Vom Praktikanten zum Chef: Der schnelle Aufstieg und seine Folgen

Befördert - Führung will gelernt sein

29.09.2000
Der Wandel vom Kollegen zum Vorgesetzten verläuft in flachen Hierarchien oft rasant. Nicht zwangsläufig muss der plötzliche Machtzuwachs auch zu Betriebsstörungen führen. Kathi Seefeld* hat sich bei jungen Chefs aus der New Economy umgehört, wie sie mit ihrer Führungsverantwortung umgehen.

"Es sind vor allem die Kunden, die sich beeindruckt zeigen, wenn auf der Visitenkarte plötzlich ein Cheftitel steht", sagt Elke Röttgen (28), seit Januar Mitglied der Geschäftsleitung von Aperto Multimedia/ Cell Network Germany in Berlin. Nichts wirklich Wichtiges ist anders geworden, meint auch Michael Rückert. Der 31-Jährige leitet seit dem Frühjahr die Berliner Niederlassung der WWL Internet AG. Binnen kürzester Zeit machen derzeit Mitarbeiter in flach strukturierten IT-Unternehmen Karriere. Röttgen begann 1996 als Praktikantin bei Aperto, nur wenige Wochen später leitete sie ihr erstes Projekt. Heute trägt sie Verantwortung für Personal, Etat und Umsatz. Rückert kam 1996 als sechster Mitarbeiter zur WWL Internet AG in Nürnberg. Heute führt er in Berlin fast 20 Mitarbeiter. Karriere selbst ist dabei ein Begriff, den die jungen Manager nur ungern verwenden. "Du gehst nicht in ein Unternehmen, um dich nach oben zu strecken", sagt Arco Schneider, Leiter E-Commerce bei Logware Berlin. "Wachsende Verantwortung, immer wieder neue Herausforderungen, das ist wichtig", meint der 37-Jährige. "Ansonsten bin ich immer noch der Gleiche."

Der Wandel vom Mitarbeiter zum Chef ist ein Zeichen dafür, dass jemand "wertvoller" für das Unternehmen geworden ist. Als "Ein-Mann-Team" tüftelte Schneider, der 1995 als Entwickler in die Soft- und Hardwareschmiede für "intelligente Kassen- und Informationssysteme" gekommen war, mit dieser Einstellung nur kurze Zeit. Für den Berliner gab es "einen Tag X, da hatte ich auf einmal zwei Mitarbeiter". "Ich bin da hineingewachsen", beschreibt auch Röttgen. "Ich ziehe Verantwortung gern an mich. Es macht mir Spaß, sie wahrzunehmen." Und Susanne Busshart (33), seit August Geschäftsführerin von Syzygy Deutschland in Bad Homburg, erklärt: "Plötzlich hast du es in der Hand. Jemand, der dich gut kennt, fragt dich, und du musst nur den Mut haben, Ja zu sagen".

So zufällig, wie es scheint, verlaufen die Karrieren allerdings nicht. "Führung kommt durch Tun", ist sich Schneider sicher. Unternehmen wie Logware, in denen flache Hierarchien herrschen, zeichneten sich durch eine "Mach-Mal-Kultur" aus.

Eine solches Klima lasse ein "hochgradig eigenverantwortliches Vorgehen" zu, "es gibt kein strenges Reglement, wie eine Aufgabe zu bewältigen ist". Die strikte Trennung zwischen denen, die Entscheidungen treffen, und denen, die sie auszuführen haben, ist durchbrochen. An die Stelle von Pflichterfüllung ist die Frage nach dem Erfolg getreten.

Mit dem "Peter-Prinzip" - der 1969 geprägte Begriff besagt, dass in jeder Hierarchie jeder Beschäftigte bis dahin befördert wird, wo er am unfähigsten ist - können die jungen Chefs nichts mehr anfangen. "Wir sagen es uns, wenn etwas nicht passt", meint Niederlassungsleiter Rückert. Für Schneider sind ein offenes Klima im Unternehmen, ein lockerer Umgang und vertrauensvolles "Du" wichtige Voraussetzungen, damit alle Arbeitsaufgaben bewältigt werden können. Eine solche Kultur müsse gepflegt werden, auch wenn das Unternehmen eines Tages mehr als 150 Mitarbeiter zähle und das ursprüngliche Credo "Jeder kann jeden ersetzen" nicht mehr stimme. "Die Offenheit muss an allen Schnittstellen bleiben, die das Unternehmen dann hat."

Bei Logware gibt es keine Vorzimmer. Genügend Ruhe, seinen Aufgaben als Chef nachzukommen, hat Schneider trotzdem. "Die Türen sind hier faktisch immer offen. Dennoch haben alle ein Gefühl dafür entwickelt, dass sie nicht mit der kleinsten Frage immer gleich losrennen, sondern selber erst einmal daran arbeiten." Genauso sieht das auch Röttgen: "Einige wenige Mitarbeiter verbinden mit meiner Funktion die Hoffnung, dass ich ständig sage, wo es langgeht. Das habe ich nicht vor. Aber ich kann davon erzählen, wie es ist, ins kalte Wasser zu springen und Dinge zu tun, die man nie zuvor gemacht hat."

