Modernes ERP

Belastungsprobe für die ERP-Architekturen

09.10.2012
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Funktion oder Architektur?

"Wer Flexibilitätsbedarf hat oder haben wird, muss sich unbedingt mit Architekturfragen beschäftigen." Norbert Gronau, Universität Potsdam.
"Wer Flexibilitätsbedarf hat oder haben wird, muss sich unbedingt mit Architekturfragen beschäftigen." Norbert Gronau, Universität Potsdam.
Foto: Universität Potsdam

Die Notwendigkeit, ERP-Architekturen zu modernisieren, scheint jedoch noch nicht überall erkannt worden zu sein. Viele Anwender hätten sich in der Vergangenheit meist nur mit der funktionalen Erweiterung ihrer Systeme beschäftigt und die zugrunde liegende ERP-Architektur vernachlässigt, bilanziert Norbert Gronau vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government an der Universität Potsdam. "Die typische Anwendersicht ist fast nie architekturgeprägt." Für Unternehmen in einem dynamischen Marktumfeld könnte das ein Problem werden, mahnt der Professor. "Wer Flexibilitätsbedarf hat beziehungsweise haben wird, muss sich unbedingt mit Architekturfragen beschäftigen."

"Eine moderne Software-Infrastruktur, die sich auf die im Unternehmen vorhandenen Prozesse abstimmen lässt und auch auf Änderungen flexibel reagiert, kann zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden", bekräftigt Michael Gottwald, Geschäftsführer des Hamburger Beratungshauses Softselect. "Aber auch zu einem Hemmschuh im umgekehrten Fall." Es sei daher schlichtweg zu kurz gedacht, eine Software nur nach funktionalen Gesichtspunkten zu bewerten. Funktionen ließen sich in Release-Zyklen erweitern beziehungsweise nachrüsten, eine offene und flexible Basisarchitektur nicht.

Auf Anwenderseite will man sich indes nicht vorwerfen lassen, das Architekturthema vernachlässigt zu haben. "Anwender beschäftigen sich mit dem Thema Architektur", stellen die Vertreter der DbuG klar. Schließlich sei das ERP-System die zentrale Geschäftsanwendung und die Architektur als ein wesentliches Mittel zur Integration mit anderen Geschäftsanwendungen zu betrachten. Zwar gehe es im Rahmen von ERP-Modernisierungen auch immer um funktionale Erweiterungen, aber "dies ist ein Teilaspekt, jedoch nicht der primäre Fokus".

Was letztlich eine moderne ERP-Architektur ausmacht, scheint in Anwenderkreisen zumindest teilweise auch Ansichtssache zu sein. In der Konzern-IT schaut man durchaus auf die ERP-Architekturen und analysiert die Softwarelandschaften hinsichtlich ihrer "Bewirtschaftbarkeit" sowie "Nachführbarkeit bei strukturellen Veränderungen", berichtet Karsten Sontow, Vorstand der Trovarit AG. "Der klassische Mittelständler fordert zwar lautstark ein flexibles und anpassbares ERP, sieht aber nicht, dass dies eigentlich Architekturthemen sind." Außerdem gibt es unterschiedliche Kriterien für Flexibilität. Für so manchen IT-Leiter sei ein ERP-System bereits flexibel, wenn er die Feldlängen in Formularen variieren könne. "Ob das immer originär eine Frage der Architektur sein muss, sei dahingestellt", lässt der ERP-Kenner offen.

ERP kommt in die Jahre

Laut dem aktuellen ERP-Trendbarometer von Softselect hat rund die Hälfte der etwa 250 befragten Unternehmen ihr ERP-System vor dem Jahr 2000 angeschafft.

  • Bei 17 Prozent ist das aktuelle ERP schon 15 Jahre und länger im Einsatz.

  • Ein Fünftel nutzt sein heutiges ERP erst seit höchstens vier Jahren.

  • Gerade ein Drittel der Unternehmen hat sich bereits mit modernen ERP-Technologien auseinandergesetzt.

  • 29 Prozent der Befragten interessieren sich gar nicht oder kaum für Web-basierende, plattformunabhängige ERP-Lösungen. Die Gründe: Es wird kein dezentraler Zugriff benötigt (27 Prozent), es mangelt am Know-how (18 Prozent), das Interesse der Unternehmensführung fehlt (14 Prozent), die Rentabilität wird bezweifelt (13 Prozent), oder es fehlt schlichtweg das Budget (zwölf Prozent).