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Bayerisches Bezirkssozialamt: Wegen DV-Umbau geschlossen

13.07.1999
CW Infonet Exklusiv

CW-Bericht, Ulrike Ostler

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - "Wegen DV-Umstellung für den Publikumsverkehr geschlossen", heißt es seit fast zwei Monaten bei der Sozialverwaltung des Bezirks Oberbayern in München. Vom 1. Juni bis zum 31. Juli kann das Amt nur noch schriftlich erreicht werden, niemand geht ans Telefon. Schuld ist die Ablösung eines 18 Jahre alten DV-Systems durch "Sozius Open". Die neue Software hat Macken, die alte ist weder Jahr-2000-tauglich noch funktionsgerecht. Betroffen sind die 250 Sachbearbeiter des Sozialamts und vor allem die 27 DV-Fachkräfte, die im vergangenen halben Jahr 4000 Überstunden angehäuft haben.

"Sozius Open" kommt von der Münchner Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB). Im Gegensatz zum in Cobol programmierten Vorgängersystem, einer Terminal-Emulation, die ebenfalls von der AKDB stammt und auf einer "HP 3000" implementiert ist, soll das neue Produkt den Sachbearbeiter durchgängig bei allen Buchungen unterstützen. Das alte System erlaubte lediglich das Anlegen von Akten, die Verwaltung von Betreueradressen sowie das Buchen von Einnahmen und Ausgaben. Ein monatlicher Rechnungslauf der Behörde umfaßt rund 30 000 Buchungen mit einem Gesamtvolumen von knapp 60 Millionen Mark.

Die Angestellten und Beamten des Sozialamts sind nun damit beschäftigt, die 35 000 registrierten Fälle durchzuarbeiten und die Informationen manuell in eine Oracle-Datenbank zu übertragen. Zwar wäre es möglich gewesen, die Altdaten in die neue Anwendung zu migrieren. Diese bestehen jedoch vornehmlich aus den Geburtsdaten der Pflegefälle, so daß ohnehin jede Akte einzeln hätte aufgearbeitet werden müssen.

Die AKDB hat aus Sicht des Sozialamts den Zeitplan nicht eingehalten. Zusammen mit sechs der sieben bayerischen Bezirke hatte Oberbayern ein Pflichtenheft erstellt, für das es vor zwei Jahren eine Ausschreibung gab. Die Bezirksverwaltung ging zu diesem Zeitpunkt noch von der fristgerechten Fertigstellung aus - dies beweist ein Schulungstermin vom Herbst 1998. Derweil mußte die Behörde von Windows 3.x auf NT wechseln und Microsofts Büropaket "Office 97" anbinden. Die Folge waren 300 neue PCs und die Aufrüstung von 100 weiteren. Im Umgang mit "Sozius Open" änderte sich so viel, daß die Sachbearbeiter im Juni dieses Jahres nachgeschult werden mußten. Parallel muß das Altsystem weitergepflegt werden. Es dient noch eine Zeit lang zu Auskunftszwecken, wird aber auch benötigt, um den aufgelaufenen Buchungsrückstand von einem halben Jahr aufzuarbeiten.

Johann Geier, stellvertretender Referatsleiter EDV des Bezirks Oberbayern, erhebt weitere schwere Vorwürfe gegen die AKBD. Die generelle Performance des Systems leide darunter, daß sämtliche Berechnungen auf dem Client liefen. Außerdem verändere der Dienstleister immer noch die Oberfläche und ganze Abläufe im Programm. Gelieferte Updates funktionierten nicht, die zuständigen Ansprechpartner seien nicht zu erreichen. Alfred Trageser, Vertriebsdirektor bei der AKDB, weist sämtliche Vorwürfe von sich: "Wir haben ein reines Gewissen, weil wir gute Arbeit geleistet haben." Die vorgenommenen Nachbesserungen seien auf geänderte Wünsche der Bezirke zurückzuführen. Ob es jemals zu Ausfällen nach einem Update gekommen sei, müsse erst einmal recherchiert werden. Und zwei bis drei Leute im Support seien immer erreichbar.

Bis Ende des Jahres müssen noch fünf weitere, allerdings deutlich kleinere bayerischen Bezirke auf "Sozius Open" wechseln. Damit kommen auch auf sie Probleme wie das Umschreiben der Akten und die Einarbeitung in neue Abläufe zu. Somit stehen auch hier Einschränkungen im Publikumsverkehr an. Lediglich Unterfranken ist aus dem Schneider - der Bezirk nutzt ein eigenes System von der Hamburger GSO AG.