Behinderte integrieren sich in den Berufsalltag

16.02.2001
Von Katja Müller
Trotz etlicher Aufklärungskampagnen scheuen sich viele Unternehmen noch immer, Behinderte einzustellen. Die Programmier-Service GmbH in München, ein Unternehmen der Stiftung Pfennigparade, vermittelt seit Jahren Behinderte in IT-Berufe.

Die 38-jährige Oda Schmidt lächelt zufrieden. Dreieinhalb Jahre ist sie nun schon für BMW tätig. Freilich gehört sie als gelernte datentechnische Assistentin mit einem Vordiplom in Informatik zu den derzeit begehrten Spezialisten. Sie arbeitet in der Anwenderunterstützung und beim Support von Helpdesk-Systemen. Dennoch sind die Karrierechancen der 38-Jährigen eher begrenzt. Seit ihrer Geburt ist Oda Schmidt behindert. Ihre Arme haben sich durch das Medikament Contergan nicht vollständig entwickeln können. „Wenn ich meine Bewerbungen abgeschickt habe, und die Personalchefs lasen von 100-prozentiger Behinderung, hatte ich die Unterlagen am nächsten Tag wieder im Briefkasten.“ Dabei war das Arbeiten an der Tastatur nie ein Problem für sie. Dennoch suchte sie vergeblich nach einer Anstellung, bis sie vor vier Jahren von der Stiftung Pfennigparade in München erfuhr. Hier fand sie wie viele andere behinderte Erwerbslose endlich ein offenes Ohr für ihre Probleme. Denn die Institution geht weit über den Standard herkömmlicher Behindertenwerkstätten hinaus. Seit 1973 bietet die Einrichtung neben klassischen Branchen wie Kunst, Handwerk, Malerei und Gartenarbeit auch Dienstleistungen in den Bereichen Programmierservice, Grafikdesign und Informationsverarbeitung an. Dieses IT-Spektrum, das auch ein „normales“ Hightech-Unternehmen kennzeichnet, ist seit 1973 unter dem Dachverband der Stiftung angesiedelt.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Programmier-Service GmbH (PSG) ist seit der Gründung von starkem Wachstum und guter Auftragslage geprägt. Auf der Kundenliste finden sich bekannte Namen wie Siemens, Bosch, Nokia, Telekom oder BMW. Letzterer Konzern vergibt nicht nur Programmieraufträge an die PSG, er beschäftigt auch 53 weitere externe Mitarbeiter der Gesellschaft wie Schmidt. Diese IT-Spezialisten arbeiten bei den jeweiligen Unternehmen, sind aber weiterhin bei der PSG in Lohn und Brot. „Von Anfang an wurde ich bei BMW umfassend integriert“, freut sich Schmidt. Michael Lieb, Geschäftsführer der PSG kann das nur bestätigen: „Nach drei bis vier Wochen werden unsere Externen für die Firmen normal. Man sieht die Behinderung dann einfach nicht mehr.“ Lieb ist seit 1981 bei der PSG und avancierte vor zwei Jahren zum Geschäftsführer der Gesellschaft. Seit dem zwölften Lebensjahr ist er sehbehindert und weiß, welche Sorgen und Nöte seine Kollegen haben.

Rund 100 Mitarbeiter sind für die Softwareentwicklung im Host- und Client-Server-Bereich tätig. Weitere 60 in der Supportabteilung betreuen Netzwerke sowie Standard- oder Individualsoftware. Die Eon Energie AG ließ sich im vergangenen Jahr durch die PSG eine Million Dokumente einscannen und indexieren. Sämtliche Kassenbelege aller bayerischen Filialen der European-Transaction-Bank (vorher Deutsche Bank AG) wurden in drei Jahren über Scanner und Mikrofilm bearbeitet. Die 24 Mitarbeiter erreichten damit ein Arbeitsvolumen von 18 Millionen Belegen pro Jahr. „Zurzeit haben wir bei den Überlassungsgeschäften mehr Anforderungen als Leute, denn wie in der normalen IT-Branche herrscht auch hier Fachkräftemangel“, erklärt der Geschäftsführer, „aber die Integration hat bei uns natürlich immer noch oberste Priorität. Wenn jemand einen Job im IT-Bereich findet, haben wir unseren gesetzlichen Auftrag erfüllt.“ Für den 36-jährigen Hartmut Bicking kann es diesen Erfolg allerdings nur geben, wenn die Arbeitgeber in die Produktionsstätte kommen. Der Diplom-Informatiker ist seit der Geburt am linken Arm behindert. Vor sieben Jahren hat er bei der PSG als Interner angefangen. Heute ist er Leiter der Scanning-Abteilung, an deren Aufbau er maßgeblich beteiligt war. „Erst wenn die Leute sehen, dass es Unterschiede zwischen geistig und körperlich Behinderten gibt, werden sie ihre Vorurteile vergessen.“

Kontinuierliche Weiterbildung ist daher für die Mitarbeiter der PSG unerlässlich geworden. Die Gesellschaft bietet regelmäßige Schulungen nach individuellen Absprachen mit den Auftraggebern an. Dabei tritt häufig das große Improvisationsvermögen vieler Behinderter zu Tage: Styroporblöcke werden unter die zu weit entfernte Tastatur geschoben oder ein Hilfsmittel gebaut, das den Tastendruck ermöglicht. Dass damit eine normale Arbeitssituation geschafft werden kann, wird auch in der Vergütung deutlich. Die PSG bezahlt ihre Mitarbeiter den Metalltarif. Dadurch ergibt sich zwar eine enorme Schere zu den anderen Werkstätten der Pfennigparade, aber die PSG arbeitet auch mit eigenen Konditionen. „Wir sind nur einmal während der Aufbauphase vor zirka 30 Jahren gefördert wurden. Jetzt müssen wir unsere Arbeitsplätze selbst erwirtschaften“, sagt Lieb. Dass dies gelingt und darüber hinaus noch wirtschaftliche Erfolge zu verzeichnen sind, ist an den respektablen Umsatzzahlen zu sehen. Im vergangenen Jahr erreichte die PSG einen Umsatz von 28 Millionen Mark, für dieses Jahr sind 32 Millionen Mark geplant.