Betriebssysteme 1993 (Teil 1) Microsofts NT-System schweisst die Unix-Anbieter zusammen Von CW-Redakteur Hermann Gfaller

24.12.1993

Das Jahr 1993 stand - was Betriebssyteme betrifft - im Zeichen der Microsoft-Aktivitaeten. Vor allem Bill Gates' Ambition, mit Windows NT ins Client-Server-Geschaeft einzusteigen, hat den Markt durcheinandergewirbelt und die notorisch zerstrittene Unix- Gemeinde zusammengeschweisst. Ausserdem wurden in diesem Jahr die Umrisse von Entwicklungen erkennbar, in deren Mittelpunkt Techniken stehen, die nur noch wenig mit den heute ueblichen Betriebssystemen gemein haben. Damit befasst sich der zweite Teil dieser Jahresrueckschau.

Selbst der proprietaerste Anbieter hat inzwischen begriffen, dass die Kunden von unterschiedlichen Herstellern kaufen wollen. So faehrt bei den Betriebssystemen inzwischen sogar die IBM bis in den Mainframe-Bereich hinein einen Open-Systems-Kurs. Dieser Einstellung und dem Marktdruck von Microsoft verdanken die Anwender auch, dass die Unix-Anbieter nach jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen in diesem Jahr Frieden geschlossen haben.

Eingeleitet wurde das Ende der Unix-Auseinandersetzungen im Januar 1993 durch die Ankuendigung, dass Novell dem AT&T-Konzern die Unix- Lizenzgeber Unix Systems Laboratories (USL) abkauft.

Auf diese Weise erreichte die Branche vor allem, dass kein Hardware-Anbieter, sprich: Konkurrent, die Entwicklung des Betriebssystems zu seinen Gunsten steuern konnte. Als 1987 Sun und AT&T eine RISC-Kooperation beschlossen, hatten derartige Befuerchtungen zur Gruendung der Anti-AT&T-Vereinigung OSF und damit zum Ausbruch der sogenannten Unix-Kriege gefuehrt.

Eine solche Gefahr bestand bei Novell nicht, zumal das Unternehmen zugesichert hatte, sich nicht in die Unix-Geschaefte der grossen Anbieter einzumischen. Vielmehr bot sich der Netzwerkspezialist mit seinem eben auf den Markt gekommenen PC-Unix "Unixware" als Speerspitze gegen Microsoft an. "Wenn es eine konzertierte Aktion gegen Microsoft gibt, dann sind wir das Zentrum", kommentierte der damalige USL-Chef Roel Pieper das Einverstaendnis der Branche mit dem Deal.

COSE-Initiative gegen Microsoft

Dass es diese konzertierte Ak- tion tatsaechlich gab, wurde im Maerz auf der Open-Systems-Messe "Uniforum" deutlich, als die Sechserbande HP, IBM, SCO, Sunsoft, Univel und USL eine Initiative fuer ein Common Open Software Environment (COSE) aus der Taufe hob. Anstatt wie bisher in konkurrierenden Konsortien wollten die umsatzstarken Unternehmen in Ad-hoc-Kooperationen Standards fuer eine Benutzerumgebung, Middleware- und Multimedia-Techniken schaf- fen. Betriebssysteme waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht Gegenstand der COSE-Aktivitaeten.

Angesichts des fuer Herbst dieses Jahres angekuendigten Microsoft- Betriebssystems Windows NT draengte die Zeit. Schon im April konnten die COSE-Mitglieder erste Ergebnisse vorlegen. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen um eine einheitliche Benutzeroberflaeche lenkte Sun ein und verzichtete zugunsten des Motif-basierten Standards Common Desktop Environment (CDE) auf seine Open-Look-Oberflaeche. Damit hatte COSE den ersten industrieweit akzeptierten Standard fuer Unix-Oberflaechen gesetzt.

Zusaetzliche Akzeptanz sicherte die Ankuendigung, dass saemtliche in diesem Rahmen entstehenden Techniken durch das Open-Systems- Gremium X/Open zertifiziert und zum offenen Standard gemacht werden sollen. Das seit einiger Zeit vor sich hinduempelnde Konsortium nahm diese Aufgabe dankbar an und war sogar dazu bereit, die CDE-Spezifikation im Eilverfahren durch den Standardisierungsprozess zu schleusen.

Trotz dieser ungewohnten Einigkeit hoerten die Rivalitaeten nicht gaenzlich auf. So konnte sich Digital Equipment als strategischer Microsoft-Partner erst im Juni fuer eine Beteiligung am COSE-Prozess erwaermen. Auch Sun Microsystems schien Probleme mit der neuen Situation zu haben - zumal die COSE-Aktivitaeten offensichtlich zunehmend vom Gespann HP und IBM dominiert wurden. So hat Sun inzwischen im Alleingang beschlossen, neben der CDE-Umgebung die objektorientierte Benutzerumgebung "Open Step" von Next einzusetzen.

