Bessere Kooperation mit den Anwendern ist erforderlich Vom Monopol zur Dienstleistung: Die neue Identitaet der DV/Org.- Abteilung

17.09.1993

Die zentrale DV/Org.- Abteilung ist in vielen Unternehmen in die Kritik geraten. Ihre Abloesung scheint mittlerweile auch technologisch denkbar. Um dem vorzubeugen und das erworbene Know- how zu erhalten, empfiehlt Rainer Seidel*, die DV/Org. als kundenorientiertes Unternehmen zu fuehren und zu entlohnen.

Die dramatischen Veraenderungen im Bereich der Informationstechnologie (IT) haben in der scheinbar so heilen Welt der traditionellen DV/Org. zu grossen Irritationen gefuehrt. Die Revolution im PC-Bereich, die maechtigen und auch DV-Laien zugaenglichen Softwarewerkzeuge, aber auch die gestiegene Kompetenz externer Anbieter setzen mo- nopolistischen DV-Strukturen maechtig zu.

Hier zeigen sich dem Anwender sowohl Wege fuer eine individuelle Erweiterung der DV-Nutzung als auch ein Ausweg aus vorhandenen Abhaengigkeiten. Gerade diese Abhaengigkeit gegenueber frueheren Informatikmonopolen, der Zorn ueber die allzu geringe Einflussnahme in diesem Bereich hatte das Klima zwischen Anwender und DV/Org. in den vergangenen Jahren derart belastet, dass die Gefahr einer irrationalen Trennung heraufbeschworen wurde.

Obwohl bei den damaligen technologischen Moeglichkeiten eine Know- how-Konzentration noetig und auch berechtigt war, hat man dem DV/Org.-Bereich diese Konzentration der "Macht durch Instrumente" zwar notgedrungen eingeraeumt, sie jedoch nicht verziehen.

Die heutigen Moeglichkeiten der Informationstechnologie (PCs, Software-Tools, kompetente Systemhaeuser, offene Systemstrukturen, flexible Standards etc.) geben dem Anwender die Chance, das ungeliebte Monopol der DV/Org. zu brechen. Besonders intensiv wird dieser Moeglichkeit vor allem dann nachgegangen, wenn die DV- Verantwortlichen Missbrauch mit ihrer - nicht erarbeiteten, sondern zugefallenen - Macht betrieben haben.

Die Abkehr der Anwender von der hauseigenen Zentral-DV hat also mehr historisch-emotionale als technologisch-rationale Ursachen. Dass sie in der Konsequenz zu einer ungeheuren Verschwendung angesammelter, hausinterner Kompetenz fuehrt, wird - auch aus Unkenntnis der DV-Materie - nicht erkannt oder gar verdraengt. Zu verlockend erscheint dem Management des Anwenders die lang ersehnte Losloesung vom ungeliebten Informatikmonopol, auch wenn sich daraus neue Abhaengigkeiten ergeben.

Es wird sich jedoch in den kommenden Jahren kein Unternehmen leisten koennen, in der Entwicklung der neuen Informationstechnologie des Hauses Umwege in Kauf zu nehmen. Gerade die DV-Verantwortlichen wissen nur zu gut, dass es enormer Anstrengungen bedarf, dem rasanten Fortschritt der Technologierevolution zu folgen, geschweige denn, ihn optimal umzusetzen.

Ein Rueckstand von ein bis zwei Jahren wird in Zukunft nicht mehr aufzuholen sein. Die Wettbewerbsfaehigkeit des Unternehmens - zu einem wesentlichen Teil durch die Qualitaet der Organisation und Information beeinflusst - wird nachhaltig unter einem solchen Rueckstand leiden.

Diese Erkenntnis setzt sich jedoch beim Management der Anwender nur sehr zoegernd durch, so dass der Zwang zur gemeinsamen Bewaeltigung der zukuenftigen Anforderungen nicht erkannt und somit dem Wunsch nach Eigenstaendigkeit zu leicht nachgegeben wird.

Hier liegt die hohe Verantwortung der DV/Org.-Leitung, der fatalen Abnabelung entgegenzusteuern.

Natuerlich werden dagegen sofort die Argumente der DV/Org.-Gegner zu hoeren sein, dies alles sei nur die vorgeschobene Argumentation zur Erhaltung der monopolistischen Machtstrukturen.

