EGS hält sich viel auf Benutzeroberfläche zugute und die Unix-Option noch offen

BDI: Anwendungen lieber mit kleinem Partner entwickeln

08.07.1988

KÖLN (sch) - Nicht leicht gemacht hat sich der Bundesverband der Deutschen Industrie aus Köln - kurz BDI - die Entscheidung für ein integriertes Bürokommunikationssystem. Unter zwei Dutzend Anbietern machte schließlich das Erkrather Unternehmen EGS mit seiner homogenen OA-Lösung das Rennen. Eindeutig im Vordergrund stand für den Kölner Spitzenverbund die Qualität der Anwendung.

Mit Office-Automation-Systemen hatten die Mitarbeiter des BDI bis 1986 so gut wie nichts am Hut. Für die Lohn- und Finanzbuchhaltung gab es eine Ericsson-Anlage, darüber hinaus bestand über sechs Terminals die Möglichkeit zur zentralen Textverarbeitung (Schreibbüro). Ansonsten wurde mit Kugelkopfschreibmaschinen gearbeitet. "Da die gesamte Aufgabenstellung Bürokommunikation für die Mitarbeiter neu war, haben wir vom frühesten Zeitpunkt an Akzeptanzmaßnahmen parallel zur Definition von Anforderungen zur Konzepterstellung und zur Ausschreibung durchgeführt", betont Susanne Berendes, Referentin für Bürokommunikation im BDI.

In einer sogenannten Volkshochschule BDI wurden grundlegende Fragen der Bürokommunikation diskutiert, dem Erfahrungsaustausch dienten aber auch Gesprächszirkel unter dem Motto "Mikrochips und Kaffeeklatsch" und Vorträge von Anwendern, die bereits mit der OA-Thematik vertraut waren. Als dann 1984 die Anschaffung eines neuen Bürokommunikationssystems anstand, ging es auch um das Für und Wider von Inhouse-ISDN. Berendes:

"Wir haben bei unserer Bestandsaufnahme gemerkt, daß wir sehr dokumentenbezogen arbeiten. Man kommt da schnell in Größenordnungen von Dokumenten und auch von Anforderungen an ein Netzwerk, die ISDN in dem Maße nicht mehr leisten kann." Darum hat sich der BDI für die getrennte Installation einer digitalen PBX 3W600 von Nixdorf entschieden, die im Sommer '84 installiert wurde und inzwischen auf eine 3W3000 aufgestockt wurde.

Diese Anlage wird gemeinsam mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft genutzt. Bestandteil der Konzeption war jedoch von Anfang an, eine Verbindung von LAN und PBX über Anwendungen zu erreichen. Geplante Applikationen sind zum Beispiel: Verbindung von Mailbox-Systemen mit Sprachspeichersystemen und die Umsetzung von Sprache in ASCII-Dateien sowie der Aufbau einer Telefonverbindung aus einer Datenbankanwendung (Wahlimpulsgeber).

Entscheidungsprozeß mit zwei Ausschreibungen

Im Rahmen der Ausschreibung Bürokommunikation wurden 22 Anbieter aus der Textverarbeitungs-, Datenverarbeitungs- und Kommunikationsindustrie um die Abgabe eines Konzeptionsvorschlages, basierend auf dem vorbereiteten Anforderungsprofil, gebeten. Die Ausschreibung fand auf der Basis funktionaler Anforderungen statt, so daß eine Offenheit für die verschiedenen Herstellerkonzepte bestand. Es fand jedoch keine Ausschreibung im eigentlichen Sinne statt, die spezifische Anforderungen beinhaltete, so daß, laut Susanne Berendes, nur noch ein oder zwei Hersteller in Frage gekommen wären: "Wir haben in zwei Runden ausgeschrieben. In der ersten Phase wollten wir wissen, was die Anbieter strategisch unter Bürokommunikation verstehen und wie sich so ein System im Sinne eines Werkzeugkastens für das Büro weiterentwickelt."

Der Kriterienkatalog umfaßte folgende Punkte:

- Es sollten in erster Linie Arbeitsplatzsysteme mit einer eigenen Intelligenz installiert werden, die sowohl dezentral und autonom in einzelnen Abteilungen des BDI arbeiten als auch im Netzwerkverbund miteinander kommunizieren können.

- Die Systeme für die einzelnen Abteilungen sollten mehrplatzfähig sein und in jeder Phase des Ausbaus erweiterungsfähig sein, ohne Störung oder Unterbrechung der anderen Arbeitsplatzsysteme.

