Berufsbild im Wandel: Softwareentwickler

30.06.2008
Kundenorientierung, Branchenwissen und Rundum-Blick sind gefragt, wenn man sich behaupten will.

Elitäre Softwareschmieden waren gestern. Internationaler Wettbewerb und weltweiter Preisdruck verlangen vielmehr nach globalen Entwicklungsfabriken. Industrialisierung und Standardisierung treten an die Stelle von spezialisierten Einzellösungen. Es wird eng in der Produkt- und Systementwicklung: Rasant wachsende asiatische Anbieter verstärken den Preisdruck und machen auch für hiesige Hersteller Offshoring oder Nearshoring in Niedriglohnländern überlebenswichtig.

Der Bedarf an industrieller, klassischer Softwareentwicklung in Hochlohnländern wie Deutschland sinkt daher kontinuierlich. Damit ändert sich auch das Anforderungsprofil für Softwareentwickler. Nur wer sich auf die neuen Bedingungen einstellt, kann die Not zur Tugend machen. Denn nach wie vor meldet der Branchenverband Bitkom 60 000 offene IT-Stellen allein in Deutschland. Gesucht sind kundenorientierte Mitarbeiter mit starkem Fach- und Branchenwissen sowie der Fähigkeit, Gesamtlösungen zu entwerfen und umzusetzen.

Kaum noch lokale Großprojekte

Neben international anerkannten Zertifikaten werden auch örtliche sowie inhaltliche Flexibilität wichtiger. Denn große lokale Entwicklungsprojekte gehören der Vergangenheit an. Heute sind kleinere, oft sogar räumlich verteilte internationale Teams Realität. Die Lohnstruktur ist dabei in erster Linie durch Qualifikation und thematische Ausrichtung der Mitarbeiter bestimmt. Während Solution Designer und Referenzexperten im internationalen Vergleich sehr gut verdienen, fällt die klassische Entwicklung von Komponenten in den Niedrigkosten-Bereich. "Vor allem die Systementwicklung für den Weltmarkt ist mittelfristig nur mit erheblichen Billiganteilen möglich. Es besteht jedoch nach wie vor ein genereller Mangel an Projekt-Managern, Solution Architects und Integrationsspezialisten für komplexe Kundenprojekte. Hier werden Leute gebraucht, die mit neuesten Methoden vertraut sind", berichtet Rolf Unterberger, Mitglied des Executive Managements bei Siemens IT Solutions and Services. Früher war er jahrelang Chef der Siemens-Softwareschmiede PSE. Der Bereich ging Anfang 2007 in Siemens IT Solutions and Services auf.

Industrialisierte Bedingungen

Diese neuen Methoden ergeben sich vor allem aus dem weiter wachsenden Trend zur industrialisierten Softwareentwicklung. So finden besonders agile Vorgehensweisen wie die iterativ-inkrementelle Entwicklung - also stufenweise Lösungsansätze mit kurzen Entwicklungszyklen - zunehmend Anwendung.

Softwarehersteller setzen zudem auf OEM-Produkte, Open Source und wiederverwendbare Komponenten. Deshalb verschieben sich die Arbeitsschwerpunkte kontinuierlich weg von der Grundlagenentwicklung hin zum Engineering, der Integration und Architektur. Aufgrund der steigenden Komplexität und Schnelllebigkeit der Technologien gewinnen dabei auch Consulting-Tätigkeiten immer größere Bedeutung. Reine Codierungsskills werden in Zukunft in den Hochpreisländern eine untergeordnete Rolle spielen.

TCO wird wichtiger

Eine weitere Tendenz beeinflusst die Entwicklungsbranche erheblich: Standardisierung. Denn zur industriellen Softwareentwicklung müssen Schnittstellen zwischen den Systemen vereinheitlicht werden. So wächst auch der Druck auf die OEM-Hersteller, industriestandardkonforme Schnittstellentechnologien einzusetzen. Zudem steigt die Bedeutung von Service-orientierten Architekturen sowie der Plattformunabhängigkeit. Unterberger ist sich sicher: "Softwareentwickler werden künftig weniger entwickeln, sondern mehr parametrieren und Standardsoftware anpassen. In diesem Rahmen wird das Prinzip der Total Cost of Ownership auch für die Entwicklung wichtiger. Themen wie Einführungs- und Betriebskosten, Support und Wartung fallen künftig genauso in die Verantwortung der Softwareentwickler wie die ständige Optimierung von Prozessen und Tools."

