Bedienerführung? Die Computerführung durch den Mitarbeiter ist es, was wir brauchen

19.12.1980

Helmut B. Dies Gesellschaft für Unternehmensberatung und Betriebsorganistion m. b. H., Schwalbach am Taunus

Der Gestaltung von Bildschirm-Arbeitsplätzen wird heute in den Betrieben viel Beachtung geschenkt. Diese Beachtung bezieht sich leider vorwiegend auf die äußere Arbeitsplatzgestaltung. Meist stehen lediglich Fragen wie Blendfreiheit, körpergerechte Haltung, Schallschutz, Klimaanlage, nicht reflektierendes Material und geeignete Beleuchtung zur Diskussion.

Diese Betrachtungsweise ist gut und notwendig, aber leider nur eine mechanistische und fast eine materialistische. Schnell drängt sich der Vergleich auf mit dem bestens versorgten Kranken: sauber, warm, satt, bakterienfrei (fast) schmerzfrei durch Medikamente. Nur kümmert sich meist niemand um die seelischen Nöte des Kranken. Anders ausgedrückt: Man braucht nur viel Aufwand nachzuweisen, und der unmündig gemachte, unbedarfte, Bürger hat den Schluß zu ziehen, es sei alles zum besten bestellt. Die meisten Bürger bezweifeln derartige Ungereimtheiten gar nicht mehr.

Zurück zu den Bildschirm-Arbeitsplätzen: Man weist nach, daß sich eine illustre Kommission um deren Gestaltung gekümmert hat (man kann also mit großem Aufwand aufwarten), und der Mitarbeiter hat zu glauben, es sei damit alles gut. Er hat zu glauben es sei ein echter Fortschritt, wenn er vom Computer zur Hilfskraft degradiert wird, die weder rechts noch links ausweichen kann. Im modernen Sprachgebrauch nennt man das "Bedienerführung". Dahinter verbirgt sich: Klopfe tagein, tagaus nach demselben, absolut invariablen und bis ins kleinste Detail vorgeschriebenen und erzwungenen Verfahren Daten in den Computer ein. Der Mitarbeiter wird so unter Umständen zu einer Art von tippendem Galeerensklaven.

Was aber ist der Computer? Nichts anderes als der Reproduzent dessen, was sich Programmierer und andere Datenverarbeitungsleute irgendwann einmal haben einfallen lassen - oder auch nicht haben einfallen lassen. Selbst bei vorsichtiger Schätzung wird man in mindestens 80 Prozent der Fälle geschriebener Programme und ausgearbeiteter Computersysteme feststellen müssen, daß die Computerleute keine Fachleute des von ihnen programmierten - und oft auch organisierten - Fachgebietes waren. Woher aber soll ein Datenverarbeiter, der das Fachgebiet nicht zutiefst kennt, die Souveränität nehmen, dem Mitarbeiter am Bildschirm sachlich diejenigen Möglichkeiten zu geben, die ihm in gemeinsamer Arbeit mit dem Computer weitgehende Gestaltungsfreiheit lassen? Oft ist man in der EDV froh, wenn das sachliche Problem überhaupt richtig gelöst ist.

Meist fehlt die Zeit und die Kompetenz, sich um Alternativen bemühen zu können. Hinzu kommt noch die Tatsache, daß Bildschirm-Maskengeneratoren oft mit Atavismen aus der "Übertragung des Formulars auf den Bildschirm" befrachtet sind und daß viele Computerhersteller diese Starrheit - wir wollen hoffen: in gutem Glauben! - als einen Vorzug hinstellen.

Zu guter Letzt - wenn wir schon so ätzende Kritik üben - bleibt festzustellen, daß die Bildschirmgestaltung beim Ausarbeiten des Problems nicht selten so ganz nebenbei durchgeführt wird. Die Datenverarbeiter legen sich nicht immer Rechenschaft darüber ab, daß nach Anlauf der "Produktion" viele Kollegen sich jahrelang mit manchen unschönen Erscheinungsformen der Bildschirmarbeit herumplagen müssen.

Wollen wir an den Bildschirm-Arbeitsplätzen die Menschenwürde achten, so müssen wir in Zukunft eine Begriffsumkehrung vornehmen. Es darf nicht mehr "Bedienerführung" heißen, sondern die "Computerführung durch den Mitarbeiter" muß verwirklicht werden. Und allererstes Gebot muß sein, daß dem Mitarbeiter genügend Alternativen bleiben, die ihm eine eigene Gestaltung der Arbeit erlauben. Dazu gehört die Möglichkeit, ein und denselben inhaltlichen Sachverhalt dem Computer auf verschiedene frei wählbare Arten bekanntgeben zu können. Das aber ist der derzeitig angewendeten Art der "Bedienerführung" diametral entgegengesetzt.

Nun verlangen aber solche "menschenfreundlichen" Lösungen viel Wissen um die Sache (und eben nicht nur die des Computers), viel Können, reiche Phantasie, vieleicht auch einen (nicht unbedingt immer spezialisteneigenen) allgemeinen Wissensstand.

Daß sich menschenwürdige Methoden der Bildschirm-Datenverarbeitung in die Praxis umsetzen lassen, ist nachgewiesen für alle diejenigen Fälle, in denen man den wünschenswerten Wissensstand einsetzen konnte und der arbeitende Mensch als das Wichtigste am Gesamtsystem angesehen wurde.

Beim Realisieren solcher "höherer Lösungen" zeigt sich auch noch ein Nebeneffekt: Diese Lösungen gehen aufgrund ihres sachlichen Wertes rationeller als die "sturen" Verfahren mit der Mitarbeiterzeit und mit der Computerzeit um. Nur eines bleibt enttäuschend: Für derartige Ansprüche lassen sich keine Rezepte formulieren. Jeder Fall liegt anders. Es gehört zu allem anderen Geforderten eine ganze Menge Erfahrung dazu, ein System sowohl menschenwürdig als auch für die Unternehmung rationell zu gestalten. Und noch enttäuschender: Weder während der Systemgestaltung noch etwa nachträglich läßt sich die Achtung vor dem arbeitenden Menschen einbauen. Man möchte fast sagen: Der Designer eines Systems muß von diesem Anliegen förmlich durchdrungen sein - Menschwürdigeit kann keine isolierbare Arbeitsroutine sein!

Es lohnt sich für eine Unternehmung, wenn sie sich beim Systemdesign sehr gründlich mit den hier angeschnittenen Fragen befaßt, sich vielleicht auch ganz speziell von einem außenstehenden Sachkenner beraten läßt. Es lohnt sich weiterhin, Anlaufkosten und Ausbildungszeiten in Kauf zu nehmen. Denn Bedienungsverfahren, die sich in Minuten erlernen lassen, sind nicht nur für den arbeitenden Menschen so primitiv, daß sie schon nach wenigen Tagen zur grausam ermüdenden Routine werden, sondern sind auch längerfristig weniger wirtschaftlich.

Und es lohnt sich, die Mitarbeiter ein wenig nach ihrer eigenen Individualität arbeiten zu lassen. So geht die Arbeit nämlich schneller, die Mitarbeiter sind zufriedener - und die Firma spart Geld.