ERP-Anbieter hat Fusion nie verkraftet

Bei Brain könnten bald die Lichter ausgehen

12.07.2002
MÜNCHEN (ba) - Die Brain International AG hat Antrag auf vorläufige Insolvenz gestellt. Zwar betonen die Verantwortlichen, auch nach Eröffnung des Verfahrens mit potenziellen Investoren zu verhandeln. Experten gehen jedoch davon aus, dass sich niemand finden wird, der dem maroden Unternehmen Geld gibt.

Es war ein Schock mit Ansage. Am Freitag, den 5. Juli 2002, haben die Verantwortlichen beim Amtsgericht in Freiburg im Breisgau einen Antrag auf vorläufige Insolvenz der Brain International AG sowie der Tochtergesellschaften Brain Automotive Solutions GmbH und Brain Industries Solutions GmbH gestellt. Wenige Tage zuvor hatte der Anbieter von Enterprise-Resource-Planning- (ERP-)Software bekannt gegeben, mit Finanz- und strategischen Investoren zu verhandeln, um die Liquidität des Unternehmens zu sichern. Sollten die Gespräche nicht zum Erfolg führen, drohe die Zahlungsunfähigkeit.

Die Tatsache, dass diese dann eingetreten ist, sei auf erhebliche Umsatzeinbrüche im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres zurückzuführen, erklärt Unternehmenssprecher Uwe Taeger. Allerdings gebe es einen Unterschied zwischen dem Antrag auf Insolvenz und dem auf vorläufige Insolvenz. Im zweiten Fall prüfe der Verwalter erst einmal, ob überhaupt alle Voraussetzungen für eine Insolvenz erfüllt seien.

Investor schreibt Brain ab

Trotz der Schwierigkeiten wolle man die Verhandlungen fortführen, erklärt Taeger. Ziel sei es, das Unternehmen, das 1998 aus der Fusion der AS/400-Softwarehäuser BIW und Rembold + Holzer hervorgegangen war, zu erhalten und weitere Restrukturierungsmaßnahmen einzuleiten. Ob dies gelingen kann, ist jedoch fraglich. Die Baader Wertpapierhandelsbank hat ihren 40-prozentigen Anteil an Brain inzwischen komplett abgeschrieben, sagt Unternehmenssprecher Nico Baader. Es gehe jetzt nur noch darum, das Beste aus der Situation zu machen. "Wenn sich ein Investor findet, dann ist das wunderbar. Wir werden das nicht sein."

Im Herbst 2000 hatte der in Unterschleißheim bei München ansässige Wertpapierhändler Brain noch gerettet. Der Investor übernahm damals 35,4 Prozent der Anteile von den ehemaligen Großaktionären IBM, Brain-Mitbegründer Thomas Holzer und dem Beratungsunternehmen Schitag, Ernst & Young. Zusammen mit dem Anteil von 14,7 Prozent des Vorstands Kurt Rembold, der seine Aktien zwar behielt, die Stimmrechte aber an Baader abtrat, kontrollierte die Bank den ERP-Anbieter. Man sei jedoch als reiner Investor aufgetreten und habe keinen Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens ausgeübt, weist er jede Mitverantwortung an der drohenden Pleite zurück.

Auch andere Banken würden keinen Euro für die Rettung Brains aufwenden, orakelt der ERP-Spezialist einer Großbank in Frankfurt am Main, der namentlich nicht genannt werden möchte. Brain stecke seit zwei Jahren in Kapitalschwierigkeiten. Da die ERP-Lösung mit der Fokussierung auf IBMs I-Series-Plattform, ehemals AS/400, nur eine immer enger werdende Marktnische abdecke, sei auch künftig nur mit schwacher Nachfrage zu rechnen. Ferner dürfte der Druck im ERP-Markt angesichts der Mittelstandsinitiativen von Microsoft und SAP noch stärker werden. "Unter diesen Voraussetzungen ist Brain kein Unternehmen, dem man aus Bankensicht Fremdkapital zur Verfügung stellen sollte."

