Beim Archivieren die Gesetze beachten

21.09.2005
Von 
Thorsten Brand ist Senior-Berater beim Beratungshaus Zöller & Partner aus Sulzbach/Taunus.
Die Aufbewahrung von Daten und Dokumenten in Unternehmen unterliegen strengen gesetzlichen Vorschriften. Diese wirken sich auf die elektronische Archivierung aus. Wer die Konsequenzen nicht bedenkt, hat erhebliche Nachteile.

Von Thorsten Brand*

Tabelle 1: Rechtsvorschriften und Auswirkungen auf die Archivierung

Bestimmung Anwendungsbereich Anforderungen an die ECM-Lösung Deutsche Handels- und Steuergesetzgebung (HGB, AO, GoBS) Verwaltung von steuerrelevanten Dokumenten - Sicherstellung der inhaltlichen oder bildlichen Gleichheit - Sicherstellung der Unveränderlichkeit - Sicherstellung der Vollständigkeit - Abbildung von Aufbewahrungsfristen - Beschreibung der Archivierungsprozesse in einer Verfahrensdokumentation Deutsches Umsatzsteuergesetz (UStG) Regelungen für Eingangs- und Ausgangsrechnungen (elektronisch und in Papier) - Archivierung gemäß HGB / AO - Abbildung der Anforderungen der GDPdU bzgl. elektronischen Rechnungen - Abdeckung der Anforderungen für Fax-, Sammel- und EDI-Rechnungen Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) Datenzugriff der Finanzverwaltung auf steuerrelevante Daten - Nur relevant, wenn ECM-Lösung steuerrelevante Daten enthält - Falls ja, Sicherstellung der geforderten Zugriffsarten Systemzugriff und Datenträgerüberlassung. Zivilrecht, BGB Vertragsrecht, Privatwirtschaft etc. - Unveränderbarkeit sicherstellen - Besondere Bedeutung: Beweiswert einer Unterschrift nach der elektronischen Erfassung - Mittlerweise zulässig und rechtlich gleichwertig: Digitale Signatur anstatt Papierunterschrift Produkthaftung Zeichnungen, Produktunterlagen, QS-Dokumentationen etc. - Sicherstellung der Unveränderbarkeit und Vollständigkeit - Unverzüglicher Zugang (ja nach Branche) - Aufbewahrung der Papierdokumentationen (ja nach Branche) - Prozessdokumentation der Archivierung im Rahmen der ISO-Zertifizierung - Aufbewahrungsfristen mit Produktlaufzeiten abstimmen Bundesdatenschutzgesetz Schutz von personenbezogenen Daten - Berechtigungskonzept - Möglichkeiten zur Löschung von personenbezogenen Dokumenten und Daten Urheberrecht Sicherstellung von Copyright-Regelungen - Keine funktionalen Anforderungen - Die eingestellten Objekte selbst müssen frei von Rechten Dritter sein SRVwV (Allg. Verwaltungsvorschrift für das Rechnungswesen in der Sozialversicherung) Archivierung von Dokumenten bei Trägern der gesetzlichen Unfallkassen, gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung - Nutzung der digitalen Signatur im Rahmen der Scan-Prozesse - Erstellung einer Verfahrensdokumentation Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) Anforderungen an die Dokumentation von Verrechnungspreisen - Unveränderte Aufbewahrung von Dokumenten zur Darstellung der Berechnung von internen Preisen Basel II Risikocontrolling und Eigenmittelbestimmung im Kreditgeschäft - Bereitstellung von Auswertungen für das Risikocontrolling - Elektronische Prozessunterstützung und -überwachnung Sarbanes Oxley Act Rechnungslegung von börsennotierten Unternehmen (in den USA, gilt aber auch für deutsche Töchter) - Keine funktionalen Anforderungen - Archivierung aller prüfungsrelevanten Dokumente - Vollständigkeit, Unveränderbarkeit und unverzüglicher Zugriff

Es gibt bis auf wenige Ausnahmen, etwa Dokumente mit qualifizierter digitaler Signatur, keine rechtliche Verpflichtung, elektronisch zu archivieren. Rechnungen, Kundenakten, Zeichnungen und die Korrespondenz kann in Papierakten und Kellern aufbewahrt werden. Allerdings wollen viele Unternehmen die alten Hängeregister und Papierordner aus wirtschaftlichen Gründen abschaffen.

Häufig ist die Umstellung der Papier-Archive auf ein elektronisches Pendant sinnvoll, doch muss dieses die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Brand und Wasser spielen hier eine nur geringe Rolle; dafür tauchen andere Schwierigkeiten auf: Es wird irgendwo und mehrfach gespeichert, es müssen regelmäßige Updates erfolgen und ohne Strom oder technische Hilfsmittel ist der Zugang verwehrt.

In Tabelle 1 (Rechtsvorschriften und Auswirkungen auf die Archivierung) sind die wichtigsten für Deutschland geltenden Rechtsgrundlagen und ihre Auswirkung auf die elektronische Archivierung beschrieben. Neben diesen allgemeinen Anforderungen kommen noch branchenbezogene Regelungen hinzu, die die Archivierungsbestimmungen konkretisieren.

