10 Jahre Computergrafik

Bei der Kunst kein Fortschritt

25.04.1975

ULM - "Bei der Kunst ist eigentlich nicht viel passiert - bei der Anwendung des Computers für freie künstlerische Arbeit sehe ich in den letzten zehn Jahren auch keinen Fortschritt", sagt Dr. Martin Krampen. Er hat sich vor zehn Jahren an der ersten Ausstellung von Computergrafik im Ulmer Studio beteiligt und dort jetzt wieder eine solche Ausstellung arrangiert.

Obwohl Krampen keine Kunstschau sondern eine "didaktische Ausstellung machen wollte, die von der Computer-Choreographie bis zur Architekturzeichnung reicht, überwiegen ältere Arbeiten aus der Zeit um 1965. Damals waren Nake, Nees und Nol! unabhängig voneinander mit den ersten aus digitalen Großrechnern stammenden Arbeiten an die Öffentlichkeit getreten und die ersten Ausstellungen von Computer-Kunst veranstaltet worden.

Inzwischen gab es zwar beachtliche technische Fortschritte: Linien können unterdrückt werden, so daß man mit dem Plotter nicht mehr "Drahtmännchen" und ähnliches zeichnen muß, sondern Figuren mit richtigen Konturen erhält. Auf den Bildschirmen kann man Flächen mit feinen Rastern unterschiedlicher Helligkeit "ausmalen" und Schattierungen erzeugen. Mit Hilfe von Farbfernsehröhren, die für die Steuerung durch einen Computer adaptiert sind, ist farbige Darstellung möglich. Aber selbst die Verwendung des Computers als Gebrauchsgraphik-Maschine erbrachte - so Krampen - "nicht viel mehr als ein paar Zeitschriften-Cover".

"Die technische Entwicklung hat dazu geführt daß alles was von Hand gemacht werden kann, auch mit dem Computer geht", meint Krampen. Er hält den Computer für ein ausgezeichnetes Gerät, um Skizzen und Entwürfe zu machen - meint aber auch: "Mit der Skizze wird von Kunstschulen und Künstlern immer etwas Genialisches verbunden. Gerade in der Unvollkommenheit wird das Individuelle vermutet. Da stößt es natürlich auf Ablehnung, Skizzen mit dem Computer zu produzieren." Die Freude der Stuttgarter Akademie, endlich die - ungewollt - geschenkten Computer wieder los zu sein, hält Krampen für typisch. Sowohl in der Simulation von Geplantem wie im Sichtbarmachen des Unsichtbaren sieht Krampen besondere Chancen für die Computergraphik.

Er selbst - nach Studium visueller Kommunikation an der Ulmer Hochschule für Gestaltung und Psychologiestudium in USA seit einiger Zeit Professor für Kommumkationspsychologie in Berlin - nutzte den Computer zuletzt zu Bestimmungen des Informationswertes von Fassaden. Aus Fotos gewonnene Werte über Aufbau und Gliederung der Fassade dienten als Input für eigens entwickelte Auswertungsprogramme. Der Rechner lieferte folgendes Ergebnis:

Fassaden aus der Zeit vor 1900 haben mehr Informationsgehalt als solche aus der Zeit nach 1945. Die Dekoration macht's aus.

Ansichten, wie sie gegensätzlicher nicht sein können

"Ich sehe im Computer ein Mittel zur Demokratisierung der Kunst", sagte Prof. Dr. M. Krampen bei der Eröffnung der Ausstellung Computergraphik in Ulm. "Die Zeit, die der Künstler - ich rechne dazu auch Designer und Architekten - bisher für Dokumentation, Entwürfe und Berechnungen aufwenden mußte, kann er bei Computereinsatz jetzt zum Nachdenken über Inhalte und Qualität verwenden. Die - verbesserten - Ergebnisse sollte man idealerweise über Massenmedien verbreiten." In der Produktion einer Vielzahl von Kunstoriginalen für jedermann sieht Krampen weniger Aufgaben und Aussichten .

Gauz gegenteilig hatte sich Frieder Nake zwei Jahre zuvor im Zusammenhang mit einer Ausstellung von Computerkunst geäußert, die die Stuttgarter Staatsgalerie veranstaltete. "Wieweit ist es Augenwischerei, von einer Demokratisierung der Kunst durch den Computer zu reden?", fragte er. "Der Sprung von Pinsel und Leinwand zum Computer ist viel zu groß. Es Ist weitgehend Gefasel, wenn man sagt, die Maschine werde den Künstler freisetzen, so daß er sich den wahrhaft schöpferischen Problemen hingeben kann."