IT in Behörden/Kostensenkung und Leistungszuwachs schließen sich nicht aus

Behörden üben die Quadratur des Kreises

30.05.2003
Das Handeln der öffentlichen Verwaltungen ist immer mehr von IT bestimmt. Bund, Länder und Kommunen bewegen sich permanent im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen von Bürgern, Unternehmen und Politik einerseits und begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen andererseits. Bisher zeigte ihr Bemühen, die Verwaltungen in ein neues IT-Zeitalter zu führen, unterschiedliche Resultate.Von Marc Schomann und Stephan Dössel*

Die Modernisierung der Verwaltung wird seit Jahren auf allen drei administrativen Ebenen vorangetrieben: im Bund, in den Ländern und kommunal. Dabei ist die Informationstechnik wichtiger Treiber von tief greifenden Vorhaben. Aber auch die in den Mittelpunkt rückende Bürger- und Dienstleistungsorientierung gibt starke Impulse. Generell kann man drei informationstechnisch getriebene Initiativen unterscheiden: E-Government, neues Steuerungsmodell und Standardisierung.

E-Government umfasst die Abwicklung geschäftlicher Prozesse von Regierung und Verwaltung mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien. Beteiligt sein können

- Verwaltung und Bürger (Government-to-Citizen = G-to-C);

- Verwaltung und Unternehmen (Government-to-Business = G-to-B);

- Verwaltung und Verwaltung (Government-to-Government = G-to-G) und

- Verwaltung und Mitarbeiter (Government-to-Employee = B-to-E).

Typische Beispiele für E-Government-Anwendungen sind Bürgerportale, elektronische Beschaffung oder elektronische Melderegister.

Die deutsche Variante des international diskutierten und vielfach angewandten Konzeptes eines neuen Steuerungsmodells (NSM) wurde zunächst für Kommunalverwaltungen entwickelt. Inzwischen ist es auch für Bundes- und Landesverwaltungen als Reformmodell akzeptiert. Eckpfeiler des NSM sind Modernisierungsmaßnahmen und -instrumente wie zum Beispiel Abbau von Hierarchieebenen, Steuerung über Kontrakt-Management oder Einsatz von Controlling, Berichtswesen und Budgetierung. Viele dieser Maßnahmen und Instrumente sind nur mit entsprechender IT-Unterstützung - beispielsweise durch den Einsatz von ERP-Software - effizient umsetzbar.

Nachhaltig verbesserte Abläufe

Eine moderne Verwaltung erfordert interoperable Informations- und Kommunikationssysteme, die idealerweise reibungslos zusammenwirken. Dies wiederum setzt eine Identifizierung und Vereinheitlichung der diversen IT-Standards, Verfahren, Methoden und Produkte in den verschiedenen Behörden voraus. Denn erst aufeinander abgestimmte Regelungen, Verfahrensweisen und Instrumente, wie zum Beispiel elektronische Signaturen, ermöglichen nachhaltig verbesserte Verwaltungsabläufe. Des Weiteren bringen einheitliche Standards beim Einsatz von Applikationen, Systemen und Netzen signifikante Synergien sowohl bei der Beschaffung als auch im Betrieb.

Seit Mitte der 90er Jahre laufen Projekte auf allen Ebenen der Verwaltung und mit unterschiedlichen Zielen (siehe Tabelle, Seite 39).

Eine genauere Betrachtung der in Deutschland initiierten Projekte liefert schlechte und gute Beispiele für die Modernisierung der Verwaltung. So kann auf der Negativseite das bundesweit betriebene Besteuerungsverfahren "Fiscus" (Föderales integriertes standardisiertes computerunterstütztes Steuersystem) genannt werden. Das Projekt startete 1992 und hatte zum Ziel, alle bestehenden Verfahren der Steuerverwaltung schrittweise abzulösen. Bereits in den ersten Jahren zeichnete sich ein deutlicher Entwicklungsrückstand ab; nach mehr als acht Jahren stand kein praktisch einsetzbares Produkt zur Verfügung. Ursprünglich sollten sämtliche Fiscus- Programme bis zum Jahr 2003 fertig werden. Dieser Termin wurde nun mindestens auf das Jahr 2004 verschoben.

Kompletter Projektabbruch denkbar

Die lange Projektdauer, die Vielzahl der zu beteiligenden Gremien, die Zeitverzögerungen im Projektverlauf, die ungenügende Personalunterstützung durch die Länder und das sich abzeichnende deutliche Überschreiten des ursprünglichen Kostenrahmens veranlassten den Bundesrechnungshof dazu, das Projekt insgesamt als sehr gefährdet einzustufen. Folglich ist ein kompletter Projektabbruch trotz der bisher aufgelaufenen Kosten von rund 170 Millionen Euro denkbar.

Ähnlich erging es bereits zwei anderen Projekten der Steuerverwaltung: "Basar" (Beratungssystem Außensteuerrecht) und dem Programm zur Überwachung von Rechtsbehelfen. Nach Entwicklungszeiten von zehn beziehungsweise 15 Jahren wurde hier die Notbremse gezogen.

