Fakultätentag Informatik warnt vor Niveauabfall in Ausbildung und Forschung:

Beste Zukunftsaussichten - unerträgliche Studienbedingungen

16.04.1981

BRAUNSCHWEIG (pi)- Ohne einen weiteren Ausbau der Informatik-Fachbereiche an den Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen kann der an sich begrüßenswerte große Zuwachs an Studienanfängern bald nicht mehr verkraftet werden. Mit dieser eindringlichen Warnung wendet sich der Fakultätentag Informatik an die Öffentlichkeit. In ihm sind fünfzehn Universitäten und wissenschaftliche Hochschulen zusammengefaßt, die Diplom-Informatiker ausbilden. Zulassungsbeschränkungen (NC) oder ein Niveauabfall in der Ausbildung - diese sich abzeichnenden Folgen der jetzigen Entwicklung wären - so der Fakultätentag - beide gleichermaßen absurd. Dies insbesondere angesichts des auf viele Jahre hinaus ohnehin kaum zu befriedigenden Bedarfs der Schlüsseltechnologie Computertechnik und Datenverarbeitung an qualifiziertem Nachwuchs.

Die besorgniserregende Situation in einem technologisch wie volkswirtschaftlich entscheidenden Bereich veranlaßt den Fakultätentag Informatik, die politisch verantwortlichen Landesregierungen aufzufordern, die notleidenden Fachbereiche mit zusätzlichen Sachmitteln und Hochschullehrerstellen auszustatten.

Da ein sinnvoller Ausbau der Informatik-Fachbereiche mit dem Auslaufen des 3. DV-Förderungsprogramms der Bundesregierung beendet wurde, verfügt die Informatik heute im wesentlichen nur über die Personalstellen und Sachmittel, die schon vor drei und vier Jahren vorhanden waren. Inzwischen haben die Informatik Bereiche 1638 Studenten im WS 1978/ 79, 2059 Studenten im WS 1979/80 und 2546 Studenten im WS 1980/81 neu aufgenommen. Dieser Steigerung von fast 25 Prozent jährlich steht bei anderen Hochschulfächern im gleichen Zeitraum nur eine Steigerungsrate von zirka vier Prozent gegenüber.

Wie unhaltbar die Lage bereits geworden ist, geht aus der alarmierenden Tatsache hervor, daß heute für rund 9450 Informatik-Studenten nur 132 Hochschullehrer zur Verfügung stehen: Ein Professor muß also etwa 71 angehende Diplom-Informatiker ausbilden! Das kann nach Überzeugung des Fakultätentages keinesfalls ohne negative Auswirkungen auf die Qualität der Ausbildung bleiben. Ein akademisches Studium der Informatik verlangt vom Studenten unter anderem ein hohes Maß an mathematischtechnischen sowie organisatorischen Kenntnissen und Fähigkeiten. Diese können nicht allein in Vorlesungen und Seminaren erworben werden, es ist vielmehr eine intensive persönliche Betreuung jedes einzelnen Studenten bei Übungen, Praktika und Projekten notwendig. Deshalb kann das heutige krasse Mißverhältnis zwischen Anzahl der Professoren und Anzahl der Studenten auf die Dauer nicht hingenommen werden.

Steigende Anfängerzahlen

Die steigenden Anfängerzahlen beweisen, daß viele junge Menschen die Rolle der Informatik als Schlüsseltechnologie erkannt haben. Noch 1980 hat der Deutsche Industrie- und Handelstag in einer größeren Stellungnahme zu "Studium oder Berufsausbildung" festgestellt: "Trotz der realen Zunahme der Zahl der Studienanfänger und Hochschulabsolventen insgesamt hat in den letzten Jahren die Zahl der Anfänger und Absolventen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften abgenommen. Tatsächlich haben nach den Grund- und Strukturdaten des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft im Jahre 1975 rund 38300 Studenten und 1979 nur noch rund 36200 Studienanfänger sich für ein Natur- oder ingenieurwissenschaftliches Studium entschieden. Die Informatik stellt also heute etwa sieben Prozent der Studienanfänger dieses für die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit so wichtigen Bereiches.

