Benutzerbeteiligung ist zwar erwuenscht, aber: DV-Experten arbeiten lieber unter Ausschluss der Anwender Von Torsten Heinbokel*

09.09.1994

DV-Profis moechten besser die Beduerfnisse der Anwender kennenlernen. Gleichzeitg aber beschweren sie sich darueber, die Arbeit mit Benutzerbeteiligung sei nicht effizient genug. Dies ergab eine Untersuchung von Psychologen an den Universitaeten Giessen und Muenchen.

Ueber das Fuer und Wider aktiver Benutzerbeteiligung in der Software-Entwicklung gibt es eine staendige Kontroverse. Befuerworter verweisen auf die Entwicklung besserer, weil anwendergerechter Software, auf groessere Akzeptanz und Zufriedenheit auf seiten der Benutzer sowie auf eine hoehere Effizienz der Projekte. Die Gegenseite argumentiert, die Beteiligung von Benutzern sei ein schwieriges Unterfangen, bei dem sich eventuelle Interessenkonflikte und Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Software-Entwicklern und Anwendern negativ auf die Projektleistung auswirken koennen. Bisherige empirische Untersuchungen zu diesem Thema liefern ebenfalls widerspruechliche Ergebnisse.

Bei IPAS (siehe Kasten) wurde deshalb der Frage nachgegangen, ob sich die Resultate der beiden Projektarten tatsaechlich grundlegend voneinander unterscheiden. Knapp die Haelfte der untersuchten Projekte arbeitete mit Anwendern, darunter waren sowohl Eigen- als auch Fremdentwicklungen, groessere ebenso wie kleinere Projekte vertreten. In Teams ohne Benutzerbeteiligung war der Kontakt mit den Anwendern im wesentlichen Projekt- und Teilprojektleitern vorbehalten. So nimmt es auch nicht wunder, dass die Mitarbeiter ihre Kenntnis, was Anwenderaufgaben angeht, schlechter beurteilen als ihre Kollegen in Beteiligungsprojekten und sich vermehrt wuenschen, Fachwissen aus diesem Bereich zu erwerben.

Dennoch ergibt sich bei der Beurteilung der jeweiligen Projektleistung ein umgekehrtes Bild. Ein hoeherer Prozentsatz der Projekte mit Benutzerbeteiligung verfehlt die gesetzten Ziele. Besonders drastisch zeigt sich dies bei der Einschaetzung der Zusammenarbeit innerhalb des Projekts.

Ueber mangelnde Effektivitaet des Arbeitsteams berichteten lediglich 22 Prozent der Projekte ohne, aber mehr als drei von vier Projekten (77 Prozent) mit Benutzerbeteiligung. In die gleiche Richtung weisen Einschaetzungen des Gesamterfolgs sowie der Termin- und Kosteneinhaltung des Projekts und der Aenderbarkeit des Produkts.

Unsere Ergebnisse weisen auf Schwierigkeiten in Projekten mit Anwenderbeteiligung hin, die insbesondere die Prozessqualitaet betreffen, was allerdings nicht bedeutet, dass bei den Beteiligungsprojekten mit Benutzern schlechtere Software entstehen muss. Wir vermuten eher das Gegenteil. Deshalb betrachten wir auch die Beteiligung der zukuenftigen Nutzer bei der Entwicklung interaktiver Anwendungssoftware als unumgaengliche Notwendigkeit, wenn aufgabenangemessene Programme erstellt werden sollen.

Zuvor sollte jedoch in jedem Fall ein realistisches Konzept hinsichtlich der Schwierigkeiten in der Projektpraxis entworfen werden. Besonderes Augenmerk verdienen hier Fragen der Machtverteilung, die Kommunikation zwischen Entwicklern und Benutzern und der Vergleich unterschiedlicher Vorgehensweisen.

In dieser Serie wird ueber die arbeitswissenschaftliche Untersuchung von Projekt IPAS (Interdisziplinaeres Projekt zur Untersuchung der Arbeitssituation in der Software-Entwicklung) berichtet, die das Bundesministerium fuer Forschung und Technologie (BMFT) im Rahmen des Programms Arbeit und Technik foerderte. An insgesamt 200 Arbeitsplaetzen in 29 Software-Entwicklungsprojekten wurden Arbeitsanalysen, Interviews und schriftliche Befragungen durchgefuehrt. Die empirischen Ergebnisse sowie praktische Konsequenzen fuer das Human Resource Management sind im Juli 1994 in Buchform beim Oldenbourg Verlag unter dem Titel "Produktivitaet und Qualitaet in Software-Projekten" erschienen (Hrsg. Brodbeck, F.C. und Frese, M., 228 Seiten, 78 Mark).