CADCAM-Anbieter fühlen sich von der Messe-AG Hannover im Stich gelassen:

Beutelschneiderei auf Kosten der Aussteller

03.04.1987

MÜNCHEN/HANNOVER (CW) - Im zweiten Jahr nach der Teilung der Hannover-Messe in die CeBIT und die Hannover-Messe Industrie haben führende CAD/CAM-Anbieter immer noch Entscheidungsprobleme, für welche der beiden Messen ihr Ausstellungsangebot das richtige sei. Die Messegesellschaft, selber ohne Konzept, betreibe ihrer Meinung nach "Beutelschneiderei auf Kosten der Aussteller".

Die Messe-AG wünscht sich die Aussteller auf beiden Messen. Das jedenfalls war ein Resultat aus Gesprächen, die bereits während der CeBIT 1986 zwischen sechs Vertretern einer Gruppe von CAD/CAM- Firmen und der Messe-AG stattfanden. Die Mitglieder dieser Gruppe bezeichnen sich selbst als Marktführer, die eigenen Angaben zufolge 80 Prozent des CAD/CAM-Marktes beherrschen. Es sind die

Unternehmen Computervision, Prime, Calma, Applicon, Matra und Intergraph. Sie waren mit den Vorstellungen der Messe-AG überhaupt nicht einverstanden. Zweimal in Hannover auszustellen, bedeute lediglich ein Geschäft für die Ausstellungsgesellschaft, argumentierten sie schon damals. Verwirrung schaffe das Konzept denn auch für die Besucher, die nicht wüßten, auf welche Messe sie zu gehen hätten, um sich einen Marktüberblick zu verschaffen.

Außerdem ließe sich nicht die doppelte Anzahl von Abschlüssen für die Aussteller tätigen, weil man von den Besuchern nicht erwarten könne, daß sie auf zwei Messen kommen. Im Gegenteil: Wer es sich nicht leisten kann, auf beiden Veranstaltungen anwesend zu sein und sich dann auch noch für die falsche entscheidet, muß erhebliche Einbußen hinnehmen. Kundenfreundlich ist das zeitlich und räumlich auseinandergerissene Angebot für C-Techniken sowieso nicht, meinen die Unternehmensvertreter. Denn welcher Betrieb kann es sich leisten, Mitarbeiter zweimal in so kurzer Zeit für einen Messebesuch freizustellen.

Die Unzufriedenheit der CAD/ CAM-Aussteller wuchs noch, als sie ihre Ergebnisse der Teilnahme an der CeBIT '86 auswerteten: Die Besucherzahl an ihren Ständen war zurückgegangen und damit auch die Anzahl der Abschlüsse. Sogar als Fehler bezeichnete Applicons Marketingleiter Klaus Rollwa die Beteiligung seines Unternehmens an der CeBIT. Denn ihm hatten Entscheidungsträger an seinem Stand gefehlt. In diesem Jahr hofft er, sie auf der Industrie-Messe zu treffen.

Einen Besucherrückgang um die 60 Prozent mußte zum Beispiel Computervision auf der letztjährigen CeBIT hinnehmen. Für Wolfgang Jahn, zuständig für Marketing und Communications, und Geschäftsführerkollegen anderer Unternehmen stellten sich theoretisch vier Möglichkeiten, um einer neuerlichen Abnahme der Besucherzahl im Jahr 1987 entgegenzuwirken: Entweder entschlossen sie sich gemeinsam für eine Teilnahme an der CeBIT, um für die Besucher ein Signal zu setzen. Oder aber sie verabredeten sich für die Hannover-Messe Industrie.

Keine Entscheidungshilfen von der Messe-AG

Ganz wegbleiben - die dritte Möglichkeit - kam eigentlich nicht in Frage, denn dazu hatte der Messeplatz Hannover noch viel zuviel Gewicht. In einigen Unternehmen denkt man schließlich darüber nach, nach anderen Messeplätzen als Hannover Ausschau zu halten. Optimisten in der Gruppe versprachen sich zudem noch Entscheidungshilfen von seiten der Messe-AG. Die seien aber, so Jahn, leider bis heute ausgeblieben.

Die Konzeption der Messe-AG war auf der CeBIT die C-Techniken in ihrer Gesamtheit herstellerorientiert zu zeigen. Zur Industrie-Messe sollten spezielle Anwendungen in der Produktion sowie Lösungen vorgestellt werden. Solche Leitsätze waren den betroffenen Unternehmen aber zu schwammig. Also griff die Branche zur Selbsthilfe. Im Juli 1986 trafen sich die Vertreter der sechs Unternehmen noch einmal, um sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Sie faßten den Beschluß, nur noch auf der Industrie-Messe präsent zu sein. Damit veränderte sich bei einigen Ausstellern auch das Spektrum der gezeigten Produkte.

