Spree-Athen bietet neben finanziellen Vergünstigungen DV-Know-how

Berlin als Sprungbrett für eine Karriere m der DV

20.10.1989

Berlin ist mehr als eine Reise wert. Gut ausgebildete DV-Mitarbeiter sowie Wirtschafts- und Standortgründe sollen bundesdeutsche Unternehmen - ganz abgesehen von finanziellen Anreizen - nach Spree-Athen locken. Gotthard von Törne, Personal- und Unternehmensberater für Technik, Information und Zeitmanagement, München, schlägt vor, Berlin - wenigstens vorübergehend - als "Lernstadt" anzusehen.

Das Bild vom Organismus läßt sich erfolgreich auf Unternehmen, Regionen und Staaten anwenden. Für Beginn, Wachstum, Entwicklung und Überleben von Einheiten ist ein Austausch, das heißt Zu- und auch Abfluß zu den umgebenden und dazugehörigen Elementen und Systemen Existenzgrundlage.

Am Standort Berlin, der in allen Varianten äußerst pulsierend ist, fehlt aber gerade dieser ungehinderte gleichmäßige Zu- und Abfluß. Abgesehen von den

planbaren und auch durch Verordnung steuerbaren Wirtschafts- und Finanzfaktoren ist

durch Lage, Umfeld und politische Besonderheit des Standortes der stetige Zustrom aus dem Bundesgebiet an Arbeitnehmern nicht gegeben.

Die innovativen und High-Tech-Unternehmen aller Größen, aber besonders die Neugründungen, die im Durchschnitt der letzten Jahre, neben München am häufigsten dort entstanden sind leiden besonders darunter.

Berlin als europäische Nahtstelle

Für den Markt der EDV, Soft- und Hardware, der als Produktions- und als Dienstleistungsmarkt gegenüber anderen Branchen in vielen Segmenten stark wächst, ist dieses Thema allgegenwärtig. Andererseits konzentrieren sich besonders zahlreiche, kleine, neugegründete Unternehmen in verschiedenen besonders stark wachsenden Segmenten dieses Marktes am Standort Berlin. Will man diese Stadt strategisch erhalten, entwickeln und in seiner historischen Dimension als europäische Nahtstelle mit einer Perspektive versehen, zum Beispiel, dadurch daß ihre Wirtschaft, vor allem in umweltverträglichen Bereichen wächst, dann sind für das Wachstum neue Ideen gefordert.

Denn besonders oft fehlen für Schlüsselfunktionen oder Führungspositionen auf der zweiten oder dritten Ebene qualifizierte Kandidaten. Diese müssen bereits mit erworbenen Erfahrungen und zusätzlichem Wissen in der ersten Aufbauphase hinzustoßen, um junge Hochschulabsolventen und meist jüngere Mitarbeiter anzuleiten oder bei Kunden und Partnern als akzeptable und routinierte Gesprächspartner aufzutreten.

Sie müssen Dynamik, Einsatzbereitschaft und Lernwillen um verfügbares Know-how ergänzen. Andererseits ist gerade in Start-up-Companies die unumgängliche Personalentwicklung eher kapital- und zeitverschlingendes Risiko im Überlebenskampf der Startphase und in der Zeit der ersten Konsolidierung. Unternehmen, die in die Größenordnung größer als 10 Mitarbeiter hineingewachsen sind, geraten andererseits substantiell in eine Aufzehrungssituation, wenn sie zu den Gründerpersönlichkeiten keine neuen, aber eingliederungsbereite, erfahrene Mitarbeiter gewinnen können.

Dabei sind gerade nicht die ehrgeizigen Highflyer mit Sprengkraft gefragt, sondern die unternehmensdienenden Fach- und Funktionsträger, die sich in das ganz spezifische Umfeld und in die Ungeordnetheit (Chaos) der Kleinunternehmen aufbauend und integrierend einbringen.

Schlüsselwort Erfolgsbindung

An dieser Forderung scheitert aber die naheliegende Erwartung, diese Aufgabe regelmäßig als Chance und Herausforderung auf entwicklungswillige Mitarbeiter oder Führungskräfte aus den ansässigen Großunternehmen übertragen zu wollen.

Die Kultur der Großunternehmen - gebremste Dynamik, Arbeitsteiligkeit, langwierige Lern- und Kommunikationsprozesse, gesamtwirtschaftliche Relevanz und dadurch

Risikoabsicherung, Betriebsverfassungskompetenz... etc. - muß zwangsläufig zu einer anderen Art von Mitarbeiter führen, auch erfolgreichen, die in den konträren Strukturen und Arbeits- und Lebensphilosophien der Kleinunternehmen keine Eintrittsbegründungen und oft auch keine Akzeptanz finden; nicht zuletzt im finanziellen Bereich, wo nicht Garantie, sondern Erfolgsbindung das Schlüsselwort ist.

Die Brisanz liegt einerseits darin, daß Wachstum nicht ohne das Erreichen von Größe denkbar ist, und daß auf der andern Seite die Großen meist die Partner und Kunden der Kleinen sind. Die Großen fordern beim Verhandlungsstil, Organisations-, Qualifikationserfordernissen und selbstverständlich bei den strukturierten Qualitätserwartungen die Einhaltung ihrer Normen. Dies gilt im besonderen Maße dort, wo kleine Entwicklungsunternehmen als sogenannte OEM-Partner auftreten.

Gemeint ist, daß Großunternehmen aus Marktrisiken, fehlender Wirtschaftlichkeit für Großinvestitionen oder nicht verfügbarer Kapazitäten für Spezialentwicklungen als Auftrags- oder Lizenzentwicklungen Komponenten oder Komplettsysteme nach draußen vergeben. Dadurch wird bei verschiedenen Partner vermarktbares Entwicklungs-Know-how als ständiger OEM-Entwicklungspartner mit Perspektive und Eigenpotential aufgebaut.

Reservoir für den Mitarbeiterbedarf kann aus all diesen Erfordernissen heraus nicht das Berliner -Potential alleine sein, sondern muß den Wettbewerb und das enorme Mittelstandspotential in Deutschland und Europa einschließen.

Für dieses Thema hält Berlin ein ganzes Bündel bekannter, überwiegend finanzieller Anreize bereit - Berlinpräferenz der Einkommenssteuer, Umzugsübernahme und -Hilfen, Familienunterstützung, erhebliche Weiterbildungsförderung, Fahrt- und Flugkostenübernahme... - die aber nur sehr schwer die zentralen und meist persönlich empfundenen Hindernisse beseitigen können.

Integration in der Nachkriegsphase

An diesem Dilemma setzt die Überlegung an, Berlin als "Lernstadt", durchaus zeitlich befristet, anzusehen. Das heißt, daß neben wirtschaftlichen und Standortgründen vor allem mit der Thematik der karrieremäßigen Lernmöglichkeit in dieser Stadt, vor allem im Bereich der Hochtechnologie und der Softwareentwicklung, auf den Gebieten Prozeßdatenverarbeitung, CAD, Wissenschaftssoftware, Hard- und Software für die Telekommunikationstechnik sowie Systemsoftware und Toolentwicklung neben einer Reihe von internationalen Großprojekten sehr interessante berufliche EntwickIungsmöglichkeiten bestehen.

In der Nachkriegsphase war, aber unter der Überschrift Integration von Märkten ist gerade heute für Nachwuchskräfte und Spezialisten ein Auslandsauf enthält von größtem Wert. Angesichts der internationalen Verflechtung von Berlin bietet dieser Standort für ein vergleichbares Konzept unter leichteren Lebensbedingungen ähnliche Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten.

Beispiel: DB-Chef Edzard Reuter

Wirtschaftliche Vorteile, technische Lernmöglichkeiten, eine insgesamt sehr attraktive Lebenskultur und Stadtvielfalt sowie auch finanzielle Möglichkeiten bieten mit der fachlichen Betonung daher eventuell erheblich mehr Anreiz als die rein finanziell orientierten Akzente.

So kann Berlin als Sprungbrett dienen. Auch für Positionen im Bundesgebiet. Vielleicht auch nur für einen gezielt angelegten Berufs- und Lebensabschnitt. Daß Berlin kein schlechtes Sprungbrett für eine Karriere liefert, läßt sich an zahlreichen Beispielen belegen, nicht zuletzt an Daimler-Chef Edzard Reuter.