BfA setzt Maßstäbe: Freibrief für clevere Systembediener?

06.09.1985

Daß Computer Arbeitsplätze vernichten und einen ungeheuren Leistungsdruck auf Arbeitnehmer ausüben, ist bei Gewerkschaften und einigen selbsternannten Wahrern von Arbeitnehmerbelangen längst ausgemachte Sache. Es wäre auch zu kompliziert, wenn man differenzieren wollte zwischen den Möglichkeiten der DV im Extremfall und der Wirklichkeit ihrer Anwendung. Schlimm nur, wenn Betreiber von DV-Systemen den Kassandrarufern auf den Leim gehen und über den Arbeitnehmerschutz die eigenen Sicherheitsinteressen vergessen.

Es wäre sicherlich ungerecht, wollte man dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg wegen der am 15. Mai 1985 mit dem Hauptpersonalrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung über die Anwendung der Datenverarbeitung eine Art von beruflichem Masochismus bescheinigen. Er hat es sicherlich nicht so gemeint, aber im Ergebnis läuft es darauf hinaus, daß eine Art von Selbstkastration vorgenommen wurde. Der Präsident einer nicht unwichtigen Behörde, der über nicht eben geringe Etatmittel verfügt, begibt sich jeglicher Möglichkeit, Fälle von "privater Vermögensbildung", sprich: Computerkriminalität, systematisch aufzudecken. Genau das steckt in der oben zitierten Betriebsvereinbarung, vor deren Übertragung auf andere Anwender man nicht deutlich genug warnen kann.

Selbst in Bonn hat sich herumgesprochen, daß in der Arbeitsverwaltung nicht immer integre Menschen sitzen. Justizminister Engelhard hat, wie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Juli 1985 nachzulesen ist, auf den Fall eines bayerischen Arbeitsamtangestellten hingewiesen, der über falsche Eingaben von Kindergeldnachzahlungen seiner Familie rund eine viertel Million Mark zukommen ließ. Vor diesem Hintergrund vereinbart der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit mit dem Hauptpersonalrat folgende Selbstbeschränkung:

Damit hat sich der Verantwortliche der bundesdeutschen Arbeitsvermittlung ganz erheblicher Rechte enthoben, die er nicht nur zur freien Disposition hat, die sich vielmehr aufgrund seiner Aufgabe ergeben. Es bleibt abzuwarten, was der Bundesrechnungshof dazu sagen wird.

Denn: Was hier vereinbart wurde, ist schlicht ein Freibrief für clevere Systembediener, die sich an den Mitteln der Arbeitsverwaltung bereichern wollen. Es sei dem Hauptpersonalrat wie auch dem Präsidenten zugestanden, daß er dies nicht gesehen hat. Aber, Herrschaften, in welcher Welt leben wir denn? Bankraub mit Brecheisen, Schweißbrenner und Pistole ist doch wirklich nicht mehr "in". Sowas machen nur Anfänger, die bald geschnappt werden, oder nostalgische Alt-Verbrecher. Heute manipuliert man mit dem Computer in der Weise, daß die ergaunerten Tausender gleich auf einem gut erreichbaren Konto anlanden. Genau das hat jener bayerische Amtsträger getan; er steht im übrigen nicht allein, auch nicht in der Arbeitsamtsorganisation. Das müßte doch Präsident und Personalrat bekannt sein. Lesen diese Leute denn keine Zeitungen?

Natürlich muß jemand, ob Industriebetrieb, Handelshaus oder Behörde, in der Lage sein, die Tätigkeiten der Beschäftigten zu kontrollieren. Es muß eine Möglichkeit geben, zu prüfen, ob die Bediener sich im Rahmen ihrer Befugnisse verhalten haben. Vor allem: Die derzeitige Rechtslage läßt nicht einmal die Verfolgung eines Computermißbrauchs als Betrugsdelikt zu, wenn kein Mensch getauscht wurde. Aber das ist ja der springende Punkt: In vollautomatisierten Systemen, in denen allenfalls Abweichungen vom Normalen einem Bearbeiter zur Aufklärung gezeigt werden, läuft alles andere als "normal" durch. Wer diese Routinen mißbraucht, betrügt nicht einmal, er ist allenfalls arbeits- oder dienstrechtlich zu belangen, aber der Staatsanwalt interessiert sich nicht für ihn - er darf sich nicht interessieren. Um so wichtiger also, daß man per System abfragt, welches Arbeitsprofil der einzelne hat und wo erkennbare Abweichungen von der normalen Routine vorliegen. Und gerade derartige Auswertungen haben Präsident und Hauptpersonalrat der Bundesanstalt für Arbeit im gegenseitigen Einvernehmen ausgeschlossen. Man kann Betrügern von (...) Sorte der Intelligenztäter (mit Computererfahrungen) derzeit nur empfehlen, bei der Arbeitsverwaltung unterzukommen. Sie haben beste Chancen, unentdeckt zu bleiben, denn ihre Tätigkeit wird nicht kontrolliert. Man fragt sich, was die Verfasser der Vereinbarung sich beim Text der Ziffer 8 gedacht haben.

Damit diese Veröffentlichung nicht in den Verdacht einer böswilligen Verfälschung (durch Zitat aus dem Zusammenhang) gerät, wird der volle Wortlaut der hier kritisierten Vereinbarung vom 15. Mai 1985 auf Seite 42 "EDV und Recht" wiedergegeben.

Leistungs- und Verhaltenskontrolle

"1. Personenbezogene Daten über Beschäftigte, die im Arbeitsprozeß als Nebenprodukt anfallen oder aus Daten des Arbeitsprozesses abgeleitet werden können (zum Beispiel Daten aus der Benutzung von Ausweislesern, Kurzcodes, Log-Dateien, Bedienerstatistiken, EDV-Auslastungsstatistiken etc.) werden nicht unter dem Gesichtspunkt einer individuellen Leistungs- oder Verhaltenskontrolle ausgewertet.

2. Eine Verknüpfung personenbezogener Daten von Beschäftigten mit Daten im Sinne der Nr. 1 findet nicht statt."