Viel Unkenntnis der Sachlage und vor allen Dingen eine falsche Einschätzung der Zukunftsperspektiven hat die heutigen Probleme verursacht. Während Absolventen vieler Fachrichtungen in einem weitgehend gesättigten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz suchen müssen, können frischgebackene Diplom-lnformatiker aus einem reichen Reservoir offener Stellen schöpfen. Aus analysierenden Veröffentlichungen der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg geht hervor, daß es die meisten Firmen inzwischen aufgegeben haben, ihre offenen Stellen für qualifizierte Informatiker den Arbeitsämtern überhaupt noch zu melden, da auf diesem Wege kaum noch Stellenbesetzungen zustande kommen. Daher ist es auch praktisch unmöglich das wirkliche Reservoir an offenen Stellen für Diplom-lnformatiker auch nur näherungsweise zu schätzen.

Aus neueren Bedarfsprognosen, so unter anderem auch aus einer vom Bundesministerium für Forschung und Technologie initiierten Studie über die "Auswirkungen des technischen Fortschritts auf dem Arbeitsmarkt" geht hervor, daß die guten Berufsaussichten nicht ein vergängliches Nebenprodukt der durch Computer und Mikroprozessoren ausgelösten Innovationswelle sind. Die Ursachen liegen viel tiefer. Kaum eine heute angebotene akademische Ausbildung kann auf so vielen völlig unterschiedlichen Arbeitsfeldern so nutzbringend eingesetzt werden wie die Informatik. Zwar liegt heute der Schwerpunkt der Ausbildung noch auf den Methoden der technischen Entwicklung und Beherrschung von Rechner-Systemen, insbesondere was einen effizienten Einsatz von Rechnern, Mikroprozessoren und Software betrifft. In Zukunft ist aber damit zu rechnen, daß Diplom-lnformatiker wegen ihrer fundierten Kenntnisse auf nahezu allen Gebieten der Informationsverarbeitung zunehmend auch Führungsfunktionen übernehmen müssen, die nicht primär mit DV-Leistungen verknüpft sind.

Kaum zu sättigender Bedarf

Die außerordentliche Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten von Computern sind für Wirtschaft und Industrie eine ständige - und bleibende! Herausforderung. Eine Ersatztechnologie gibt es nicht. Daher muß im Bereich der Informatik ein hoher Standard angestrebt und gehalten werden. Die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht leisten, den in den 70er Jahren von Bund und Ländern mit großer Anstrengung begonnenen Aufbau der Informatik in Forschung und Ausbildung einfach abzubrechen und das bereits Erreichte durch unerträgliche Studienbedingungen die auch gravierende negative Auswirkungen auf die Forschung haben, zu gefährden.

Der Fakultätentag Informatik fordert die zuständigen Minister daher nachdrücklich auf, sich für den ganz besonders zukunftsträchtigen Bereich der Informatik einzusetzen. Es ist ein Gebot der planerischen Vernunft, ein solches Fach mit den besten Zukunftsaussichten und einem auf lange Sicht kaum zu sättigenden Bedarf an hochqualifizierten Absolventen stärker in Ausbauüberlegungen einzubeziehen.

Im Fakultätentag Informatik sind die Universitäten und Technischen Hochschulen zusammengeschlossen, die im Rahmen eines wissenschaftlichen Studiums Diplom-Informatiker ausbilden. Zur Zeit sind dies die fünfzehn Universitäten und Technischen Hochschulen in Aachen, Berlin, Bonn, Braunschweig, Darmstadt, Dortmund, Erlangen, Frankfurt, Hamburg, Kaiserslautern, Karlsruhe, Kiel, München, Saarbrücken und Stuttgart. Der Vorsitzende ist Prof. Dr. R. Vollmar, am Lehrstuhl für Informatik an der Technischen Universität Braunschweig.

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