In neuem Geschäftsbereich den Ausstieg aus der proprietären Welt gewagt

BHWs erster Versuch mit einem offenen System war erfolgreich

18.09.1992

MÜNCHEN (CW) - Beim Aufbau der Datenverarbeitung einer eigenständigen TochtergeselIschaft für Lebensversicherungen ist das Beamten-Heimstätten-Werk (BHW) von seiner bisherigen DV-Politik abgewichen. Das bisher nur mit proprietären IBM-Großsystemen arbeitende Haus entschied sich für Unix.

Die BHW-Gruppe ist zwar ein Neuling auf dem Versicherungsterrain, bot aber Bausparern bereits vor 1990 Bauspar-Risikoversicherungen an. Als Anfang 1990 die BHW Lebensversicherungs AG ihre Geschäftstätigkeit aufnahm, verfügte deshalb der neue Lebensversicherer schon über einen Versicherungsbestand mit einem Volumen von mehr als 26 Milliarden Mark und über die entsprechende Datenbasis. Bereits im Herbst 1991 wollte die Lebensversicherungs AG aber in den Bereich der Kapital-Lebensversicherungen einsteigen, was eine völlig neue DV-Lösung zur Verwaltung der Versicherungsverträge verlangte.

Anforderungen an das Verwaltungssystem

Das BHW organisierte seine Daten bisher ausschließlich über Mainfrarne-Architekturen von IBM. Die Entscheidung der, Lebensversicherungs AG, die Verträge zunächst mit dem DV-System der BHW-Gruppe zu verwalten, war von vornherein befristet. Der vorgegebene enge Zeitrahmen wie auch die Verschiedenartigkeit von Risiko- und Kapitalversicherungen machten eine Integration bei der Versicherungsformen im vorhandenen System unmöglich.

Das BHW entschied sich - nicht zuletzt auch wegen der im Vergleich zu einer Mainframe-Lösung deutlich geringeren Anschaffungskosten - für ein offenes System unter Unix, da es sich technisch am ehesten auf die Bedürfnisse des BHW zugeschneiden ließ. Damit aber war noch nicht das Problem gelöst, daß an das Verwaltungssystem für die Versicherungsverträge große Anforderungen zu stellen sind.

Legt man die Regellaufzeit von zwölf bis 40 Jahren bei Kapitalversicherungen zugrunde, bedeutet dies einen sehr großen Zeitraum, innerhalb dessen sich die Verträge dynamisch entwickeln. Änderungen der Versicherungssumme und der korrespondierenden Beitragssätze, Zusatzversicherungen und Gewinnausschüttungen sind standardmäßige Bewegungsdaten, die in der Datenbank kontenmäßig geführt werden und bis Versicherungsende jederzeit nachvollziehbar sein müssen.

System mußte erweiterbar sein

Die Ausrichtung der Gesamtkonzeption des Verwaltungssystems sollte, besonders im Hinblick auf die bevorstehenden Veränderungen durch den europäischen Wettbewerb, nicht nur aktuellen Gegebenheiten und in Deutschland bevorzugten Versicherungsformen Rechnung tragen, sondern auch zukünftigen Entwicklungen. Da diese nur in seltenen Fällen exakt vorhersehbar sind, mußte das System vielseitig und erweiterbar sein. Hinzu kamen einige Vorgaben zu bestehenden Ressourcen des BHW: Das elektronische Archiv sowie die Textverarbeitungen "HIT" und "Clou" sollten mit dem neuen Softwaresystem kommunizieren können.

An Standardapplikationen war in einer solchen Situation nicht zu denken; Individualprogrammierung schied allein aufgrund des Zeitrahmens ebenfalls aus. Nachdem eine Lösung durch hausinterne Kapazitäten bei dem jungen Unternehmen schließlich noch nicht in Frage kam, mußte man sich um einen Partner bemühen, mit dem zusammen das Projekt erfolgreich bewältigt werden konnte.

Volumen: 1000 neue Verträge pro Monat

Harry Gehlen, Projektverantwortlicher des BHW für das DV-System, entschied sich für ein System zur Verwaltung von Versicherungsverträgen des Münchener Softwarehauses Feilmeyer & Junker GmbH (F&J). Dies System ist bereits bei verschiedenen anderen Lebensversicherern im In- und Ausland eingerichtet.

Es handelt sich um eine praxiserprobte Lösung, die sich außerdem zeitökonomisch an die bestehenden Verhältnisse und spezifischen Bedürfnisse anpassen läßt. Das Verwaltungssystem läßt sich auf verschiedenen Hardwareplattformen implementieren und war auch auf relativ günstigen, leistungsfähigen Unix-Systemen voll einsetzbar.

Das BHW installierte ein Unix-System MX-300 von SNI mit 16 Sachbearbeiter-Plätzen, davon sind zehn über Ethernet an die MX-300 angebundene Unix-Workstations und sechs alphanumerische Terminals. Damit wollte man einem optimistisch geschätzten Volumen von zirka 1000 neuen Versicherungsverträgen pro Monat begegnen.

Das Verwaltungssystem-Software ist modular angelegt und basiert auf einer relationalen Datenbank. Dabei handelt es sich um "Oracle/SQL", das zur Abbildung des leistungsfähigen Datenmodells von F&J gut geeignet ist. Daten werden grundsätzlich unabhängig von den einzelnen Anwendungen gehalten, wodurch sich eine redundante Datenführung vermeiden und im Sinne vollständiger Datenkonsistenz arbeiten läßt. Mehrere Sachbearbeiter greifen somit auf einen gemeinsamen Datenpool zu. Weiterhin werden die Ergebnisse von Berechnungen kontenmäßig gespeichert, so daß sich wiederholte Neuberechnungen und lange Antwortzeiten weitgehend vermeiden lassen.

Der modulare Aufbau des Produktes ermöglicht die universelle Verwaltung von Lebensversicherungsbeständen bei gleichzeitiger Offenheit für neue Versicherungsprodukte. Für das BHW wurden die Bereiche Angebotswesen, Antragsbearbeitung, Bestandsführung und Leistungsbearbeitung sowie die Datenbank für Personen beziehungsweise Kunden installiert. Das Subsystem Technik ist eine Komponente für sämtliche versicherungstechnischen Berechnungen, die sich in die Datenbank übernehmen lassen und für den technischen Jahresabschluß zur Verfügung stehen.

Das Verwaltungssystem deckt alle derzeit gängigen Tarife der Lebensversicherung ab. Tarifänderungen und die Neudefinition von Tarifen lassen sich sehr schnell realisieren. In dieser Branche sind kurze Reaktionszeiten auf neue Tarifmodelle ausschlaggebend.

Da für das BHW nicht ein komplett neues System entwickelt werden mußte, war die Anpassung verschiedener Module und Schnittstellen des Verwaltungssystems an die Bedürfnisse des BHW bereits nach sieben Monaten abgeschlossen.

Nach rund einjährigem Einsatz des Verwaltungssystems unter Unix wird das Projekt von Harry Gehlen als voller Erfolg eingestuft.

Die Erwartungen in das Verwaltungssystem wurden erfüllt, und die Unix-Plattform hat sich ebenfalls bewährt. Da ein sehr positives Startgeschäft die Grenzen der MX-300 bereits heute erkennen läßt, plant das BHW zusammen mit F&J bereits den Umstieg auf eine leistungsfähigere Unix-Lösung, die bis zu 60 Arbeitsplätze unterstützt.