Virtuelles Lernprogramm als Baustein zur Firmenuniversität

Bayer will Vorreiter beim Lernen aus der Steckdose sein

05.05.2000
Nur wenige Unternehmen nutzen bei der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter die Chancen, die das Web bietet. Das ist bei der Leverkusener Bayer AG anders: Hier werden Manager virtuell trainiert.Von Gabriele Müller*

Schon seit einigen Jahren gibt es beim Leverkusener Chemiemulti das konzerninterne Prinzip der wertorientierten Unternehmensführung, mit der unternehmerisches Handeln in allen Geschäftsbereichen und Prozessen gefördert werden soll. Dadurch hofft Bayer, eine Steigerung des Unternehmenswertes zu erreichen. Der Erfolg wird an betrieblichen Kennzahlen gemessen und auch unmittelbar belohnt: Das Bewertungssystem ist an die Vergütung gekoppelt. "Die Inhalte des Wert-Managements werden jedoch von den Führungskräften nicht vollständig umgesetzt oder gelebt", beklagt Hans-Erwin Hermann, Leiter des Ressorts Konzern-Controlling bei Bayer. "Wenn unser Wert-Management-System wirklich zum unternehmerischen Erfolg beitragen soll, dann müssen sich die Führungskräfte damit identifizieren können." Jede Führungskraft, die zur Steigerung des Unternehmenswertes und zum Wachstum des Konzerns aktiv beiträgt, soll dieses Wert-Management eigenverantwortlich erarbeiten und umsetzen.

Die Inhalte des Wert-Managements bekommen die Führungskräfte nun durch ein virtuelles Lernprogramm vermittelt. Mit Hilfe dieses Web-based Trainings (WBT) können sich die Bayer-Manager über betriebswirtschaftliches Wissen und unternehmerische Ziele über das Intranet informieren. Die Entscheidung für diese Form des Lernens begründet Hermann so: "Wir haben nach einem zeitgemäßen Management-Tool gesucht, das den Anwendern die Hemmungen vor den sehr komplexen Themen nimmt. Wir wollten aber noch mehr erreichen: Die Nutzer sollen durch das Training motiviert werden, Inhalte eigenverantwortlich zu erarbeiten und sie dann in der betrieblichen Praxis umzusetzen." Noch dazu lege man mit diesem Pilotprojekt den Grundstein für eine virtuelle Firmenuniversität, hofft er.

Hohe Anforderungen hatte auch die Düsseldorfer Agentur Mtw Lean Communication GmbH zu erfüllen. Sie war für die Gestaltung der einzelnen Lektionen zuständig und konzipierte den Bayer-Anwendern das Training. "Wir haben ganz bewusst Darstellungen gewählt, die speziell auf die Zielgruppe und die Lerninhalte abgestimmt sind", erklärt Susanne Thiele, Kreativdirektorin und eine von drei Geschäftsführern bei Mtw. Das bedeutete zwar den Verzicht auf manche technisch mögliche Spielerei, nicht aber auf ein aufwendiges Design: "Lange Ladezeiten und umständliche Bedienung haben wir von vornherein ausgeschlossen."

Thiele betont außerdem, wie wichtig es sei, "dass die Anwender den Bezug der Thematik zu ihrer täglichen Arbeit sehen. Deshalb haben wir bei der Visualisierung der Inhalte auch Wert darauf gelegt, Bilder und Illustrationen aus der Bayer-Welt, zum Beispiel von Arbeitsplätzen, zu integrieren." Was für die Gestaltung gilt, trifft auch auf die Inhalte zu: Bei den Übungsaufgaben wurden Fallbeispiele eingesetzt, die den Nutzern aus dem Arbeitsalltag bekannt sind.

Aber bis zum endgültigen Einsatz des Lernprogramms war es ein weiter Weg, den das Team aus Düsseldorf mit Bayer beschritt. "Es hilft nichts, den Anwendern eine Lernsoftware überzustülpen und sie damit allein zu lassen", ist Thomas Woywod, Mtw-Geschäftsführer und erfahrener Trainer, überzeugt. "Wichtig ist die Einbindung der Lernenden, das Eingehen auf deren Bedürfnisse und Ansprüche an das Lernprogramm." Deshalb nahmen sich das Unternehmen und die Agentur auch Zeit, die potenziellen Anwender auf die Handhabung des WBT vorzubereiten. "Neben Informationsveranstaltungen gab es Broschüren und eine CD-ROM als Hilfestellung", zählt Hermann auf.

Den Anwendern ist inzwischen klar geworden, dass es bei diesem netzbasierten Training um die Akzeptanz von innen, nicht die Überwachung von außen geht. "Darin sehen wir einen großen Vorteil dieser Lernform gegenüber herkömmlichem Präsenztraining", unterstreicht Hermann. "Hier kann jeder Nutzer anonym bleiben, den Stoff so lange und oft wiederholen, wie er es für richtig hält, ohne auf das Lerntempo von anderen Kursteilnehmern Rücksicht nehmen zu müssen." Deshalb verzichtet das Training auch bewusst auf bestimmte Eingangsvoraussetzungen und eine Abschlussprüfung. Statt dessen wird der Teilnehmer mit aufeinander abgestimmten Lektionen durch die Inhalte geführt und mit Fragen zur Selbstkontrolle motiviert.

Um das didaktische Konzept technisch umzusetzen, kooperiert das Düsseldorfer Unternehmen mit der irisch-amerikanischen Firma WBT Systems, einem Anbieter und Entwickler von virtuellen Firmenuniversitäten. "Wir schaffen Instrumente, mit denen sich Wissen besser managen lässt. Und dazu gehören eine intuitive Benutzerführung, leichte Verständlichkeit, Feedback und die Möglichkeit zur Identifikation", sagt Woywod.

Bei Bayer werden die Nutzer des WBT nicht allein gelassen. Es wurden virtuelle Klassen gebildet, in denen die Lernenden sich austauschen können. Außerdem steht in jedem Unternehmensbereich ein Coach zur Verfügung, der die Mitarbeiter bei inhaltlichen Problemen unterstützt. Das zweigleisige Konzept kommt bei den Führungskräften gut an - auch bei denen, die keine oder wenig Erfahrung mit dem Medium haben. Er ist von den Vorteilen eines Web-based Training überzeugt. Bei der Mitarbeiterweiterbildung konnten sogar Kosten eingespart werden. Auf rund eine Million Mark veranschlagt er die Gesamtkosten für das Projekt "Virtuelles Lernen bei Bayer" inklusive der Lizenzgebühren für die bislang rund 10 000 Teilnehmer. "Das wäre in einer vergleichbaren Größenordnung mit Präsenzschulungen erheblich teurer geworden", behauptet Hermann. Auch verglichen mit Computer-based Training (CBT) ist Wissensvermittlung via Web seiner Meinung nach die preiswertere Variante, da die Inhalte kostengünstig erweitert und aktualisiert werden können.

Deshalb gibt es bei der Bayer AG auch Pläne für einen weiteren Einsatz dieses Lernprogramms. Die englische Fassung wurde bereits erarbeitet und soll noch in diesem Jahr weltweit bei allen Bayer-Tochtergesellschaften zum Einsatz kommen. Dann werden 20000 bis 30000 Anwender interaktiv und virtuell am Arbeitsplatz lernen können. Was Hermann besonders freut: "Wir haben bereits konkrete Anfragen danach aus vielen Ländern."

* Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.