Java ist noch immer aktuell

Neben dem genannten Methoden- und Technologiewissen entscheidet die Branchenkenntnis über den Nutzen eines Softwareentwicklers für den Kunden. Die immer engere Verflechtung von Geschäftsprozessen und IT erfordert vom modernen Softwareentwickler eine möglichst gute Kenntnis der Abläufe beim Auftraggeber. "Die drei Dimensionen Technologie, Methoden und Domänenwissen bilden die fachliche Grundlage für die Softwareentwickler der Gegenwart und Zukunft", resümiert Unterberger.

Technisches Können reicht nicht

Trotz enormer Marktumwälzungen haben sich einige Dinge in der Entwicklungswelt nicht geändert: So ist die inzwischen gute alte Programmiersprache Java immer noch aktuell. Zusätzlich bekommt jedoch die "Kundentauglichkeit" stärkeren Einfluss auf den Berufserfolg. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Softwareentwickler allein über ihr technisches Können definierten und dieses beim Tüfteln im Hinterzimmer pflegten.

Solche Profile wird man nur noch in wenigen spezialisierten, konzerneigenen Entwicklungsbereichen finden. Entwickler bei IT-Dienstleistern hingegen müssen ihre Leistungen zunehmend auch vor dem Kunden präsentieren und ihn beraten können. Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit, Konflikt-Management und Verhandlungsgeschick sind heute unumgänglich. Und das gilt nicht nur für die Beziehung zum Kunden, sondern auch für die Arbeit in multikulturellen, räumlich verteilten Teams - vor allem in den Definitionsphasen.

Agiles Projekt-Management

Immer wichtiger wird ein agiles Projekt-Management, das beispielsweise Scrum oder ähnliche Prozesstechniken umfasst. Dadurch lassen sich kürzere Entwicklungszyklen realisieren und der Dokumentationsaufwand senken.

Qualität wird auch in der Softwareentwicklung nicht mehr allein durch anspruchsvolle technische Lösungen definiert, sondern auch durch schnelle Marktreife und niedrige Kosten. Im Vordergrund steht also nicht mehr die technische Machbarkeit, sondern die Fähigkeit der Mitarbeiter, immer an den Kundennutzen zu denken.

Auch wenn die Entwicklung verstärkt in Richtung Allrounder geht, sind in einigen Teildisziplinen Tendenzen zu einer steigenden Professionalisierung erkennbar. Schon heute kristallisieren sich die spezialisierten Berufsbilder Tester, Configuration-Management-Spezialist, Requirements Engineer, Architekt oder Usability Engineer heraus.

Ausgeklügeltes Prämiensystem

Um professionelle Softwareentwickler zu gewinnen, reicht es für Hersteller wie Siemens IT Solutions and Services nicht mehr aus, sich auf lokale Stellenausschreibungen zu konzentrieren. Siemens-Manager Unterberger zählt die vielfältigen Personalmaßnahmen des Konzerns auf: "Wir machen mit klassischer Werbung und Medienarbeit in unterschiedlichen Ländern auf uns aufmerksam, nutzen die guten Kontakte zu Universitäten sowie unsere Programme zur Bindung von Studenten. Um neue Mitarbeiter zu gewinnen und der Fluktuationsgefahr entgegenzutreten, schaffen wir Anreize im Rahmen von Social-Benefit-Programmen oder Prämiensystemen."

Weiterbildungsbedarf

Da passende Neulinge gerade in Zeiten des Fachkräftemangels schwer zu finden sind, setzen Unternehmen auf die Weiterbildung ihrer bestehenden Mitarbeiter. So legt Siemens jährlich die Entwicklungsziele für seine Beschäftigten individuell fest. Häufig stehen dabei Soft Skills wie Verhandlungstechniken oder Gesprächsführung sowie das Branchen-Know-how im Fokus. Angeboten werden jedoch auch Fach- und Methodenschulungen mit Schwerpunkten auf Architektur, Requirement Engineering und agilen Methoden zum Projekt-Management. Hinzu kommen die Unterstützung bei und die Forcierung von Zertifizierungen sowie die Marktnähe durch aktive Teilnahme an Messen und Kongressen. (hk)