Meist wird eine gesetzliche Vorschrift, beispielsweise die Unveränderbarkeit, durch funktionale Interpretation, etwa durch den Einsatz von WORM-Medien (WORM = write once, read many), sichergestellt. Zwar gibt es hier oft so etwas wie "best practices", wichtig ist aber, dass der Gesetzgeber bewusst Spielraum gelassen hat, um auch aktuellen technischen Entwicklungen Rechnung zu tragen.

Wirtschaftliche Gründe

Ist der gesetzliche Rahmen der elektronischen Archivierung abgesteckt, kommen die wahren Gründe für die Umsetzung ans Licht: die Raumersparnis beispielsweise oder der sofortige und standortunabhängige Zugriff in Sekunden (hohe Auskunftsbereitschaft) auf beliebige Dokumente, direkt am Arbeitsplatz, im Büro, beim Kunden oder zu Hause. Zudem gestalten sich die Suche der Dokumente nach beliebigen Kriterien und deren Weiterleitung einfacher und schneller. Das vielfache Kopieren entfällt, und es ist eine parallele Bearbeitung von Dokumenten möglich.

Umfangreiche Trefferlisten bieten einen umfassenden Überblick über vorhandene Unterlagen und die Zeiten für Ablage/Rückstellung, Wiedervorlagen beziehungsweise das Warten auf Dokumente reduzieren sich. Insgesamt lässt sich die Ordnungsmäßigkeit und Vollständigkeit einfacher und kontrollierter bewerkstelligen, da das Archiv in anwendungsspezifische Akten- und Ordnerstrukturen gegliedert werden kann. Über das automatische Backup des kompletten Archivs gehen keine Akten mehr verloren, und sie können - bei revisionssicheren Ablagesystemen - auch nicht manipuliert oder entnommen werden. Schließlich erlauben elektronische Archive, dokumentenbasierter Prozesse zu automatisieren.

Leider ist es aber nicht immer ganz einfach, eine Wirtschaftlichkeitsrechnung korrekt durchzuführen, da meist nicht gemessen werden kann, auf welche Informationen man im Papierarchiv nicht zugreifen kann und welchen Wert das darstellt. Die strategische Vorgehensweise für die Einführung eines elektronischen Archivs beschreibt das "Enterprise Content Management" (ECM).

Um Angebote von ECM-Lösungen und somit Produkte unterscheiden zu können und die Stärken und Schwächen zu ermitteln, ist es meist unumgänglich, einen detaillierten Anforderungskatalog zu erstellen. Dieser dient später dann auch als eine vertragliche Grundlage, wenn es um zugesicherte Systemeigenschaften geht.

Auch ein Preisblatt ist hilfreich, um die große und sehr dynamische Anzahl von Lizenzmodellen in eine vergleichbare Struktur zu bekommen und alle preisrelevanten Produkte zu berücksichtigen. Falls es aus Budgetgründen nicht möglich sein sollte, Anforderungskatalog oder Pflichtenheft zu erstellen, sollte man passende Anwendungsszenarios zu Rate ziehen und funktional und mengenmäßig passende Referenzen der Anbieter aussuchen. So erhält man eine Bestätigung der eigenen Anforderungen und bekommt zudem ein Gefühl dafür, ob der Hersteller eine Aufgabenstellung meistern kann.

Die Organisation ändert sich

Die Systemeinführung ist nahezu immer mit organisatorischen Veränderungen verbunden. Es ergeben sich neue Aufgabenverteilungen und modifizierte Prozesse, die in Sollkonzepten beschrieben sein sollten. So ist zu bedenken, dass eine Verringerung von Durchlauf-und Bearbeitungszeiten typischerweise Mitarbeiterkapazitäten freisetzt, was zu einer Umverteilung von Aufgabenbereichen innerhalb der Unternehmensorganisation führen kann.

Aus gesetzlicher Sicht kommt der Erstellung einer Verfahrensdokumentation mehr und mehr Bedeutung zu, da nur so Dritte schnell einen Überblick über komplexe Systemlandschaften erhalten und archivierungsrelevante Prozesse leicht nachzuvollziehen können.

Akzeptanz unabdingbar

Ein ECM-Projekt ist ein Standardsoftware-Einführungsprojekt mit einigen Besonderheiten. Aufgrund der Berücksichtigung von gesetzlichen und manchmal auch steuerlichen Anforderungen müssen elektronisch archivierte Dokumente meist lange im System gehalten werden. Ein Wechsel des Produktes ist somit unerwünscht und meist aufwändig. Durch den Einfluss auch auf vorhandene Prozesse kommt dem Thema Anwenderakzeptanz eine besondere Bedeutung zu. Denn was nützt ein technisch sauberes Produkt, wenn es den Anwender in seiner täglichen Arbeit eher behindert als ihm nützt? (kk)

* Thorsten Brand ist Berater bei der Zöller & Partner GmbH in Sulzbach.