Öffentlicher Dienst steht vor großen Herausforderungen

Behörden werden als Arbeitgeber attraktiver

12.07.2002
MÜNCHEN (hk) - Große E-Government-Vorhaben warten auf die IT-Mitarbeiter bei Bund, Länder und Kommunen. In wenigen Jahren soll der Bürger viele Behördengänge via Internet erledigen können. Dafür benötigt der öffentliche Dienst qualifiziertes Personal, das er infolge der schlechten Konjunktur eher bekommt als noch vor einem Jahr.

Die IT-Wirtschaft hat ein neues Thema für sich entdeckt. Da viele private Firmen zurzeit kaum nennenswerte Aufträge vergeben, stürzen sich die IT-Hersteller auf den öffentlichen Dienst. Einen Blick in den Veranstaltungskalender bestätigt diese Entwicklung: Ein E-Government-Kongress jagt den anderen. Selbst die jüngste Jahrestagung des IT-Branchenverbandes Bitkom stand im Zeichen dieses Themas.

Projekte werden nicht über Nacht gestoppt

Das Interesse ist verständlich. Der Bund hat nämlich ehrgeizige Pläne: Allein im Rahmen des Programms Bund Online 2005 geht es um 350 Dienstleistungen, die via Internet zugänglich gemacht werden sollen. Fachleute rechnen mit Kosten von 160 Milliarden Euro. Dabei sollen vor allem behördenübergreifende Vorhaben in Angriff genommen werden wie die Bereitstellung eines Formular-Servers, einer Zahlungsplattform oder von Funktionen zur elektronischen Signatur. Auf kommunaler Ebene geht es nochmals um das Zehnfache an Dienstleistungen, die ins Web zu bringen sind, wie ein Experte des Deutschen Städtetags schätzt.

Dazu passt eine weitere Beobachtung. Die Zahl der freien IT-Stellen im öffentlichen Dienst ist in den ersten fünf Monaten wesentlich schwächer zurückgegangen als in der Privatwirtschaft. Während in der Telekommunikationsindustrie nur noch 370 (Vorjahr 3476) und im Finanzsektor 611 IT-Jobs (Vorjahr 2082) ausgeschrieben wurden, behaupteten sich die Behörden mit immerhin 1597 Annoncen (Vorjahr 2607). Nach Untersuchungen der Arbeitsmarktforscher von EMC/Adecco, die die IT-Stelleninserate in 40 Tageszeitungen und der COMPUTERWOCHE auswerten, benötigen Staat, Länder und Kommunen vor allem Softwareentwickler, Netz- und Systemspezialisten sowie DV-Dozenten.

Nicht nur die Herausforderungen durch E-Government machen die Arbeit im öffentlichen Dienst attraktiv. Interessant ist auch die Perspektive, Projekte genauer und gründlicher planen zu können als in vielen Unternehmen der freien Wirtschaft üblich. Leute werden nicht von heute auf morgen vor die Tür gesetzt, Projekte nicht über Nacht gestoppt. Wahr ist allerdings auch, dass die finanziellen Engpässe der Kommunen immer größer werden. Der Ausfall der Gewerbesteuer hat einigen Städten große Löcher in die Haushaltskasse gerissen. Erste Bundesländer verhängten Haushaltssperren.

Qualifiziertes IT-Personal ist aber bei den öffentlichen Arbeitgebern schon lange Mangelware. Zwei Drittel der großen Städte sehen neben den begrenzten Finanzmitteln hier die größte Hürde vor der Verwirklichung von E-Government, zitiert Helmut Fogt, Personalexperte des Deutschen Städtetags, eine Umfrage seines Verbandes. "Aufgrund der laufend wachsenden Anforderungen, die die Verwirklichung der ambitionierten E-Government-Projekte mit sich bringt, wird der Personalbedarf weiter steigen", ist Fogt überzeugt.

Isolde Schwarz-Krieger von der Stadtverwaltung in München ist da nicht so pessimistisch. Sie gibt zu, dass es die beiden vergangenen Jahre extrem schwierig gewesen sei, Mitarbeiter anzuheuern, und dass die Kommunen praktisch keine Chancen hatten, beispielsweise einen Diplominformatiker zu bekommen. Auf die letzte Anzeige im Mai dieses Jahres, in der ein IT-Projektleiter und ein Systemanalytiker gesucht wurden, war die Resonanz schon wesentlich besser, freut sich die Sprecherin der bayerischen Hauptstadt. Sie räumt ein, dass "wir die Leute aus der ersten Reihe schwer bekommen, weil wir ein Dotierungsproblem haben". Man habe aber "gute Erfahrungen mit Leuten aus der zweiten Reihe" gemacht.

Bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover sieht es ähnlich aus. Hier wird aktuell ein Informatiker mit Fachhochschulabschluss gesucht. Es bewarben sich aber in erster Linie Umschüler, bestätigt die Personalabteilung. Von 20 Kandidaten besaßen gerade nur zwei die geforderten Qualifikationen. Selbst dem Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST) in Bochum rennen die Informatiker nicht die Bude ein. Das Forschungsinstitut kann zwar für sich in Anspruch nehmen, in Sachen innovative IT-Technologien ganz vorne mitzumischen. Die Zahl der Bewerber mit dem richtigen Abschluss hält sich aber auch hier in Grenzen. "Auf eine IT-Stelle melden sich höchstens fünf bis zehn Informatiker", erzählt ISST-Geschäftsführer Volker Zurwehn. Dagegen hatte er für den Job des Öffentlichkeitsarbeiters gleich 100 Bewerbungsmappen auf dem Tisch.

Arbeitsplatzsicherheit ist Trumpf

Dass auch die Kommunen künftig Chanchen haben, echte Informatiker zu beschäftigen, davon ist Städtetag-Mann Fogt überzeugt. Er verweist auf aktuelle Absolventenuntersuchungen. So soll sich die Zahl der Studenten mit einem Informatikabschluss auf 15000 in den nächsten Jahren verdoppeln. Die aktuelle wirtschaftliche Flaute hat sicherlich ebenfalls dazu beigetragen, dass sich Computerspezialisten überlegen, in den öffentlichen Dienst zu wechseln, auch wenn die Bezahlung mit der aus der privaten Wirtschaft nicht konkurrieren kann. Gerade in solchen Zeiten rücken andere Kriterien in den Vordergrund, wie die Vertreter des Staates bestätigen. Wichtigstes Argument, das immer wieder genannt wird, ist die Arbeitsplatzsicherheit und die geregelte Arbeitszeit, also die 38,5-Stunden-Woche. Aber nicht nur das: So weist die Stadt München in ihrer IT-Stellenanzeige darauf hin, dass die Arbeitszeitgestaltung höchst flexibel gestaltet werden kann bis hin zur Beschäftigung auch in Teilzeit, und dass man bei "der Beschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes im Hause" behilflich ist - alles Kriterien, die ein moderner Arbeitgeber gerne verspricht, die in der Privatwirtschaft aber sehr schnell vergessen werden, sobald sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Außenstehende schätzen den geringeren Projektdruck, wie Jochen Baier, Senior Berater und zuständig für die Behörden bei Mummert + Partner, bestätigt. Was Baier ebenfalls gut gefällt, ist, dass die IT-Abteilung - viel stärker als in der Privatwirtschaft - gestalten kann. "In der Industrie ist sie Dienstleister für die Fachbereiche und muss sich nach deren Vorgaben richten, hier kann sie sich stärker auch in die Organisation einmischen."