Fast immer hänge Führungserfolg davon ab, wie stark das Vertrauen in den ehemaligen Kollegen und jetzigen Chef ist, meint Schneider. Fredmund Malik, Präsident des Verwaltungsrates der Management Zentrum Sankt Gallen Holding AG, definiert den Vertrauensbonus sogar als einzigen Garanten für eine "robuste Führungssituation". Wenn es Probleme gibt, schützt Vertrauen davor, dass ein Bereich oder Unternehmen jedes Mal gleich krisenähnlich gebeutelt wird. Die Erkenntnis, dass Vertrauen nichts Statisches ist, sondern erarbeitet werden kann und entwickelt werden muss, scheint bei vielen im Unternehmen selbst aufgestiegenen Chefs ausgeprägter als bei extern Rekrutierten. "Führen und Motivieren von Leuten macht mir Spaß, es hat mich schon während des Studiums interessiert", sagt Syzygy-Geschäftsführerin Busshart. Doch erst im Job habe sie gelernt, Stück für Stück Verantwortung zu tragen. "In den schnell wachsenden Strukturen unserer Branche sind wir alle Lernende."

Firmenleiter, die im Unternehmen als Praktikant oder einer der ersten Mitarbeiter gestartet sind und alle Höhen und Tiefen von Projekten mit durchlitten haben, scheuen sich wenig davor, ihren ehemaligen Kollegen gegenüber "Vertrauensbeweise" zu erbringen. Fragt man Mitarbeiter des Multimedia-Dienstleisters Aperto danach, was sie an ihrer "Chefin" Röttgen schätzen, antworten sie unter anderem, dass sie sich nicht zu schade ist, bei einer Party für alle die Steaks zu grillen, obwohl sie kein Fleisch isst. WWL-Niederlassungsleiter Rückert hat seine Mitarbeiter nicht zuletzt dadurch beeindruckt, dass er bei der Suche nach einem neuen Standort trotz Gipsbeins tatkräftig mit dabei war. Und Syzygy-Geschäftsführerin Susanne Busshart genießt Vertrauen, weil es ihr gelingt, ihre Management-Aufgaben und ihre Rolle als Mutter eines neun Monate alten Jungen verantwortungsvoll unter einen Hut zu bringen.

Allerdings wird das Engagement nach dem Rollentausch vom Kollegen zum Chef keineswegs von allen Mitarbeitern durch ebenso großen Arbeitseinsatz honoriert. Dazu der Berliner Psychologe Lutz Meyer: "Die meisten Führungskräfte sind Führungskräfte geworden, weil sie sich als gute Sacharbeiter hervorgetan haben. Viele neigen leider auch als Chefs dazu, weiter Sacharbeit bewältigen zu wollen." Gerade Vorgesetzte, die zuvor auf einer Ebene mit ihren jetzigen Mitarbeitern agiert haben, müssten sich besonders der Tatsache bewusst sein, dass "es psychologisch betrachtet gesetzmäßig ist, dass sich ihr Verhalten gegenüber den einstigen Kollegen in dem Moment ändert, in dem sie ein Machtinstrument in der Hand halten". Aus verständlichen Gründen werde das bei Problemen im Unternehmen nie als Ursache benannt.

Gute Beziehungen lassen sich gerade auch in flachen Hierarchien nur fortsetzen, wenn keine Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung vorgetäuscht, sondern Konflikte klar benannt und diskutiert werden. "Ich beobachte in einigen jungen Unternehmen eine eigentümliche Harmonie nach der Devise ,Wir sind alle gleichgestellt.'' Damit werden oft jene unterdrückt, die ohnehin das Gefühl haben, benachteiligt zu werden." Ein Du, so Meyer, helfe da allein nicht weiter. Nicht wenige Chefs unterliegen der trügerischen Hoffnung, Störungssignale verschwänden im Alltagsgeschäft. Gute Führungskräfte zeichneten sich dadurch aus, zwischenmenschliche Veränderungen im Team zu erkennen, sie müssten dafür sorgen, dass Kooperations- und Kommunikationsprozesse in jeder Frage gewährleistet seien.

Um Betriebsstörungen dauerhaft zu vermeiden, gelte es "zu lenken, zu leiten und zu beobachten". Aufgaben, bei denen man sich als Mitarbeiter einst hervortun konnte, sollte man abgeben. "Leider haben die wenigsten, die als junge Mitarbeiter in ein Unternehmen kommen, während ihrer Ausbildung bereits Personalführung gelernt." Schneider kann das nur unterstreichen: "Meine Fachkenntnisse waren klar. Führungserfahrung hat man mir einfach zugetraut, ganz gleich, ob ich je welche gesammelt hatte." Auch Röttgen weiß, wovon Psychologe Meyer spricht: "Natürlich muss ich mit meinen Mitarbeitern auch über Gehälter oder über ihre Leistungen reden. Etwas schwierig ist es aber eigentlich nur mit Freunden. Da ist es von beiden Seiten nicht mehr so leicht zu sagen: Du, das war heute nicht so toll."

Bei vielen Unternehmen der Branche ist nicht zuletzt unter dem Druck ihres rasanten Wachstums und der Frage, wie Informationsflüsse auch zwischen mehr als 100 Mitarbeitern garantiert werden können, die Erkenntnis gewachsen, dass auch die intern rekrutierten Führungskräfte in flachen Hierarchien ein regelmäßiges Training oder Coaching brauchen. Bei der Logware Informationssysteme GmbH war das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Chefs bereits Gegenstand von Schulungen und Workshops. "Wir haben Szenen durchgespielt, hinterfragt, wer kann mit wem arbeiten, wollten Aversionen und Missverständnissen rechtzeitig vorbauen." Womit Schneider nicht gerechnet hatte: "Es sprachen mir plötzlich unheimlich viele Mitarbeiter nachdrücklich ihr Vertrauen aus. Ich selbst habe mich nicht so als Chef gesehen. Sie wollten mit mir zusammenarbeiten." Da wusste er, dass sich für ihn eben doch einiges verändert hat.

*Kathi Seefeld ist freie Journalistin in Berlin.