Bildschirmarbeits-Verordnung erregt die Gemüter (Teil 1)

Betriebe nehmen Wünsche der Mitarbeiter nicht ernst

23.01.1997

Hohe Belastungen bei der Bildschirmtätigkeit können zu schmerzhaften Überbeanspruchungen des Muskel- und Skelettapparates, insbesondere des Hals- und Lendenwirbelsäulenbereichs sowie zu erheblichen Einschränkungen des Sehvermögens führen.

Ursachen für Beschwerden sind:

-starke Beanspruchung der Augen durch schlechte Lesbarkeit, Flimmern, Blendungen oder starres Blicken auf den Bildschirm -Beanspruchung des Stütz- und Bewegungsapparates im Nacken, der Schulter und im Rücken durch eingeschränkte Bewegung, einseitige Bewegungen oder Zwangshaltungen -statische Überbelastung der Nackenmuskulatur und Muskulatur des Schultergürtels,-Belastung durch ergonomisch defizitäre Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsmittel -hohe Anforderungen an die Konzentration -Defizite in der Gestaltung der Arbeitsumgebung wie beispielsweise hoher Lärmpegel und schlechtes Klima, und durch Bildschirmfixierung des Arbeitsablaufs.

Der Zusammenhang zwischen Körperhaltung und Beschwerden beziehungsweise den unterschiedlichen Erkrankungen des Haltungs- und Bewegungsapparates gilt in der Arbeitsmedizin als gesichert. Der Einfluß eines eingeschränkten Sehvermögens auf die Körperhaltung und umgekehrt ist ebenso belegt.

"Neue Technologien", so ist im Kommentar zum Entwurf des Arbeitsschutzgesetzes vom 21. Juli 1995 unter anderem zu lesen, "konfrontieren die Menschen, die mit ihnen umgehen müssen, häufig auch mit neuen Gesundheitsgefahren."

Der Arbeitsschutz soll dazu dienen, die Akzeptanz bei den Mitarbeitern für präventive Arbeitsschutzmaßnahmen zu erhöhen sowie die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten in den Unternehmen zu fördern und zu erhalten.

Im Vordergrund stehen auch in Zukunft die Fragen nach den Kosten zur Umsetzung der Bildschirmarbeits-Verordnung, weiß man doch um die häufig mangelhaften Verhältnisse am Bildschirmarbeitsplatz und um die berechtigten, jedoch fleißig verdrängten Wünsche der Beschäftigten zur Verbesserung der Büroraumgestaltung. Als Möbelpolizei ist in den Betrieben deshalb nicht selten die Beschaffungsabteilung verschrien.

Erfahrungsgemäß liegen die Mängel vor allem in der Anordnung der Arbeitsmittel, unmittelbar gefolgt von unzureichender Beleuchtung und nervenaufreibender Software. In einigem Abstand folgen Kritik an Bestuhlung und ungünstiger Höhe der Arbeitsflächen. Und hier gehts dann richtig ans Portemonnaie. Ein Sachbearbeiter-Bildschirmarbeitsplatz kostet ohne Technik rund 6000 Mark.

Die Verpflichtungen stellen keine Revolution dar. Neu ist, daß mit Inkrafttreten der Verordnung feststeht, daß Bildschirmarbeit eine Gefährdung der Gesundheit darstellen kann. Sie legt außerdem gleichermaßen öffentlichen Dienst wie private Wirtschaft auf ein einheitliches Schutzniveau fest.

Alle Arbeitsmittel sind so einzusetzen und zu benutzen, daß eine ergonomisch günstige Körperhaltung eingenommen werden kann. Regelmäßige Haltungswechsel und Raum für ausreichende Bewegungen werden so zum Muß. Ergonomisch günstig ist eine Arbeitshaltung dann, wenn die Abstimmung zwischen Person und Arbeitsmittel harmonisch ist und keine Verspannungen auftreten können. Dies gelingt nur bei wechselnder Körperhaltung. Der Belastungswechsel geschieht durch verschiedenartige Tätigkeiten - aber nicht durch ausschließliche Bildschirmarbeit.

Damit die Unternehmen gesundheitliche Gefährdungen an der Quelle bekämpfen, verlangt das Arbeitsschutzgesetz laut Paragraph 5 und 6 und die Paragraphen 3 und 4 der Bildschirmarbeit-Verordnung die Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Ebenso gilt dies im Sinne der EU-Mindestvorschriften 90/270/EWG und der Anwendungs- und Anleitungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 15. Dezember 1995 für die Arbeit an Bildschirmgeräten.

Bei der Arbeitsplatzanalyse muß der Arbeitgeber die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich einer möglichen Gefährdung des Sehvermögens sowie körperlicher Probleme und psychischer Belastungen ermitteln und beurteilen.

Die Arbeitsplatzanalyse ist ein Oberbegriff für verschiedene organisatorische Teilaufgaben wie:

-Bestandsaufnahme unter Berücksichtigung der Arbeitsumgebung und der Arbeitsabläufe bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes

-Einschätzung und Bewertung der gesundheitlichen Gefährdungen und Beeinträchtigungen - wobei dies als entbehrlich betrachtet wird, wenn es bereits durch die Einhaltung normierter Schutzziele staatlicher und berufsgenossenschaftlicher Vorschriften vorweggenommen worden ist

-Festlegung und Umsatz der erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Verhältnisse und des Verhaltens der Arbeitgeber und Arbeitnehmer

-ergänzende Untersuchungen und Maßnahmen beim Auftreten von Beschwerden, die auf die Bildschirmarbeit zurückgeführt werden können - zum Beispiel aufgrund neuer Erkenntnisse und technischer Möglichkeiten

-Dokumentation der Untersuchungsergebnisse und der getroffenen Maßnahmen sowie

-Überprüfung der Wirkung der Verbesserungen.

Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen ist zu prüfen, ob die Arbeitsplätze den Anforderungen entsprechen. Sofern Verbesserungen erforderlich sind, müssen diese bis spätestens zum 31. Dezember 1999 auf Basis einer Dokumentation der Arbeitsbedingungen erfolgt sein. Die Dokumentation muß bis zum 21. August 1997 vorliegen, und zwar dann, wenn der Arbeitgeber mehr als zehn Personen ständig beschäftigt. Um diese Aktion nicht in unnötigen Bürokratismus ausarten zu lassen, genügt dem Gesetzgeber laut Arbeitsschutzgesetz die Zusammenfassung gleichartig gefährdeter Bereiche. Bei Büros könnte sich dies aus der Arbeitsaufgabe sowie der Größe der Räumlichkeiten ergeben.

Laut Paragraph 5 der Bildschirmarbeits-Verordnung ist die Tätigkeit der Beschäftigten so zu organisieren, daß die tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten regelmäßig durch andere Tätigkeiten oder durch Pausen unterbrochen wird, die jeweils die Belastung durch die Arbeit am Bildschirm verringern.

Eine generelle Verpflichtung zur Unterrichtung und Unterweisung der Arbeitnehmer in der Handhabung ihrer Arbeitsmittel besteht nicht. Gleichwohl wird gemäß Paragraph 12 Arbeitsschutzgesetz gefordert, die Beschäftigten im Umgang mit ihren Arbeitsmitteln angemessen weiterzubilden.

In der Praxis geschieht dies durch individuelles Training, mit Unterstützung einer Rückenschul- und Sicherheitsfachkraft sowie durch Einsatz von Printmedien und Lernsoftware zur Bildschirmergonomie. Darüber hinaus ist jedem Beschäftigten eine angemessene und regelmäßige Untersuchung der Augen und des Sehvermögens anzubieten..

Grundbegriffe der Verordnung

Zu Bildschirmgeräten im Sinne der europäischen Regelung sind auch Schreibmaschinen zu zählen, die mehrzeilige Anzeigen besitzen, sowie Mikrofilmlesegeräte für Rollfilme und Mikrofiches oder vergleichbare technische Lösungen. Bildschirme zur Bearbeitung von Einzel- oder Laufbildern gehören ebenso dazu.

Tragbare Bildschirmgeräte, die nicht die sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und ergono mischen Forderungen, insbesondere bezüglich der Tastaturausführung, der Trennung der Tastatur vom Bildschirm oder der Qualität der Zeichendarstellung erfüllen, sind nicht für die dauernde Benutzung an einem Arbeitsplatz geeignet.

Zum Bildschirmarbeitsplatz gehören das Bildschirmgerät, das gegebenenfalls mit einer Tastatur oder einer Datenerfassungsvorrichtung und/oder einer passenden Software, optionalen Zusatzgeräten wie Maus, Digitalstift, Plotter, Drucker und Modem versehen ist, sowie Telefon und Büromöbel mit der dazugehörigen Arbeitsfläche und die unmittelbare Arbeitsumgebung. Dazu zählen die Abmessungen des Arbeitsraumes und der Platzbedarf, Belüftung, Klima, Beleuchtung und Farbgestaltung des Raumes, Lärm, mechanische Schwingungen und Stöße, Gefahrstoffe und Strahlung.

Beschäftigte im Sinne dieser Verordnung sind Mitarbeiter, die gewöhnlich bei einem nicht unwesentlichen Teil ihrer normalen Arbeit ein Bildschirmgerät benutzen. Eine sinnvollere Definition bieten die Anwendungs- und Auslegungshinweise des Bundesministeriums des Innern "Arbeit an Bildschirmgeräten". Danach ist Arbeitnehmer jede Person, für deren Tätigkeit am Arbeitsplatz ein Bildschirmgerät zur Verfügung gestellt worden ist und die dafür an einer entsprechenden Schulung teilgenommen hat.

Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ist davon auszugehen, daß der Arbeitsplatz eines Beschäftigten nur dann mit einem Bildschirmgerät ausgestattet wird, wenn dies für die Erledigung der Arbeitsaufgabe unabdingbar ist. Bestimmend ist, ob für die konkrete Tätigkeit ein grundsätzlicher Bedarf an einem Bildschirmgerät besteht. Die Empfehlerkommission löst sich mit diesem Anwendungshinweis von der zeitlichen Vorgabe für die Benutzung eines Bildschirmgerätes der Mindestvorschriften und zieht damit die Grenzen des Arbeitsschutzes noch enger.

(Teil 2, in dem es um die Anforderungen an Bildschirmarbeitsplätze und den Einsatz der richtigen Geräte geht, folgt)/*Diplomverwaltungswirtin Hildegard Schmidt ist Lehrbeauftragte für Bildschirm-Ergonomie an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung