Berater setzen auf Industrialisierung

27.11.2007
Mit Hilfe von vorkonfigurierten Eigenentwicklungen rationalisieren Consultants die Systemintegration. Davon profitieren Anbieter wie Anwender.

Auch Beratungshäuser entwickeln im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung eigene Software. Besonders verbreitet sind vorkonfigurierte Lösungen für Finanzdienstleister. Die Management-Beratung Bearingpoint hat gleich mehrere Lösungen für Banken im Programm: "Abacus Da Vinci" und "Fire" sollen die vorgeschriebenen Berichte der Finanzdienstleister an die Aufsichtsbehörden in Deutschland und in der Schweiz erleichtern.

"Die Idee dahinter ist, die ständigen gesetzlichen Änderungen im aufsichtsrechtlichen Meldewesen zentral im Rahmen einer Standardsoftware zu implementieren, so dass nicht jedes Institut die Anpassungen selbst vornehmen muss", beschreibt Marcel Nickler, Vice President und Leiter der europäischen Finanzdienstleistungs-Sparte von Bearingpoint. "Und da das Reporting für die Finanzinstitute keine wettbewerbsrelevante Geschäftstätigkeit ist, nehmen sie das Angebot gerne an." Derzeit bedient Bearingpoint mehr als 250 Kunden.

Lösungen für Finanzdienstleister

Auch die zweite Produktlinie der Berater richtet sich an Finanzinstitute: "Fitax" ist eine automatisierte Standardlösung zur Meldung des Quellensteuerrückbehalts an die amerikanischen Behörden, und "Easytax" übernimmt die steuerlichen Auswertungen für das Depot- und Einlagengeschäft deutscher Privatkunden. "Vor allem kleinere Banken erstellen ihre Reports häufig noch manuell. Für sie wäre es zu aufwändig und wenig rentabel, eine eigene Lösung zu entwickeln", so Nickler.

Alle Applikationen sind als Lizenzsoftware verfügbar. Allerdings hat schon die Vergangenheit gezeigt, wie schwer Beratungs- und Softwaregeschäft zu vereinbaren sind. So hatte Accenture bereits in den frühen 90er Jahren ein eigenes ERP-System weltweit eingeführt. 1999 wurde es an Peoplesoft und Siebel verkauft. Auch die Vermarktung einer auf einer Messaging-Plattform basierenden Middleware wurde eingestellt, als die ersten Standardlösungen in diesem Bereich auf den Markt kamen. "Daraufhin haben wir uns darauf geeinigt, dass Software nicht unser Geschäft ist", berichtet Toennies von Donop, Geschäftsführer für Systems Integration & Technology bei Accenture. Andere IT-Dienstleister etwa CSC und EDS hatten ähnliche Vorstöße unternommen und ebenfalls kurze Zeit später wieder aufgegeben. "Das Produkt im Rahmen der Beratung an bestehende Kunden zu verkaufen ist kurzfristig eine Möglichkeit, schnell Geld zu verdienen", kommentiert Tobias Ortwein, Geschäftsführer von Pierre Audoin Consultants (PAC) in München. "Aber eine langfristige Strategie sehe ich da nicht."

Zeit und Kosten sparen

Für das auf die Finanzdienstleistungsbranche spezialisierte IT-Beratungshaus Capco aus Frankfurt am Main stellen eigene Softwareprodukte daher vor allem eine logische Verlängerung des Beratungsansatzes dar. Laut Deutschland-Geschäftsführer Peter Schurau kann Capco mit der Lösung "CDRS", mit der Banken ihre Informationsflut besser in den Griff bekommen sollen, die Kundenbindung erhöhen und potenzielle neue Klienten ansprechen. Auch den Anwendern bieten sich handfeste Vorteile: "Durch die Integration von Unternehmensberatung und Outsourcing-Services verringern wir den Zeitaufwand und erzielen damit Einsparungen."

Trotz seiner schlechten Erfahrungen im Softwaregeschäft setzt Accenture seit geraumer Zeit wieder verstärkt auf die Entwicklung von Branchenlösungen - nicht nur für Finanzdienstleister, sondern auch für die Healthcare-Industrie, die Chemiebranche, Luftfahrtunternehmen, Ersatzteilversorger sowie den Kundendienst der TK-Industrie. Die Anwendungen basieren auf Standardplattformen und "werden so konfiguriert und angepasst, dass sie unsere Best Practices für einen bestimmten Industriekernprozess repräsentieren", erläutert Accenture-Manager von Donop. Auch die durch die Übernahme des Consulting-Anbieters Pecaso hinzugewonnenen Kompetenzen im HR-Bereich (Human Resources) nutzt das Beratungshaus für die Entwicklung entsprechender Anwendungen. Darüber hinaus plant das Beratungsunternehmen die Errichtung von "Industry-Solution-Centern", unter anderem in Walldorf. Von dort soll der weltweite Support für diverse Standardlösungen auf SAP-Basis erbracht werden. "Wir wollen unser Software-Business künftig disziplinierter, strategischer und weniger zufällig betreiben", fasst von Donop zusammen.

Vorteile der Industrialisierung

Hintergrund dieser neuen Strategie sei die fortschreitende Industrialisierung in der Systemintegration. "Der Trend zu vorkonfigurierten Lösungen, die in Softwarefabriken gefertigt werden, ist nicht aufzuhalten", so der Manager. Entscheidende Kriterien dabei seien die Wiederholbarkeit von Funktionen und gleichzeitig ein hohes Maß an Flexibilität, um eine Individualisierung auf die einzelnen Kundenbedürfnisse zu erreichen. "Und das schaffen nur Anbieter, die ihr Know-how zu bestimmten Industrieprozessen in Software gießen und damit auch Wettbewerbsvorteile für ihre Kunden erzielen." Ähnlich sieht es PAC-Experte Ortwein: "Um in der Projektumsetzung konkurrenzfähig zu sein, ist es sinnvoll, die Leistungserbringung in Form von vorgefertigten Softwarelösungen zu verkürzen." So passe die Übernahme von Pecaso einerseits in das BPO-Poftfolio (Business Process Outsourcing) von Accenture. "Andererseits kann das Unternehmen seine HR-Projekte durch den Einsatz der Pecaso-Produkte rationalisieren, was wiederum den Anwendern zugutekommt."

Welchen Nutzen die Anwender haben

Kürzere Projektlaufzeiten

die erzielten Kostenvorteile werden an den Kunden weitergegeben;

es sind erprobte Lösungen im Einsatz.

Diesen Ansatz verfolgt auch Steria Mummert Consulting mit der "BPO-Engine", einem System, mit dem sich SAP-gestützte Geschäftsprozesse optimieren lassen. Das Produkt wird nicht in großem Stil vertrieben: Abnehmer sind derzeit etwa 20 bis 30 Kunden, darunter auch die Management-Beratung selbst. "Wir bieten die BPO-Engine nicht am freien Markt, sondern nur entlang unseres Projektgeschäfts an, das heißt, wenn ein konkreter Bedarf besteht, bestimmte Prozesse zu verbessern", beschreibt Birgit Eckmüller, Leiterin Unternehmenskommunikation bei Steria Mummert Consulting. Es sei auch nicht geplant, Produkte über den Ladentisch zu verkaufen: "Das Softwaregeschäft hat völlig andere Fristen. Das passt nicht zur Beratung. Deshalb forcieren wir es auch nicht."

Kein Zusatzgeschäft

Um mit Software neue Kunden zu gewinnen, fehlt es den klassischen Beratungshäusern an den entsprechenden Sales-Strukturen und Vermarktungskompetenzen. So hat sich auch der Versuch von Steria Mummert Consulting, einen Vertriebsmitarbeiter eigens für die Vermarktung der BPO-Engine zu etablieren, nicht bewährt. Daher übernehmen Consultants und Key-Account-Manager diese Aufgabe mit. Ähnlich verhält es sich bei Accenture: "Wir konzentrieren uns auf Großkunden und hochkomplexe Fragen", erläutert von Donop. "Nur ein Berater mit dediziertem Branchen-Know-how ist in der Lage, etwa eine Core-Banking-Solution zu verkaufen." Lediglich für weniger erklärungsbedürftige Lösungen wie SAP-Upgrades sowie für das Application-Management baut Accenture seit einigen Jahren einen klassischen Vertrieb auf.

Software: Für die Berater kein Zusatzgeschäft

Vor diesem Hintergrund bezweifelt PAC-Experte Ortwein, dass die Consulting-Anbieter mit ihren Softwareaktivitäten ein nennenswertes Zusatzgeschäft generieren werden. "Abgesehen davon, dass die Geschäftsmodelle völlig unterschiedlich sind, steckt da ein ganz anderer Ansatz dahinter", so der Experte. Die Softwareentwicklung ist für die Consulting-Anbieter vor allem ein Mittel, um das Kerngeschäft zu stärken und effektiver zu machen, glaubt auch Steria-Mummert-Sprecherin Eckmüller: "Beratungshäuser, die wie wir die gesamte Wertschöpfungskette abbilden, haben schon immer aus Projekten heraus Individuallösungen entwickelt, die es entweder nicht am Markt gab oder die das vom Kunden geforderte Leistungsspektrum nicht abdeckten. Daraus kann mehr oder weniger per Zufall ein Produkt entstehen, das dann auch bei anderen Kunden eingesetzt wird."

So war es auch bei der Collogia Unternehmensberatung aus Köln, die auf Fragen der betrieblichen Altersversorgung spezialisiert ist. Für den Pensions-Sicherungs-Verein auf Gegenseitigkeit (PSVaG), eine Selbsthilfeeinrichtung zum Schutz der betrieblichen Altersversorgung bei Insolvenz des Arbeitgebers, entwickelte Collogia Mitte der 90er Jahre eine Verwaltungssoftware, um die bereits seit 1975 existierenden Daten in eine moderne IT-Struktur einzubinden. Auf Basis dieser Anwendung hat das Unternehmen seitdem verschiedene branchenspezifische Versorgungsmodelle für Pensionsfonds und -kassen entwickelt. "Die Verwaltung der Leistungsansprüche mehr als einer Million versorgungsberechtigter Rentner und Anwärter beim PSVaG war eine gute Referenz für uns", freut sich Michael Höhnerbach, Vorstand Pensions-Management bei Collogia.

Auch der interne Bedarf kann den Anlass dafür liefern, eigene Software zu schreibeln. So hatte die Bochumer Schuchert Managementberatung GmbH & Co. KG vor zehn Jahren begonnen, eine Projekt- und Management-Software zu entwickeln, weil am Markt kein passendes Produkt verfügbar war. Inzwischen läuft das einstige Hausprogramm "Factro" so stabil, dass es sich auch in anderen Unternehmen auf deren Plattformen einsetzen lässt.

Nach Ansicht von Experten wird der Bedarf an vorkonfigurierten Lösungen, die die Produktivität in Projekten erhöhen, in den kommenden Jahren stark zunehmen. Vor allem die europäischen Anbieter sollten sich angesichts der zunehmenden Offshore-Nutzung und IT-Industrialisierung darauf verlegen, meint etwa Alexander van der Hooft, Vice President Services and Consulting beim niederländischen IT-Dienstleister Getronics: "Für Europa ist das der einzige Weg, um der Konkurrenz aus China und Indien standhalten zu können."