Diesem Vorwurf hat sich die DV/Org. zu stellen, zumal sie ja selbst durch eigenes Fehlverhalten im Umgang mit der Macht die Kritik auf sich gezogen hat. Fuer den DV/Org.-Bereich ergibt sich die Aufgabe, die unverzichtbare Gemeinsamkeit im Unternehmen aus freien Stuecken und durch ueberzeugendes Verhalten herbeizufuehren.

Das Festhalten an bestehenden Machtpotentialen und der Einsatz DV- technischer Druckmittel wird nicht die geringste Aussicht auf Erfolg haben. Jedem Anwender bieten sich heute - wenn auch nicht immer sinnvolle - Alternativen zur zentralen DV/Org., die er unweigerlich einsetzen wird, sollten sich die Informatikprofis nicht neuer Verfahren im Umgang mit den Anwendern bedienen.

Technologiewandel macht DV/Org. weiterhin noetig

Der erste, wesentliche Schritt auf dem Weg zur Gemeinsamkeit liegt in der freiwilligen Abschaffung der monopolistischen Strukturen, denn gemeinsames Vorgehen kann nur auf der Basis einer gleichwertigen Partnerschaft basieren. Die Installation eines Profit-Centers DV/Org. kann der entscheidende Ansatz sein. Die Umwandlung der DV/Org. von der diktatorischen Zentrale zum Dienstleitungsunternehmen hat eine normale Kunden-Lieferanten- Beziehung zur Folge, die sich durch eingeuebten betriebswirtschaftlichen Umgang miteinander auszeichnet.

Der Zwang zu unternehmerischem Verhalten, der Kampf um Auftraege fuehren zu verbesserter Kundenorientierung, ja zu einer - bisher voellig vernachlaessigten - Form des DV-Marketings. Den Kunden zufriedenstellen heisst Folgeauftraege zu sichern und den Bestand des Unternehmens DV/Org. langfristig zu gewaehrleisten.

Aber auch der Anwender muss die legitimen und notwendigen Zwaenge der DV/Org. respektieren lernen, will er auf Dauer nicht einen wichtigen Dienstleister im Bereich der Informationstechnologie verlieren. Die neue unternehmerische Zielsetzung des DV-Bereiches verlangt also notgedrungen die Identifikation mit den Zielen des Anwenders. Hier liegt die Basis der zukuenftigen - so notwendigen - Gemeinsamkeit.

Dieses neue Selbstverstaendnis und die neue Aufgabenstellung an die ORG/DV koennen nicht verordnet werden. Es ist das gesamte Team, jeder einzelne Mitarbeiter aufgerufen, den Prozess der Oeffnung aktiv zu betreiben. Der Zwang zur Veraenderung liegt in der Erkenntnis, dass ein Sperren gegen jedwede Gemeinsamkeit und ein Verteidigen des DV-Monopols die drohende Abnabelung des Anwenders nur beschleunigt. Mag dies noch so fatal sein, es nuetzt am allerwenigsten der DV/Org. selbst.

Jeder Mitarbeiter muss also den freiwilligen Machtverzicht bewusst und aktiv betreiben, will er - dies ist durchaus legitim - seinen heute noch hohen Marktwert auf Dauer halten oder gar steigern.

Nur die Veraenderung hin zum unternehmerisch denkenden Mitarbeiter wird eine nachhaltige Akzeptanz der neuen Rolle der DV/Org. bewirken. Hier liegt die grosse Identitaetskrise eines Berufszweiges, der sich bisher solchen Marktregularien nicht zu stellen hatte.

Die Forderung unternehmerischen Denkens und Handelns schliesst das Prinzip der Erfolgsbeteiligung ein. Projekt-Praemien-Systeme werden in der Zukunft stark an Bedeutung verlieren und muessen durch ergebnisabhaengige Entlohnung je nach dem Unternehmenserfolg ersetzt werden.

Ein solches Vorgehen verlangt jedoch eine hohe Eigenverantwortung des einzelnen und des Teams. Allein die Spitze der DV/-Org. als Unternehmen zu strukturieren reicht nicht aus, da die direkte Einflussnahme jedes einzelnen Mitarbeiters dann zuwenig gegeben ist.