- Die Grundanwendungsgebiete Textverarbeitung mit Adreßverwaltung auf Datenbankbasis und Telex- und Teletexanbindung sollten sofort einsetzbar sein und über eine einheitliche, bedienerfreundliche Benutzerschnittstelle verfügen.

- Das Betreuungs- und Serviceangebot sollte aus ein- und derselben Hand kommen wie die Systemlieferung und die Bereiche Schulung, Wartung und Service umfassen. Außerdem war die Bereitschaft zur kundenindividuellen Anpassungsprogrammierung gefordert und damit das flexible Eingehen auf die BDI-Organisation.

- Die Zulassung zu den Datendiensten der Post für den Zugriff auf andere Netzwerke und externe Datenbanken über die entsprechenden Protokolle und die Kommunikationsmöglichkeit mit Host-Systemen von anderen Verbänden oder mit Mailbox-Diensten mußte ebenfalls gegeben sein.

Parallel zur Ausschreibung bestand für verschiedene Hersteller die Möglichkeit zu einer Pilotinstallation gegen Kostenerstattung. Für eine Angebotsabgabe entschieden sich 14 Hersteller, sieben waren auch zu einer Praxisinstallation auf Kurzzeitmietbasis bereit. Bei den Pilotinstallationen legte der BDI großen Wert darauf, daß diese Phase kein Präjudiz für die Ausschreibung darstellte, sondern nur dazu diente, Erfahrungen mit der Technik zu sammeln.

In Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis "Neue Medien" des BDI und der Beratungsleistung durch das Betriebswirtschaftliche Institut für Organisation und Automation an der Universität zu Köln (Bifoa) erfolgte die fachliche Abstimmung mit den Herstellern, die ein Angebot zur ersten Runde der Ausschreibung abgegeben hatten (Bourroughs, CPT, Digital Equipment, EGS, HP, Honeywell Bull, IBM, Kienzle, Nixdorf, Rank Xerox, Siemens, TA und Wang). Der Kreis der in Frage kommenden Anbieter reduzierte sich nach eingehender Konzeptprüfung auf die fünf Anbieter DEC (All-in-One/VAX und Microvax), Nixdorf (Targon-Office und RDB als Datenbanksystem), Siemens (EMS 5800, BS 2000 als DB-Rechner) und Wang (VS-System mit Wang Office und Pace als DB-System).

Fünf Hersteller kamen in die engere Wahl

Bei dem weiteren Entscheidungsprozeß spielten Software-Leistungen neben Kosten des langfristigen Unterhalts die Entwicklungsdynamik des jeweiligen Herstellers und die der Weiterentwicklungsfähigkeiten der Produkte eine entscheidende Rolle.

Neben der Kriteriengewichtung wurden im Rahmen eines formalisierten Auswahlverfahrens (Kölner Verfahren der Bifoa) die Bereiche Textverarbeitung und Datenbanksysteme hinsichtlich ihrer Integrationsfähigkeit und Netzwerkanbindung bewertet. Behrendes: "Wichtig war es, an beliebige Netze heranzukommen, egal ob man trivial das Telexnetz vom Arbeitsplatz ausnutzen wollte, oder Datex-L-Zugriffe für Teletex oder Datex-P-Anschlüsse gewährleisten wollte, um Datenbanken und Mailbox-Systeme anzusprechen."

Ebenfalls im Vordergrund stand die Realisierung von Volltext-Datenbanken auf der Basis eines relationalen Datenbanksystems. Diese Anforderungen dürfen - so die Verantwortliche für den Bereich Bürokommunikation - aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß "Leute mit den Systemen arbeiten, die in Fachaufgaben denken und nicht DV-Freaks werden wollen. Wir sind Anwender und wollen auch Anwender bleiben." Keinesfalls vorgesehen sei der Aufbau einer Informatikabteilung. Damit die Facharbeitskraft bequem arbeiten könne, müsse sich eben als eine der wohl wichtigsten Anforderungen "die gebotene Benutzeroberfläche nach der Decke strecken". Bei den ausgewählten fünf Anbietern erfolgten im übrigen keine Testinstallationen mehr.

Nach fast zweijähriger Vorbereitungs- und Auswahlphase wurde der Geschäftsleitung des BDI die Auswahl des EGS-Systems empfohlen. Im Oktober 1986 erfolgte dann die Auftragserteilung für eine Startversion an das Erkrather Unternehmen. Neben den bereits angeführten Gesichtspunkten sprach für EGS laut BDI auch die Tatsache, "daß sich zum Beispiel für die Anwendungsentwicklung eine wesentlich engere Beziehung bei einem kleineren Unternehmen zwischen dem Anwender und Anbieter entwicklen kann als zum Beispiel bei einem großen Haus wie DEC, Wang oder Siemens."

