Beschäftigungsgesellschaft: Wackelige Brücke zum neuen Job

09.04.2003
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Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Mit der Krise kehren auch die Beschäftigungsgesellschaften zurück, die Mitarbeiter vor ihrer endgültigen Entlassung weiterbilden und in neuen Jobs unterbringen wollen. Ein staatlich gefördertes Modell, dessen Erfolg aber von vielen Faktoren abhängt, wie das Beispiel Siemens zeigt.

„Aus meiner Erfahrung kann ich nur jedem empfehlen, der noch einen unbefristeten, ungekündigten Arbeitsvertrag hat, dem Druck des Arbeitgebers nicht nachzugeben und nicht in eine Beschäftigungsgesellschaft zu wechseln, denn sie bedeutet nichts anderes als bezahlte Arbeitslosigkeit. Der Schritt zurück in den ersten Arbeitsmarkt ist umso schwieriger, je älter man ist.“ Dieses Zitat aus einem Internet-Forum zeigt, wie groß die Skepsis gegenüber Beschäftigungsgesellschaften ist.

In den Augen von Arbeitsmarktforschern haben Beschäftigungsgesellschaften den Vorteil, dass ihre Mitarbeiter leichter einen neuen Job finden als arbeitslos gemeldete Personen. Dazu Matthias Knuth, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Institutes für Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen: „Mitarbeiter in Beschäftigungsgesellschaften können sich noch aus einer ungekündigten Stellung bewerben und tragen nicht das Stigma der Arbeitslosigkeit.“

Das Prinzip der Beschäftigungsgesellschaften

Seit Unternehmen Arbeitsplätze im großen Stil abbauen, sind Beschäftigungsgesellschaften wieder im Kommen. In diesen betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheiten (beE), die die Firma selbst oder ein spezialisierter Dienstleister betreiben kann, werden die ehemaligen Mitarbeiter bei der Jobsuche begleitet und weiterqualifiziert. Die Beschäftigungsgesellschaften gehören dem so genannten zweiten Arbeitsmarkt an, wenn sie ihre Kosten weniger durch eigenen Umsatz, sondern vor allem aus öffentlichen und privaten Zuschüssen finanzieren. So fördert die Bundesanstalt für Arbeit diese Modelle, indem sie den betroffenen Mitarbeitern ein strukturiertes Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 bis maximal 67 Prozent ihres bisherigen Nettogehaltes zahlt - den Rest legt der Arbeitgeber drauf. In der Regel verdienen Mitarbeiter etwa 80 Prozent ihres Nettogehaltes. Eine beE kann zwölf bis 24 Monate bestehen. Wer danach keinen neuen Job gefunden hat, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld - und zwar berechnet auf das Einkommen, das er vor Eintritt in die beE bezogen hat.

Erfunden wurden die Beschäftigungsgesellschaften Ende der 80er Jahre, als Konzerne wie Grundig diese einrichteten. In der Vergangenheit konnten zum Teil 70 bis 80 Prozent der Mitarbeiter binnen des ersten halben Jahres in einen neuen Job vermittelt werden. Vor allem große Unternehmen nutzen dieses Instrument, das trotz der staatlichen Teilfinanzierung durch strukturiertes Kurzarbeitergeld eine entsprechende Finanzkraft, Infrastruktur und Arbeitsmarkt-Know-how erfordert.

Ein aktuelles Beispiel findet sich im Siemens-Konzern. Nachdem das Netzwerkgeschäft um 40 Prozent eingebrochen ist, reduziert die Netzwerksparte ICN die Belegschaft bis Ende 2003 weltweit um ein Drittel auf 34 000 Beschäftigte). Die betroffenen Mitarbeiter in der Münchner ICN-Zentrale an der Hofmannstraße mussten sich zwischen einem Aufhebungsvertrag oder dem Wechsel in eine Beschäftigungsgesellschaft entscheiden, die bei Siemens allerdings die offizielle Bezeichnung betriebsorganisatorisch eigenständische Einheit (beE) trägt. Andernfalls drohte die betriebsbedingte Kündigung.

418 ICN-Mitarbeiter wählten Ende des vergangenen Jahres die Alternative beE. Die Leiterin der Einrichtung, Kerstin Wagner, erklärt den feinen Unterschied zwischen Beschäftigungsgesellschaft und der beE: Der Begriff Beschäftigungsgesellschaft führe in die Irre, weil er Arbeit im üblichen Sinne suggeriere. Hauptaufgabe der beE-Mitarbeiter sei es, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Zwischen Grünpflanzen und Papiersonnenblumen können sie in den hellen Räumen der beE im Netz oder an den schwarzen Brettern nach offenen Stellen Ausschau halten.

Insgesamt stehen 80 Computerarbeitsplätze zur Verfügung, die auch ausreichen, da keine Anwesenheitspflicht für die beE-Mitarbeiter besteht. Hauptsache, sie halten den Kontakt zu ihrem persönlichen Berater aus der Siemens-Personalabteilung. „Wir begleiten unsere Mitarbeiter bei ihrer Jobsuche und versuchen, sie möglichst schnell wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Die schnelle Vermittlung hat Priorität vor einer langen Qualifizierung. Uns ist bewusst, dass die Vermittlung umso schwieriger wird, je länger die Beschäftigten in der beE sind“, sagt Wagner. Sie und die anderen Personalexperten, die die beE-Mitarbeiter betreuen, sitzen mit den Jobsuchenden im gleichen Raum. Auch sie fahnden im Internet nach Offerten oder kontaktieren Partnerfirmen, denen sie Profile von passenden Kandidaten schicken können.

Bewerbungsgespräche trainieren

Wichtiger Bestandteil des beE-Angebotes sind Bewerbungs-Workshops: angefangen von der eigenen Standortbestimmung („Was kann ich? Was will ich?“) über die Erstellung der Bewerbungsunterlagen und dem Aufzeigen der unterschiedlichen Wege der Jobsuche bis zum Interviewtraining. Maßnahmen, die auch Siemens-Betriebsrat Gerd Petzold begrüßt, zumal viele der Betroffenen sich seit Jahren nicht mehr extern beworben haben, sondern nur innerhalb des Konzerns wechselten: „Und hier reichte eine Kurzbewerbung in der Regel aus.“

Allerdings kritisiert Petzold, der als einer von drei Arbeitnehmervertretern im Beirat der beE sitzt, dass nicht geklärt ist, ob bereits die Bewerbungsseminare aus dem Weiterbildungstopf bezahlt werden müssen. Wäre dies der Fall, würde das Qualifizierungsbudget von maximal 4000 Euro pro Mitarbeiter schon angegriffen, bevor die eigentliche Weiterbildung beginnt.