Hamburg dagegen stehet mit seiner elektronischen Vergabeplattform "Eva" auf der Sonnenseite der vielversprechenden IT-Projekte in Deutschland. Denn als erste deutsche Stadt schreibt es seine öffentlichen Aufträge via Internet aus. Erwartet werden Einsparpotenziale von drei bis fünf Prozent der jetzigen Einkaufskosten von rund einer Milliarde Euro pro Jahr. Die elektronische Vergabe ist darüber hinaus ein gelungenes Beispiel für "Public Private Partnership": Die Vergabesoftware wurde im Rahmen einer Entwicklungspartnerschaft mit Softwareunternehmen innerhalb von 24 Monaten entwickelt. Kernziel war ein vorteilhaftes Ergebnis für die Betriebe einerseits und die öffentliche Verwaltung andererseits. Die Finanzbehörde brachte dabei ihr vergaberechtliches Know-how ein. Somit konnte der Anteil der Entwicklungskosten für die Finanzbehörde mit rund 200000 Euro weit unterhalb vergleichbarer IT-Projekte gehalten werden.

Mit der Vielzahl komplett überfordert

Fasst man die bisherigen positiven und negativen Erfahrungen zusammen, so kristallisieren sich drei wesentliche Problemfelder heraus: Zum Ersten sind die Behörden mit einer Vielzahl unterschiedlicher, teilweise hochkomplexer IT-Projekte schlicht überfordert. Zweitens ist der professionelle Betrieb und die Weiterentwicklung der eingeführten IT-Anwendungen und -Infrastrukturen von einer wirkungsvollen internen Unterstützung durch eigene Behördenmitarbeiter abhängig. Genau diese kann aus unterschiedlichen Gründen oft nicht erbracht werden. Und drittens wird die Finanzierung von IT-Projekten immer schwieriger. Die traditionelle Haushaltsfinanzierung deckt den Finanzmittelbedarf immer seltener. Alternative Finanzierungsformen sind gefragt.

Drei Ansätze helfen, Fehlentwicklungen zu vermeiden:

Angesichts begrenzter Ressourcen muss jedes Projekt konsequent auf seinen Nutzen abgeklopft werden, zum Beispiel mittels Wirtschaftlichkeitsrechnung. Modernisierungsvorhaben als Selbstzweck in Form von schönen Außendarstellungen gehören der Vergangenheit an. Zukünftig haben Projekte Vorrang, die bald Kosten sparen.

Der Wille zur Veränderung allein reicht nicht aus, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Hierzu bedarf es bester Rahmenbedingungen hinsichtlich Organisation, Prozessen, Steuerung und Mitarbeiterqualifikation. Dies beinhaltet das Entwickeln eines Plans mit messbaren Zielen, klarer Rollenverteilung und eindeutigen Verantwortlichkeiten. Aber auch professionelles Projekt-Management darf nicht zu kurz kommen. Nach Ansicht von Dieter Engels, Präsident des Bundesrechnungshofs, ist IT-Projektarbeit "kein Nebenjob". Modernisierungsprojekte brauchen Mitarbeiter, die genug Zeit dafür haben. DV-Referate und IT-Ämter müssen sich zu modernen IT-Dienstleistern entwickeln.

Für jedes Projekt muss ein individuelles Finanzierungsmodell maßgeschneidert werden. Bund, Länder und Kommunen sollten eng zusammenarbeiten. Netzwerke aus Wissenschaft, Beratung, Verbänden, Non-Profit-Organisationen und Vertretern der freien Wirtschaft sparen Zeit und Ressourcen. Alternative Finanzierungsformen wie Fondsmodelle und Public Private Partnerships (PPP) werden an Bedeutung gewinnen.

Ohne Zweifel sehen sich die Verwaltungen gegenwärtig doppeltem Druck ausgesetzt: dem nach Leistungssteigerung einerseits sowie dem nach Kostensenkung andererseits. Dieser Konflikt kann jedoch nicht als Argument für schleppende Modernisierungsprozesse oder gar Stillstand vorgeschoben werden. Denn dass es auch anders geht, zeigen etliche unserer europäischen Nachbarn: So hat sich Österreich stark an Vorbildern der Industrie orientiert und durch die Einführung eines CIO auf Bundesebene beachtliche Fortschritte in puncto kostenwirksame Standardisierung der IT- Landschaft erzielen können. Es bleibt abzuwarten, wie deutsche Behörden die aktuellen Herausforderungen bewerkstelligen werden. Eines ist sicher: Einfach wird es nicht. (bi)

*Dr. Marc Schomann ist Partner, Stephan Dössel Berater bei der Esprit Consulting AG, München, im Bereich Enterprise-Management.

Abb: Kosteneinsparungen durch IT in Behörden

Qualitäts-, Einsparungspotenziale und Realisierungskosten der gängigsten IT-Vorhaben; digitale Signatur, Outsourcing, ERP-Systeme, E-Formulare und IT-Konsolidierung sind die dominierenden Themen. Quelle: Esprit Consulting AG