Im Laufe des Sommers beunruhigte Unix-Eigner Novell die Branche mit seinen Vorstellungen von der anstehenden Betriebssystem- Standardisierung. Danach soll die Lizenzierung von Sourcecode kuenftig streng kontrolliert werden und moeglichst nur noch an die wichtigsten Unix-Anbieter gegeben werden. Anbieter wie SCO gingen auf die Barrikaden, weil sie befuerchteten, Novell wolle Unix auf Basis seines hauseigenen Unixware-Produkts vereinheitlichen. In der Folge tauchten Geruechte auf, wonach sich das Zweigespannn HP und IBM an Novells Unix-Division beteiligen wollte. Doch es kam anders. Am 1. September verkuendeten 24 Computerfirmen in New York, dass nun auch das Unix-Betriebssystem Teil der COSE-Aufgaben sein soll.

Die Vereinheitlichung von Unix soll durch 1170 Spezifikationen erreicht werden, darunter vor allem Anwendungsprogrammier- Schnittstellen (APIs). Damit ist klar, dass Novell sich mit seinen Vorstellungen von einem Unixware-basierten Standard nicht durchsetzen konnte. Solange die Hersteller sich an Spec 1170 halten, duerfen sie den Betriebssystem-Sourcecode optimieren, wo immer sie wollen. Im Oktober kam es fuer Novell noch dicker. Offensichtlich auf Druck aus der Industrie gab das Unternehmen die Markenbezeichnung Unix an X/Open ab. Damit wurde das Konsortium zum Waechter ueber die Einheit und Offenheit des Betriebssystems. Seine Aufgabe ist es, kuenftig zu pruefen, ob ein Produkt die vorgeschriebenen 1170 Spezifikationen erfuellt. Durchlaeuft ein Betriebssystem alle Tests anstandslos, erhaelt es von X/Open das Recht, sich Unix zu nennen.

Mit dieser Aktion beendete die Branche nicht nur den seit Jahren tobenden Unix-Krieg, von dem OSF-Chef David Tory inzwischen behauptet, dass er nie stattgefunden habe. Unixware-Anbieter Novell, der Anfang des Jahres noch als der Senkrechtstarter im Unix-Geschaeft erschien, konnte davon kaum profitieren. So erhielt das Unternehmen fuer die Abtretung seiner Unix-Rechte, deren Wert es selbst auf rund 15 Millionen Dollar schaetzt, lediglich fuer drei Jahre einen kostenlosen Sitz im X/Open-Board. Auch die Resonanz auf das hauseigene PC-Unix war 1993 weniger positiv als erwartet.

Fuer die anderen Anbieter gibt es Ende dieses Jahres ebenfalls wenig Grund sich zurueckzulehnen, denn das selbstgesteckte Ziel der Unix-Gemeinde ist noch keineswegs erreicht. So bleibt fraglich, ob Unix zu diesem Zeitpunkt noch den Server-Markt gegen Microsofts Windows NT verteidigen kann.

Zu den Verlierern der jahrelangen Auseinandersetzungen gehoert Unix International. Die Organisation, die sich um die Propagierung von Unix-Standards bemuehte, steht unmittelbar vor der Aufloesung. Ihre Aufgaben haben zum einen die Unix-Marketiers von Novell uebernommen, zum anderen COSE-Mitglieder. Schliesslich ist diese Initiative nach Auskunft von HP-Chef Lewis Platt auch entstanden, um in direkten Aktionen mit den Mitbewerbern die schwerfaelligen Konsortien zu umgehen.

Dieses Diktum gilt auch fuer die OSF, auch wenn die Organisation mit Motif, DCE (Distributed Computing Environment) und DME (Distributed Management Environment) ueber eigene Techniken und Einnahmen verfuegt. Um ihre Existenz zu sichern, braucht die OSF neben der finanziellen Unterstuetzung vor allem die intensive Beteiligung der Industrie an ihren Entwicklungsprojekten.

Freie Wahl fuer die Anwender

Eine Ueberlebenschance wittern die OSF-Manager daher in den Bemuehungen der COSE-Firmen, sich eine feste Organisationstruktur zu schaffen, ueber die zur Zeit unter der Codebezeichnung "New Org" verhandelt wird.

Zu den Gewinnern zaehlen die Anwender. Sie koennen sich kuenftig mehr als bisher darauf verlassen, dass verschiedene Unix-Systeme vom PC bis zum Mainframe - bald auch transparent - zusammenarbeiten koennen. Sollten sich die Versprechen der Open-Systems-Anbieter jedoch nicht erfuellen, bleibt den Usern immer noch der Wechsel zu Microsofts Windows NT und dessen Nachfolgeprodukt Cairo.

(wird fortgesetzt)