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Bestechung soll bei Siemens gängige Praxis gewesen sein

07.05.2007
Wer auch immer das Ruder beim Siemens-Konzern übernehmen wird: Die Aufgabe wird eine echte Herausforderung. Presseberichten zufolge waren Schmiergeldzahlungen bei Siemens in mehreren Unternehmensbereichen gängige Praxis. Die Aufklärung könnte noch ein bis zwei Jahre dauern.

Mit Berufung aus "mit den internen Ermittlungen vertrauten Kreisen" schreibt die "Financial Times", bei Siemens sei die Zahlung von Bestechungsgeldern allgemeine Praxis gewesen sei. Auch sollen die bisherigen Untersuchungsergebnisse der mit der Aufklärung betrauten New Yorker Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton darauf hindeuten, dass die Schmiergeldzahlungen keine Einzelfälle gewesen und mehrere Abteilungen betroffen seien. Die FT zitiert einen Informanten mit der Aussage: "Es gab eine allgemeine Praxis. Ich weiß nicht, wie man ein System definiert und kann deshalb nicht sagen, ob ein System hinter den Zahlungen stand. Aber es war kein einmaliger Ausrutscher. Und es betraf verschiedene Divisionen – ich hoffe, dass es nicht alle sind."

Vor rund einem Monat hatte der Konzern eingeräumt, dass die verdächtigen Zahlungen von insgesamt 426 Millionen Euro noch nicht das Ende der Fahnenstange seien. Die internen Ermittler hätten erst damit begonnen, sich auch in anderen Unternehmensbereichen abseits der zurzeit am stärksten betroffenen Com-Sparte umzusehen. Auch die US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) hatte formelle Untersuchungen eingeleitet.

"Dies ist ein beispielloser Vorgang", zitiert das britische Wirtschaftsblatt einen Analysten, der seinen Namen nicht preisgibt. Normalerweise liege der Level bei Bestechungsskandalen nicht über zehn Millionen Dollar, die zu zahlende Geldstrafe pegele sich dabei meistens bei rund 40 Millionen Dollar ein. Angesichts des Ausmaßes des Skandals bei Siemens könnten aber Strafen in Milliardenhöhe fällig werden.

Unterdessen läuft in der Münchner Zentrale unter der Leitung von Aufsichtsratssprecher Gerhard Cromme die Suche nach einem Nachfolger für den scheidenden Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld, dem bislang keine Verwicklung in den Schmiergeldskandal nachgewiesen werden konnte. Nicht bestätigten Gerüchten zufolge soll dem Aufsichtsrat schon in wenigen Wochen eine Liste mit möglichen Kandidaten vorgelegt werden. Als Favorit gilt nach wie vor Wolfgang Reitzle, Vorstandsvorsitzender der Linde AG. Der hat zwar offiziell abgesagt, doch niemand weiß derzeit, wie dieses Nein einzuschätzen ist. Insbesondere die Siemens-Aufsichtsräte Josef Ackermann von der Deutschen Bank und Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle haben gute Argumente: Ihre Unternehmen sind mit 20 Prozent an der Linde AG beteiligt.

Wie die deutsche Financial Times schreibt, sind neben Reitzle der schwedische Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns Vattenfall (Lars Josefsson) und Bosch-Firmenlenker Franz Fehrenbach mögliche Kandidaten. Als Alternative wird außerdem ABB-Sanierer Fred Kindle genannt, der bei Investoren und Aktionären großes Vertrauen genießt. Auch der ehemalige Volkswagen-Manager Wolfgang Bernhard war mehrmals im Zusammenhang mit dem Siemens-Vorstandsvorsitz genannt worden. (hv)