionen Mark Umsatzvolumen.

Daß die Herstellerschulen trotzdem in mehr oder minder ausgeprägter Form EDV-Ausbilder sind, kann man ihnen nicht verargen und entspringt wohl eher der Not als der Tugend. Tatsächlich bildet das öffentliche Bildungswesen nicht in genügender Anzahl Personen mit einem allgemeinen DV-Basiswissen aus, auf dem dann die produktspezifische Schulung des Herstellers aufsetzen könnte. Um seine Hard- und Software einsatzfähig zu machen, übernimmt der Hersteller also auch die Teachware. Zirka 75 Prozent der heute in der DV tätigen EDV-Organisatoren und Programmierer dürfte diesen Weg über die Hersteller gegangen sein. Die Frage, ob man sich in die damit verbundene Abhängigkeit begeben soll, liegt natürlich auf der Hand. Ist es überhaupt vom DV-Anwender - nachdem er heute doch oft ein erschreckendes Ausmaß an Herstellerabhängigkeit bei Hard- und Softwareprodukten feststellt - vertretbar, sein Know-how im wesentlich aus der gleichen Quelle zu beziehen, die ihn schon mit Hard- und Software-Inkompatibilitäten en masse verwirrt? Sind die Herstellerschulungen so aufgebaut, daß sich allgemeines DV-Wissen von Produkteigenschaften für den Anwender ersichtlich abgrenzen läßt und daß er auch etwas über Normen und Standardschnittstellen erfährt wenn sie in der Herstellerphilosophie und Produktpalette nicht vertreten sind? Ich persönlich habe da meine Zweifel und oft das Gefühl, daß mancher Big-Blue-Schüler die DV-Welt doch oft recht blauäugig sieht.

Die Qualität der Vermittlung scheint, wenn man zahlreiche Anwenderkommentare zusammenfassend betrachtet, doch recht unterschiedlich zu sein. Vom "Spitzenkurs" bis zur "katastrophalen Abwicklung" hinsichtlich Lehrer, Praktikum etc. reicht da die Bandweite. Vielleicht Folge eines fehlenden Selektonsverfahrens, das sich in buntgemischten Teilnehmergruppen auswirkt, was natürlich die Unterstützung, egal bei welcher Unterrichtsform erschwert. Das Gefühl, daß da Preis und Leistung nicht im Einklang

stehen, befällt sicher nicht nur EDV-Erstanwender, die auf einmal merken, wie die Kurskosten summa summarum in die Nähe der Hard- und Softwarekosten rücken. Und das trotz minimal angesetzter Kursdauern, die bei näherer Betrachtung oft die Frage aufwerfen, ob der angebotene Stoff wirklich in so kurzer Zelt verdaut werden kann.

Insgesamt sollte man also deutlich zwischen Ausbildung und Produktschulung unterscheiden. Was das erstere anbetrifft, halte ich, die Gefahr für groß, daß sich "Hersteller-Ausbildung" als faules Ei entpuppen könnte. Hier gilt es die Möglichkeiten der herstellerneutralen Bildungstätten zu nutzen und durch mehr Rückkopplung zu unterstützen.

Was die Produktschulung anbelangt, erscheint mir Konkurrenz wünschenswert; denn da haben sich Monopole aufgebaut mit allen denkwürdigen Konsequenzen für den Anwender.

* Dieter Ballin ist Mitarbeiter des EDV-Bildungszentrums München, zuständig für Bildungsplanung.