Basis kritisiert nebuloese Unternehmenspolitik Digital Equipment soll die Firmenziele klarer vermitteln

17.12.1993

MUENCHEN/MAYNARD (CW) - Die Digital Equipment Corp. (DEC) ist mit zunehmender Kritik der Anwenderbasis an angeblich zu nebuloesen Unternehmensbotschaften konfrontiert, die DEC bezueglich seiner Client-Server-Strategie (CS) verlauten laesst.

DEC macht seit einigen Monaten Erfahrungen, die auch Politiker immer wieder in Irritationen versetzen: Die Stimme des Volkes mischt sich ein in hochoffizioese Belange. Auf der gerade abgehaltenen Decus-Konferenz (Digital Equipment Computer Users Society) in San Franzisko erwarteten Industriebeobachter allgemein, dass das DEC-Volk die Unternehmensoffiziellen dazu draengen werden, sich einer durchsichtigeren Strategie zu befleissigen. Vor allem der Vertriebsmannschaft von DEC ermangele es bei der Einschwoerung auf die neue Firmenausrichtung noch an Konformitaet, beklagten Analysten und Anwender im Vorfeld der User- Group-Veranstaltung.

Waehrend sich Unternehmen wie etwa Hewlett-Packard durch eine stringente Firmenpolitik auszeichneten, durchlaufe "DEC gerade eine Identitaetskrise", meinte Bill Stella. Der Senior Vice- President of Information Services eines amerikanischen Versicherungsunternehmens glaubt zwar auch, dass DEC sich in die richtige Richtung bewegt, als Anwender sehe man aber noch Ungereimtheiten.

Irv Shapiro von der Chicagoer Beratungsfirma Metamor Technologies Ltd. unterstuetzt die Kritik: "Je nachdem, bei welchem DEC- Vertriebsbuero wir fragen, erhalten wir unterschiedliche Auslegungen der Firmenpolitik." DECs Strategie sei nicht berechenbar und auch nicht auf bestimmte Ziele fokussiert: "Damit stellt Digital fuer MIS-Abteilungen ein groesseres Risiko dar."

Dies hat zur Folge, so Steven Tihor von der New York University, dass es immer haeufiger haertester Ueberzeugungsgespraeche bedarf, um Investitionsantraege fuer VAX- und Alpha-Systeme durchzubringen:

"Das liegt zum einen an der undurchsichtigen Firmenstrategie, zum anderen aber auch an den hohen Preisen." Auch sei DECs Strategie bezueglicher der OSF/1-Betriebssystem-Umgebung mit zuwenig Leben erfuellt. Hier haetten andere Unix-Anbieter mehr zu bieten.

Die Kritik kommt zu einem Zeitpunkt, da sich Digital durchaus um eine schaerfere Unternehmenskontur bemueht: Seit Herbst dieses Jahres reorganisiert das Unternehmen aus der Umgebung von Boston interne Produktabteilungen, um seine Angebote zur verteilten Unternehmens-DV gegenueber der Oeffentlichkeit ins rechte Licht zu ruecken.

Die Distributed Computing Software Group (DCSG) duerfte in Kuerze handlungsfaehig sein und damit unternehmenswichtige Aufgaben in Angriff nehmen koennen. Die DCSG wird sich auf die Entwicklung und das Marketing von Technologien fuer Konzepte der verteilten DV konzentrieren: naemlich auf einen Object Request Broker (ORB), einen Transaktionsmonitor, auf Middleware sowie Software, die in verteilten DV-Konzepten OSFs DCE-Funktionalitaet (Distributed Computing Environment) unterstuetzen.

Momentan unterhaelt DEC noch unterschiedliche Entwicklungs- und Marketing-Abteilungen fuer diese Produktgruppen. Von der Verschmelzung verspricht sich das Unternehmen Synergieeffekte fuer die unterschiedlichen Produktlinien sowie eine flexiblere Strategie im Feld der verteilten DV-Anwendungen.

Uebrigens ist auch diese Umorientierung der Aufmuepfigkeit an der Basis, diesmal allerdings im Hause DEC selbst, zu verdanken. Entwickler aus den verschiedenen betroffenen Abteilungen schlossen sich naemlich kurz, weil sie der Ansicht waren, dass eine engere Zusammenarbeit zwischen den Einzelabteilungen von Vorteil fuer die Erreichung von Unternehmenszielen ist.

Ein DEC-Sprecher konzedierte indirekt, dass die Anwenderkritik einer gewissen Berechtigung nicht entbehre. Die Unternehmensstrategie konzentriere sich auf Client-Server- Technologie und den Alpha-Prozessor: "Aber es dauert zugegebenermassen eine Zeitlang, bis sich diese Botschaft ueberall durchsetzt."

DEC kann nicht alles fuer jeden bieten

An einer grundsaetzlichen Festlegung der Leute aus Maynard, Massachusetts zweifelte Mark Livings von der Quaker Oats Corp.: "DEC behauptet immer, sie koennten alles fuer jeden sein." Sich als Tausendsassa in der DV-Branche zu gerieren, sei aber schlechterdings nicht glaubwuerdig. Livings untermauert seine Argumentation, indem er auf das Windows-NT-Engagament von DEC eingeht: "NT ist, so die Aussage, ihre strategische Ausrichtung. Das heisst aber, dass wir uns auf einen Umstieg von VMS auf NT vorbereiten muessen." Bislang habe es DEC jedoch versaeumt, entsprechende Migrationsplaene in der gebotenen Ausfuehrlichkeit und Klarheit darzulegen.

Lynn Berg, Analystin bei der Gartner Group, tut sich besonders schwer mit DECs Software-Gesamtstrategie. Die sei nachgerade von exemplarischer Unschaerfe: "Je weiter man sich von Digitals Headquarter entfernt, desto konfuser wird das Gesamtbild." Berg befuerchtet, dass noch fast das komplette kommende Jahr ins Land geht, bevor sich die Nebelschwaden verziehen.

DEC koenne solchen Zeitverzug zwar verkraften, ohne Gefahr zu laufen, dass die eigene Kundschaft abbroeckele. Aber Neukunden seien ohne klare Konzepte nicht zu gewinnen. Genau dies muesse aber ganz oben auf Digitals Prioritaetenliste stehen, wolle das Unternehmen seine Umsaetze steigern. "Leute", so Berg weiter, "die bisher nicht an DEC dachten, zerbrechen sich auch jetzt nicht den Kopf darueber, ob die Robert-Palmer-Company fuer sie interessant sein koennte."