Bei DMS kann die Technik nur ein Teil der Loesung sein

25.11.1994

Oliver Berndt, Organisations- und Technologieberater, Schwarzach

Die letzten Monate haben uns eine Vielzahl von Messen, Kongressen und Seminaren zu Dokumenten-Management-Systemen (DMS) beschert. Das starke Interesse auf der Nachfrageseite wird mit einer schieren Flut von Produktvorstellungen und -ankuendigungen beantwortet.

Da auf den ersten Blick fast alle Anbieter die gleiche Funktionalitaet offerieren, faellt die Orientierung zunehmend schwerer. Alle scheinen alles anzubieten, und das, obwohl erhebliche Preisunterschiede nach wie vor bestehen. Kaum ein Anbieter, der nicht behauptet, mit seinem System auch Workflow- Anwendungen realisieren zu koennen. Kaum ein Anbieter, der nicht auch Beratung zu seinen Leistungen zaehlt.

Erst bei genauerem Hinterfragen werden die Unterschiede deutlich und entpuppen sich die werblichen Aussagen haeufig als mehr Schein denn Sein. Die Schwerpunkte der Diskussion liegen sehr oft bei technischen Details statt bei den sich ergebenden organisatorischen Potentialen und notwendigen Veraenderungen. Obwohl die zugehoerige Technik bisher sicher nicht problemlos ist, verwundert dies, denn die hohe Bedeutung der organisatorischen Konzeption von DMS-Loesungen gilt mittlerweile als Binsenweisheit. Selbst die Anbieter von Vorgangssteuerungssystemen, die fuer die organisatorischen Aspekte die Grundlagen vermitteln, verstehen teilweise nicht, dass die meisten Bearbeitungen nicht immer strukturiert ablaufen und daher der Flexibilitaet der Vorgangssteuerung eine ganz zentrale Bedeutung zukommt.

Die hohe Dynamik des DMS-Markts bringt aber auch erfreuliche Aspekte mit sich. Zunaechst ist die zunehmende Standardisierung der Komponenten und der Schnittstellen zu Datenbanken und Anwendungsprogrammen zu erwaehnen. Einfache, PC-basierte Systeme ermoeglichen schnelle und kostenguenstige Loesungen, wenn die Anforderungen an Funktionalitaet und Integration nicht hoch sind. Wenn DMS auch wie alle technischen Loesungen ihre Grenzen haben, so erlaubt uns die Entwicklung inzwischen doch, uns wieder staerker auf die organisatorische Gestaltung zu konzentrieren. Dazu gehoert allerdings mehr als nur die Ueberlegung, wo der Scanner installiert werden soll.

Viele Probleme lassen sich durch rein organisatorische Massnahmen in den Griff bekommen. So reduzieren sich die anfallenden Dokumente teilweise bereits erheblich, wenn man sich jeweils ernsthaft fragt, was ueberhaupt wert ist, aufbewahrt zu werden. Kopier- und Verteilaufwand lassen sich verringern, wenn bestimmte Informationen nicht mehr als Bring-, sondern als Holschuld definiert werden.

Dies sind nur zwei von vielen Beispielen, wie die Papierflut auch ohne DMS eingedaemmt werden kann. Weitere Moeglichkeiten liegen in Veraenderungen an den bestehenden informationstechnischen Systemen. Haeufig ist es gar nicht so schwierig, Informationen, fuer die man bislang auf mehrere Akten zugreifen muss, am Bildschirm verfuegbar zu machen. Zusaetzliche Ansaetze zur Reduktion des Papierverbrauchs liegen in der beleglosen Erfassung beispielsweise mit Stiftcomputern und im elektronischen Dokumentenaustausch (Electronic Data Interchange = EDI).

Damit soll nicht gesagt werden, dass DMS nicht benoetigt wuerden. Vielmehr tragen sie als Teil von organisatorischen Gesamtloesungen und mit gezieltem Einsatz ergaenzender Technologien wie zum Beispiel Barcode, OCR oder Volltextrecherche zur Geschaeftsprozessoptimierung und zu nennenswerten Produktivitaetssteigerungen bei.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang nur, dass man sich nicht auf diese eine Technologie und die Eins-zu-eins-Umsetzung der bestehenden Ablaeufe fixiert, denn dies fuehrt mindestens zu ineffizientem Einsatz, eventuell aber auch zum Scheitern des Projekts.

Sollen Geschaeftsprozesse optimiert werden, entstehen erhebliche Integrationsanforderungen, da aus technischen und organisatorischen Gruenden verschiedene Produkte miteinander zu integrieren sind. Die Faehigkeit dazu ist aber bei den heute angebotenen Erzeugnissen haeufig noch ungenuegend. Auch die Aussage, dass das DMS offen und erweiterbar ist und ausserdem das Produkt XY integriert werden kann, hilft in der Praxis meist nicht weiter. Der Teufel steckt auch hier im Detail beziehungsweise in der jeweiligen Definition des Begriffs Integration.

Trotz - oder gerade wegen - der grossen Dynamik, die derzeit den DMS-Markt kennzeichnet, ist also eine (Rueck-)besinnung auf die wirklichen Beduerfnisse und organisatorischen Konsequenzen unabdingbar. Die Konzentration auf diese Fragestellungen kommt der Zukunftstraechtigkeit der Gesamtloesung zugute. Die schnelle Entscheidung fuer ein Produkt bringt einen in diesem Prozess jedoch nicht weiter.