Token-Bus als Rückgrat

Zunächst wurden 33 EGS-Arbeitsplatzsysteme der Serie Mini und 22 Canon-Laserdrucker mit Doppelblattzuführung als Stand-alone-Lösungen in Betrieb genommen. Nach Schulung der rund 150 Mitarbeiter und dreimonatiger Inbetriebnahme der Anwendungen wurden die Systeme per Token-Bus miteinander verknüpft und erste übergreifende Anwendungen wie Mail, hausübergreifende Datenbankapplikationen neben den lokalen Arbeitsplatzanwendungen installiert.

Die Übertragung im Netz erfolgt mit einer Geschwindigkeit von 2,5 Megabit pro Sekunde. Neben den Zugängen zu öffentlichen Netzen, wurde über eine 9750-Emulation die Dialoganbindung zu einem bereits vom benachbarten Institut der Wirtschaft betriebenen Siemensrechner 7536 realisiert.

In einem nächsten Schritt hat der BDI Informationssysteme wie das Archiv und Adreßmanagement entwickelt. Hierfür wurden mehrere Datenbanken kommunikativ gekoppelt, so daß der Benutzer unter einer Oberfläche arbeiten, aber in verschiedenen DBs Informationen in die Maske einblenden kann. Allgemeine Adreßinformationen sind um abteilungsbezogene, individuelle Informationen ergänzt und stehen allen Arbeitsplätzen als Informationssystem und für Verarbeitungen zur Verfügung (Listen, Aufklebeetiketten, Serienbriefe, Einzelbriefe und Übersichten).

Kleines Programm mit großer Wirkung

Seit Anfang 1988 ist der BDI im übrigen selber Datenbankanbieter: Er bietet eine Volltext-Datenbank für seine Mitgliedsverbände und Landesvertretungen an, die sich über Datex-P abrufen läßt. Momentan befinden sich 750 Dokumente in der Datenbank; täglich kommen 10 bis 15 Dokumente hinzu. Für diese Anwendung ist bei EGS seit kurzem ein Retrieval-Modul verfügbar, mit dem man den Netzzugang herstellt. Dazu Berendes: "Wir haben immer genascht von den neuen Entwicklungen, die verfügbar sind. Wir nutzen hier beispielsweise ein kleines Programm mit großer Wirkung, das auf die EGS-Standarddiskettenlaufwerke eine EGS-Datei als MS-DOS formatierte Datei ausgeben kann und vice versa." Als Mailbox-System kommt Geonet zum Tragen, über das neben vielen Mitgliedsverbänden des BDI sowohl das Büro Washington als auch der Brüsseler Sitz angebunden sind.

Unix ist kein Damoklesschwert

Ein EGS-System Mini fungiert als Fileserver für die netzübergreifenden Anwendungen des BDI. Er verfügt über eine Magnet-Speicherkapazität von 660 MBytes. Die Kommunikationsanwendungen werden über einen Kommunikationsserver abgewickelt. Alle Systeme des Netzes laufen unter identischer Software.

Nach mehr als einem Jahr Praxiserfahrung im täglichen Einsatz, der laut BDI ohne nennenswerte Probleme im programm- und systemtechnischen Bereich verlief, lagen bereits so weitreichende Erfahrungen vor, daß die zweite Implementierungsphase vorgezogen wurde. Anfang des Jahres wurden nochmal 25 Arbeitsplätze installiert. Obgleich das EGS-eigene Betriebssystem zum Tragen kommt, geht die Unix-Debatte natürlich auch am BDI nicht spurlos vorbei. Dennoch: "Ob das jetzt Multi-DOS, oder MVS, oder Unix heißt", sagt Susanne Berendes, "ist mir als Anwender zunächst einmal egal. Ich möchte, daß meine Applikation so läuft, wie ich sie brauche." In diesem Zusammenhang würde das Wort Kompatibilität oft strapaziert. Gemeint sei aber in vielen Fällen Portabilität und diese würde durch die vielen Derivate von Unix unterwandert. Warum solle man - jetzt eine Unix-Welt reinbringen und Kompromisse machen, was die Benutzeroberfläche und die Anwendungen anbeträfe. Der BDI habe zwar in seiner Ausschreibung von '86 den Unix-Server miteingebunden, aber das in erster Linie, um sich "offenzuhalten". Für den Anwender sei Unix aber keineswegs ein Damoklesschwert.