Die ergebnisabhaengige Praemie wird sich nach hoechstens zwei bis drei Jahren als Motivationsschub zur Veraenderung abgenutzt haben. Nur die Moeglichkeit des eigenen unternehmerischen Gestaltens - mit aller Verantwortung fuer Kosten und allem Risiko bei Innovation und Investition - schafft auf Dauer die neue Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen DV/Org.

Auch die Rolle des DV-Managements wird sich wesentlich veraendern muessen. Hier ist strategische, marktorientierte Unternehmensfuehrung in der Zukunft mehr gefragt als die direkte Bearbeitung anstehender Projekte (dies wird die Aufgabe eigenstaendig agierender Teams sein). Produkt- und DV-Marketing muessen erlernt werden. DV-Controlling ist genauso unerlaesslich geworden wie aktive, vertriebliche Taetigkeit.

Die Pflichten der Anwender

Die Koordination der zentralen Aufgaben mit den unternehmens- individuellen Weiterentwicklungen wird einen hohen Anteil der neuen Aufgabenstellung ausmachen. Diese so dringend notwendige Koordination sehen Anwender leider noch zu haeufig als neue Form der Gaengelung an. Es bedarf grossen diplomatischen Geschicks, die neue Funktion zu vermitteln.

Beratung, Consulting und Koordination sind neue Aufgaben, die ihren Preis haben und als unverzichtbare Taetigkeiten vom Anwender erst noch akzeptiert (und bezahlt) werden muessen.

Erkennt man weiterhin, dass die Revolution der IT in der Zukunft nur von solchen Mitarbeitern bewaeltigt werden kann, die eine hohe Grundkompetenz besitzen, muss den DV-Mitarbeitern bei allem anstehenden Wettbewerb nicht bange werden.

Die Know-how-Schere zwischen Profis und Seiteneinsteigern wird sich in noch erheblich oeffnen. Die Fuelle der Neuerungen wird nur durch hohe DV-Kompetenz zu bewaeltigen sein.

Sich von alten Machtstrukturen zu loesen, muss also in keiner Weise Zukunftsaengste bei DV-Mitarbeitern hervorrufen; das Festhalten am Gewohnten koennte jedoch den psychologisch so enorm notwendigen Aufbau von Gemeinsamkeit und Gleichwertigkeit zunichte machen. Die Veraenderung der Informatiklandschaft verlangt den Anwendern mehr Lernprozesse und Weitblick ab. Je mehr unternehmens-individuelle DV-Loesungen notwendig werden, um so entscheidender - gerade in einem Unternehmensverbund - ist die Koordination von Datenstrukturen, Basisloesungen und deren Weiterentwicklung. Hier bleibt eine hohe Abhaengigkeit von der zentralen DV/Org. bestehen - ob die Anwender dies moegen oder nicht. Die neue Zielsetzung liegt in der Ergaenzung und Weiterfuehrung bestehender DV-Investitionen und nicht etwa in deren Abloesung.

Die Anwender werden einen Teil der gestiegenen DV-Anforderung als eigene Aufgabe ansehen muessen. Weiterfuehrung und Ergaenzung der Basisloesungen zu einer unternehmensindividuellen Gesamtloesung braucht das Know-how des Anwenders vor Ort. Es wird ihm in Zukunft nicht mehr moeglich sein, seine DV/Org.-Probleme am Informatikschalter abzugeben, sondern er wird in eigener Verantwortung und mit weiterfuehrender Kompetenz einen wesentlichen Teil zur Loesung beitragen muessen.

Dies setzt die Erkenntnis voraus, sich gemeinsam zu definierenden Spielregeln unterzuordnen und Restriktionen durch schon bestehende Loesungen zu akzeptieren und einzuhalten. Wird der Umweg ueber die Abnabelung gewaehlt, wird alles notwendige Wissen noch einmal erworben werden muessen. Die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg verantworten die Anwender, nicht der Bereich DV/Org. Beiden Seiten wird heute ein hohes Mass an neuer Beweglichkeit abverlangt.

Rainer Seidel: Kein Unternehmen wird es sich leisten koennen, Umwege in Kauf zu nehmen.

*Rainer Seidel ist Leiter Organisation, Projekt-Management und Software-Entwicklung bei der Unternehmensgruppe Schieder-Moebel, Schieder-Schwallenberg.