Der Einstieg der Baader Wertpapierhandelsbank habe im Grunde keinen anderen Zweck gehabt, als die Anteile nach einer Weile wieder gewinnbringend zu verkaufen. Das sei jedoch nicht gelungen. "Warum sollte es einem anderen Investor besser gehen?" Nun könnten nur noch strategische Investoren helfen, mutmaßt der Analyst.

Doch auch die wollen Brain nicht unter die Arme greifen. IBM-Sprecher Hans-Jürgen Rehm bestätigt zwar, dass man mit vielen Softwarehäusern in Kontakt stehe. Es gebe allerdings keine Überlegungen, aktiv in diesen Markt einzugreifen. Big Blue habe sich vor einigen Jahren aus dem Geschäft mit Anwendungssoftware zurückgezogen. Unter anderem hatte IBM seine AS/400-ERP-Software "MAS 90" im Zuge dieser Neuorientierung an BIW verkauft, das wenig später mit R+H zu Brain verschmolz.

Die Vertreter der direkten Konkurrenten dementieren ebenfalls jedes Interesse am angeschlagenen Wettbewerber. Die Portfolios würden nicht zusammenpassen, erklärt Friedrich Koopmann, Sprecher bei Soft M in München. Deshalb werde sich der ERP-Anbieter nicht weiter engagieren. Stephan Vanberg, Sprecher der deutschen Niederlassung von J.D. Edwards, erklärt, es sei besser zu warten, bis die Brain-Bestandskunden von selbst kämen.

Nach Einschätzung von Insidern haben die Brain-Verantwortlichen die Kosten nie in den Griff bekommen. Außerdem habe sich der Softwarehersteller dabei übernommen, die beiden Produktlinien aus der Fusion von 1999 zwischen Rembold + Holzer und BIW zu konsolidieren. Ferner sei der Versuch, die Software auf andere Plattformen zu portieren, fehlgeschlagen. "Da hat Brain sicher eine Menge Geld verbrannt", urteilt ein Analyst.

Der Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Eitel sieht keinen Zusammenhang zwischen den jetzigen Problemen und den Nachwirkungen der Fusion. Durch die Schaffung der beiden Tochtergesellschaften habe man bereits früher den Marktauftritt in beiden Bereichen gebündelt. Den Ursprung der Probleme sieht der Brain-Vorstand in den Verlusten des Jahres 2000. Seitdem habe das Unternehmen permanent unter Kostendruck gestanden. Letztendlich unterschieden sich die Probleme aber kaum von denen der Wettbewerber. Nur reiche bei Brain die Eigenfinanzierungskraft nicht mehr aus, um die gegenwärtige Durststrecke zu überbrücken. Er gehe jedoch davon aus, dass sich Brain mit einem Partner nach dem Insolvenzverfahren, soweit es überhaupt dazu kommt, neu aufstellen werde. Wer das sein könnte, will er nicht verraten.

Dass es diese Chance überhaupt gibt, bezweifelt Rüdiger Spiess, Analyst der Meta Group. "Das Ding ist komplett gegen den Baum gefahren." Im Grunde hätten die Brain-Verantwortlichen durch die Aufteilung des Unternehmens in die beiden GmbHs die Fusion wieder rückgängig gemacht. Man habe nie den Eindruck gewinnen können, es handle sich bei Brain um eine Firma mit einer gemeinsamen Kultur. Die Sanierungsmaßnahmen, die im Jahr 2000 eingeleitet wurden, seien nur halbherzig verfolgt worden. Dazu habe es etliche Querelen im Management gegeben.

Entwicklung verschlafen

Auch der ehemalige Brain-Chef Helmut Polzer wirft dem neuen Management eine verfehlte Geschäftspolitik vor. Die Verantwortlichen hätten geglaubt, dass der ERP-Markt im AS/400-Umfeld unerschöpflich und eine technische Weiterentwicklung nicht notwendig sei. Die Gelder, die mit Wartungsverträgen eingenommen wurden, hätten seiner Ansicht nach in Forschung und Entwicklung investiert werden müssen.

Laut Spiess muss Brain kräftig Stellen abbauen, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Da sicher auch Marketing- und Entwicklungsaufwendungen drastisch gekürzt würden, sei Neukundengeschäft in der nahen Zukunft kaum zu erwarten. Primär solle sich das Unternehmen darauf konzentrieren, die bestehenden Verträge zu erfüllen. "Brain hat an Glaubwürdigkeit im Markt verloren", erklärt der Analyst. Trotzdem sollten die Kunden erst einmal abwarten, statt gleich zu anderen Anbietern zu wechseln. Allerdings sei zu empfehlen, alternative ERP-Strategien zu prüfen. Der Analyst geht davon aus, dass es trotz aller Probleme im Rahmen einer Auffanggesellschaft einen weitergehenden Support für die bestehenden Serviceverträge geben wird.

Diese Einschätzung teilt Christian Meisel, IT-Leiter des auf Antriebstechnik spezialisierten Unternehmens Rexnord und Sprecher der Brain-Fachgruppe bei der IBM-AS/400-Nutzervereinigung "Common". Man rechne damit, dass sich eine Lösung mit den Investoren finden lassen werde. "Es gibt keinen Grund, in Panik zu verfallen." Brain besitze gute Softwareprodukte, und es werde sicher jemanden geben, der diese weiterführe. Über Probleme mit Brain kann der IT-Leiter kaum klagen. Sicher hätte über Schwächen in der Software besser informiert werden können. Doch derartige Probleme seien auch von anderen Anbietern bekannt.

Es gebe allerdings auch Unruhe unter den Anwendern. Einige DV-Leiter seien bereits beauftragt worden, sich über Alternativen Gedanken zu machen, berichtet Meisel. Nach der Umstrukturierung im November 2000 habe Brain zunächst einen zukunftsträchtigeren Eindruck gemacht. Die Zahlen seien besser geworden, und viele Anstöße hätten Sinn gegeben. "Deswegen sind wir alle auch sehr überrascht gewesen, dass es auf einmal wieder so schlecht aussieht."

Aufstieg und Fall von Brain

1998 entsteht das Unternehmen Brain durch den Zusammenschluss von BIW und der Rembold + Holzer Holding. Der Softwarehersteller wird von dem Führungstrio Kurt Rembold und Thomas Holzer, die je 27,5 Prozent halten, sowie dem ehemaligen BIW-Chef Helmut Polzer, der 15 Prozent der Brain-Anteile besitzt, geleitet.

Anfang 1999 wagt Brain den Börsengang. Die Aktie erreicht Ende April 1999 mit 65 Euro ihre Höchstnotierung. Ende des Jahres gibt es erste Probleme mit den Produktlinien. BIW hatte vor der Fusion die AS/400-Software "MAS 90" von IBM übernommen, deren Pflege Brain jetzt zum Ärger der Kunden einstellen will. Außerdem bereitet Brain die technische Integration der PPS-Produktlinien "XPPS" und "Brain/AS" große Schwierigkeiten. Unsicherheit kommt auf, ob die Zusammenführung in einer modernen ERP-Suite, die unter der Bezeichnung "E-Brain" geplant ist, gelingen kann.

Anfang 2000 verlässt Helmut Polzer das Unternehmen. Insider berichteten, dass die unterschiedlichen Unternehmenskulturen und Meinungsverschiedenheiten bei der Produktausrichtung den Abgang des ehemaligen BIW-Chefs beschleunigt haben. Die beiden Produktlinien werden jetzt formal wieder getrennt. Von nun an arbeitet die Brain Automotive Solutions GmbH in Breisach mit dem RPG-basierenden XPPS-System, während die Brain Industries Solutions GmbH in Weinstadt das klassische PPS-Produkt Brain/AS für verschiedene andere Branchen vermarktet.

Im September 2000 tauchen erste Gerüchte über den Verkauf und Entlassungen auf. Im November rettet die Baader Wertpapierhandelsbank Brain vor der Pleite. Hans-Peter Eitel löst Rembold als Vorstandsvorsitzenden ab.

Mitte Juni 2002 muss Brain die Erwartungen für das laufende Halbjahr nach unten korrigieren.

Anfang Juli wird bekannt, dass die Juni-Gehälter für die über 500 deutschen Mitarbeiter nicht ausgezahlt wurden und nach einem neuen Investor gesucht wird.