Akademische Kollegen stehen oft nicht mit beiden Beinen auf der Erde:

Betriebssysteme zeigen Alterserscheinungen

22.01.1982

NEW ORLEANS - Etwas gehemmt zwar durch eine gewisse "strukturbedingte Trägheit" wird die "Wissenschaft von der Software" doch ihren Weg in die Zukunft machen; und die Reifung der ihr zugrundeliegenden Technologie wie auch die Produktivitätskrise werden sie dabei beflügeln. Dies sagte Will Zachman, Direktor für Forschung bei der International Data Corporation (IDC), Mitte November in New Orleans.

Zachman führte die gewisse Trägheit auf das der Software innewohnende Beharrungsvermögen gegen Änderungen zurück, weiter auf die Investitionen der Softwarehersteller in neue Produkte, auf die Investitionen der Benutzer in neue Anwendungen und auf das "Fehlen einer klaren Richtung in den Softwarewissenschaften".

Ungenutzte Softwarequellen

Die Vereinigten Staaten brauchen wie die anderen Industrienationen wirksamere Mechanismen zur Nutzung der im Land vorhandenen Softwarequellen, betonte Zachman auf der Mitte November in New Orleans abgehaltenen Fall Executive Conference 1981 der IDC. Unter Bezugnahme auf die Softwareforschung im akademischen Milieu meinte er, die Kollegen stünden oft nicht mit beiden Beinen auf der Erde. Forschung und Entwicklung müßten zwar massiv gefördert werden, doch sollten diese Gelder nicht in erster Linie den - was Fördermittel betrifft - recht anspruchsvollen akademischen Fachkollegen zugewiesen werden.

Zachman klagte, die Softwareentwicklung sei in den letzten Jahrzehnten mehr zu einer Kunst als zu einer Wissenschaft geworden. Die in dieser Zeit passierten Marksteine seien die Entwicklung von Fortran 1956, von Cobol 1959 und die Einführung der modernen OS-Betriebssysteme durch die IBM 1964, stellte er fest.

Die Hauptgebiete der gegenwärtigen Softwareforschung umfassen nach Zachman die Programmiersprachen, strukturierte Programmierverfahren, Datenbankverwaltung, Betriebssysteme, High-Level-Software, Spezifikationsmethodiken und "harte" oder eingebettete Software. Der Forschungsdirektor zitierte aus einer neuen IDC-Studie über die Produktivität und bemerkte, daß Fortran - wie die Neuprogrammentwicklung erkennen läßt - einen jähen Popularitätsverlust erfahren habe und jetzt nur noch knapp vor PL/I liegt. Auch Cobol habe seinen Gipfelpunkt überschritten und dürfte in den nächsten zehn Jahren ebenfalls stark an Bedeutung verlieren.

"Buschfeuer" Pascal

Überrascht war die IDC dagegen von der zunehmenden Beliebtheit von Pascal und stellte fest, daß auch PL/I sich noch auf dem aufsteigenden Ast bewegt. Bei Kleinsystemen breitet sich Pascal "wie ein Buschfeuer" aus, erklärte er und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die IBM für ihren kürzlich vorgestellten Personal Computer Basic- und Pascal-Compiler liefert. Und die neue Sprache Ada, die von höherer Komplexität ist als Fortran oder Cobol, bietet mehr Vorteile als diese beiden und wird - so Zachman - im Laufe des nächsten Jahrzehnts recht stark werden.

Eine weitere Programmiersprache, zu der sich ein immer größer werdender Kreis bekennt, ist "C". Das Unix-Betriebssystem ist in C geschrieben, und erstmalig bietet auch die IBM diese Sprache an. Die IDC stellte auch ein neu erwachendes Interesse an Lisp fest, und Zachman charakterisierte Forth als sehr effiziente Sprache für Kleinsysteme. Er bemerkte zu diesen Entwicklungen, daß sich nur schwer ein deutlicher Trend aus den Anwendungen all dieser Sprachen erkennen lasse und bemerkte, daß "die wichtigsten Sprachen bis zum Ende der 80er Jahre rein funktionell sein werden".

Sich den anderen Softwaregebieten zuwendend, sagte er, daß strukturierte Verfahren die Produktivität beim Programmieren und im Low-Level-Design steigern,

Die IBM wird nach Ansicht von Zachman mit der Ankündigung neuer Modelle ihrer 3081-Familie fortfahren. Er glaubte voraussagen zu dürfen, daß die zukünftigen Modelle mit voll relationalen Datenbanken und IMS-Interface gefahren würden. Zukünftige Betriebsysteme dürften - so fuhr der Forschungsdirektor fort - eine vereinheitlichte und einfache Kommandosprache aufweisen. Die heutigen Betriebssysteme werden wohl in Bälde durch die immer zwingender werdende Notwendigkeit überfordert sein, einem echt verteilten Multiprozessorumfeld gerecht zu werden, erklärte er.

Die Spezifikationsmethodik muß für alle Stufen des Entwicklungszyklus gelten und selbstdokumentierend sein. Außerdem sollte der Spezifikationsprozeß nach Zachman gleichermaßen von der Implementierung und dem Hardwareumfeld getrennt werden.

Bruce Hoard ist Mitglied des New York Bureau der COMPUTERWORLD.

Übersetzt aus COMPUTERWORLD vom 23. 11. 81 von Hans J. Hoelzgen, Böblingen