Control Data zum Beispiel zeigte im letzten Jahr zur CeBIT noch die gesamte Produktpalette, seine OEM-Produkte und die Speicherperipherie. Mit der Entscheidung für die Hannover-Messe Industrie 1987 berücksichtigt das Unternehmen insbesondere Konstrukteure und Fertigungsleiter aus den Branchen Luft- und Raumfahrt, Maschinen- und Anlagenbau sowie Kunden aus dem

Fahrzeugbau und den Zulieferindustrien.

"Wir können nicht feststellen, ob wir auf der CeBIT etwas verpaßt haben. Mit unseren anderen Produkten und Geschäftsbereichen außerhalb des CAD-Spektrums müssen wir nicht unbedingt auf eine Messe gehen", formuliert Sprecherin Gudula Freytag die Unternehmensstrategie. Einen Vorteil in der Teilnahme an der Industrie-Messe sieht Control Data im direkten Wettbewerb bei der Selbstdarstellung mit den Konkurrenten am Markt. Der Blick über das gesamte Branchenspektrum in Hannover sei ein Kundenmagnet.

Mit dem Beschluß, nur an drei Messen im Jahr teilzunehmen, schließt sich Intergraph nach Meinung von Regional Manager Europe Manfred Siebert "einem weltweitem Trend an". Statt viel Geld für die Selbstdarstellung auf Mammutveranstaltungen auszugeben, ließe sich das Werbebudget sinnvoller zum Beispiel in Anzeigen für gezielte Kundenwerbung anlegen. In diesem Jahr fiel die Entscheidung noch einmal zugunsten der Hannover-Messe Industrie. Obwohl der Kundenkreis des Unternehmens über den Bereich Maschinenbau hinausgeht und im Großkundenbereich auch informatikorientiert ist, schließt sich Intergraph heuer den anderen CAD/CAM-Herstellern an.

Siebert hofft, daß damit dem Kunden Entscheidungs- und Orientierungshilfen für die Planung von Messebesuchen gegeben werden. Im vergangenen Jahr war Intergraph als Direktaussteller auf der CeBIT vertreten und nur über Kunden auf der Industrie-Messe präsent. Der Messe-AG hält Siebert Entscheidungsschwäche im Management vor, die durch das eindeutige Votum der Hersteller für die Industrie-Messe ausgeglichen werde. "Beutelschneiderei auf Kosten der Aussteller" sei eine weitere Möglichkeit, das Verhalten der Messe-AG zu deuten, meint er.

Auch nach Erkenntnissen von Prime sei seit der Zweiteilung der ehemaligen Hannover-Messe bis heute weder eine klare Aussagerichtung noch eine genaue Zielgruppendefinition zu erkennen. Für Geschäftsführer Erwin Leonhardi ist die Industrie-Messe die wichtigere von beiden Veranstaltungen. "Es kristallisiert sich in zunehmendem Maße heraus, daß sich die CeBIT in Richtung auf eine allgemeine DV-Messe entwickeln wird. Dort hat das CAD/ CAM-Angebot nur sehr wenig Publikum", interpretiert er eine hauseigene Analyse der CeBIT-Messe 1986. Prime verspricht sich von der Teilnahme an der Industrie-Messe qualifiziertere Kunden als im Vorjahr.

Um dem Partner Apollo Domain beizustehen, war Calma im letzten Jahr noch auf der CeBIT. "Die Entscheidung für die Industrie-Messe war schon sofort nach der Teilung der Hannover-Messe klar", stellt Unternehmenssprecher Wilfried Löffler fest. Seiner Meinung nach ist die Industrie-Messe auch im Ausland von größerer Bedeutung als die CeBIT. Dennoch wird in seinem Unternehmen nach Alternativen gesucht. Bei Calma ist man verärgert darüber daß es in Hannover nicht möglich ist NC-Maschinen in Betrieb zu setzen, um Gesamtlösungen zu demonstrieren. Die CAT in Stuttgart, die wegen der Unzufriedenheit über die hohen Preise der Camp in Berlin ins Leben gerufen wurde, bietet nach Meinung Löfflers mindestens ebenso gute Möglichkeiten. Auch der Systec in München mißt er große Bedeutung bei. Dem Management der Hannover-Messe macht Löffler den Vorwurf, mehr die eigenen Interessen als die der Aussteller zu verfolgen. Er sehe die Aufgaben von Messeveranstaltern darin, Marketingorgan für die Aussteller zu sein, um gemeinsam Interessenten zu werben.

Mit einer endgültigen Entscheidung über den künftigen Standort der C-Techniken hält sich die Deutsche Messe- und Ausstellungs- AG Hannover noch bis nach der Industrie-Messe zurück. Schwerpunkte gibt es nach Äußerung ihres Sprechers Johannes Bartsch erst einmal nur für Hersteller, die speziell Techniken für die Produktion anbieten. Die seien auf der Hannover-Messe Industrie besser aufgehoben als auf der CeBIT.

Die Messe-AG sieht die Probleme der Hersteller, die Gesamt-Lösungen anbieten, jedoch auch. Befürchtungen, daß die Aussteller Konsequenzen ziehen könnten, scheint man nicht zu haben. Laut Fachpressesprecher Bartsch sei das Vertrauen in die Tradition der Messestadt Hannover groß.