Mittelstaendisches Unternehmen strebt nach mehr Offenheit

Basic-Interpreter portiert von 8870-Host auf RS/6000-340

21.05.1993

Damit das Zusammenspiel von Produktionsplanung und -Steuerung sowie Ein- und Verkauf im mittelständischen Rahmen funktioniert, bedarf es der Datenverarbeitung beziehungsweise eines branchenorientierten Softwarepaketes, das sowohl die betriebswirtschaftlichen als auch die produktionstechnischen Bereiche umfaßt. Die Geburtsstunde der DV im Hause Kling ist 1984 anzusiedeln, wobei zunächst eine 8870/Quattro M45 von Nixdorf zum Einsatz kam. Die Anlage, an der 23 Bildschirm-Arbeitsplätze und sieben Nadeldrucker desselben Herstellers angeschlossen wurden, mußte, um den immer komplexer werdenden Programmabläufen zu entsprechen, im Laufe der Jahre mehrfach aufgerüstet werden.

Abschied von obsoleter Technologie

Walter Siebler, der vor drei Jahren die Stelle des DV-Leiters im Kling-Unternehmen antrat, beschloß aus seiner langjährigen Business-Basic- und Programmiererfahrung heraus das Ende des nicht mehr zeitgemäßen Quattro-Systems. Die zwingenden Gründe für den Wechsel faßt der DV-Leiter im wesentlichen in zwei Punkten zusammen. Zum einen fehlte es an Kapazitäten: ?Die alte Anlage war zu langsam, es kam unter Anwendung komplexer Programme zu keinen vernünftigen Antwortzeiten.? Beispielsweise dauerte der Monatsabschluß der Finanzbuchhaltung drei Stunden, so daß derartige rechen- und zugriffsintensiven Anwendungen, da sie die Performance des Systems zu stark beeinträchtigten, auf die Zeit nach Feierabend verlegt werden mußten. Zum anderen spricht Siebler die aufgrund der zahlreichen Systemausfälle entstandenen Wartungskosten an, denn es folgten binnen kurzer Zeit zwei Platten-Crashs, wobei allein für den Controller 16 000 Mark berechnet wurden. Siebler weist kritisch darauf hin, daß das proprietäre, geschlossene Nixdorf-System eine ?Knebelungspolitik des Herstellers? ermöglichte. So lagen die Kosten für eine zusätzliche 1-GB-Festplatte der Quattro bei 74 000 Mark und stehen somit in keinem Verhältnis zu Plattenpreisen der heutigen Unix-Anlagen.

Als Software setzte Kling die Fibu- und Anlagenbuchhaltung aus dem Comet-Paket von SNI ein. Für die übrigen Bereiche investierte man 300 000 Mark in ein PPS-Programm, das im Lauf der Jahre ideal auf den mit eigener Fertigung ausgestatteten Produktionsbetrieb abgestimmt beziehungsweise an die betrieblichen Bedürfnisse angepaßt wurde. Ein ?neues Standardpaket hätte? laut Siebler ?neu modifiziert werden müssen?, was sehr zeit- und kostenaufwendig gewesen wäre, so daß man beim Systemwechsel keinesfalls auf die vorhandene Software verzichten konnte und wollte.

Der Entschluß zur Softwareportierung stand demzufolge fest. Für Walter Siebler eröffneten sich zwei mögliche Wege: Zum einen das von SNI angebotene Crossbasic und zum andern das Migrations-Tool Surfbasic von der Unibasic Computer Service GmbH. Die DV-Leitung des Kling-Unternehmens entschied sich für die Datenübernahme eins zu eins mittels Surfbasic, da dieses Programm zugleich Unabhängigkeit vom Hardwarehersteller garantierte.

Erster Schritt in Richtung offene Systeme

Siebler sah darin eine Chance, einen ersten Schritt in Richtung offene Systeme zu gehen. Insbesondere überzeugten ihn einige Leistungsindizien, die im Funktionsumfang involviert sind. An erster Stelle die Druck-Spool-Verwaltung, die dem Comet-Erfahrenen vom Anwenderkatalog her bekannt war, bei Surfbasic allerdings noch komfortabler erscheint, da die Meldungen beziehungsweise Druckjobs nicht wie vorher nur global, sondern nun gezielt auf jedem Bildschirm des entsprechenden Arbeitsplatzes zur Verfügung stehen. Eine Verbesserung der Druck-Spool-Verwaltung, die für die täglichen Anwendungen des Kling-Unternehmens eine signifikante Stellung einnimmt, da eine in Crossbasic implizierte Warteschlange die manuelle Verwaltung zur Folge hätte und dieser Vorgang einen enormen Arbeitsaufwand bedingte.

SNI, HP und IBM standen zur Diskussion

Bei den Entscheidungsmöglichkeiten für den Unix-Anlagenhersteller wurde die Wahl unter anderem vom Wartungskostenfaktor bestimmt. Drei Hersteller standen dabei zur Diskussion: SNI, HP und IBM. Da bei IBM keine Wartungskosten für das AIX-Unix-Betriebssystem berechnet werden, beschränkt sich der Wartungsaufwand auf das Einspielen der neuen Versionen. Bei SNI kämen zusätzliche Wartungsverträge über fünf Jahre, die in diesem Fall bei zirka 40 000 Mark liegen, hinzu, so daß die Entscheidung Sieblers eindeutig für die RS/6000, Modell 340, ausfiel. Dafür sprach zudem, daß der nächste IBM-Vertriebspartner, die Orgasoft in Pforzheim, gleich vor Ort liegt. Da SAM/Unibasic einige Migrationen mit IBM bereits erfolgreich durchgeführt hatte, kam es bei dem Auftrag von Kling zu einer sinnvollen Kooperation zwischen Software- und Hardware-Installateur.

Der eigentliche Migrationsvorgang fand an einem Wochenende statt: Freitag nachmittags übergab Siebler die Datensicherungsbänder dem Unibasic-Techniker von der Nidderauer Niederlassung, abends bekam er bereits das Streamer-Band mit den portierten Daten zurück. Am Samstagmorgen wurden diese sogleich auf die RISC-Maschine eingespielt, und bereits der erste Start lief ad hoc ohne Komplkationen. Berichtet Walter Siebler weiter: ?Erste Schätzungen zur Performance-Steigerung lagen beim Faktor vier bis sechs. Mit Stoppuhr ausgerüstet, führten wir sofort Versuche durch ? auf alter und auf neuer Anlage ? und mußten eine tatsächliche Performance-Steigerung um den Faktor 20 feststellen.? So dauerte beispielsweise der Monatsabschluß, der vorher drei Stunden in Anspruch genommen hatte, nur noch zehn Minuten.

Doch für Siebler bilden Performance-Steigerung und portierte Daten nur die Basis seines weiteren Vorgehens, denn die RS/6000 bietet mit ihrem Hauptspeicher von 32 MB und der Plattenkapazität von 2 GB bei 40 Megahertz Taktfrequenz unter Unix weitaus mehr als bis zu diesem Schritt verlangt. Den spezifischen Anforderungen des Unternehmens folgend, koppelte man bereits an die Quattro ein separates Bildverarbeituns-System auf PC-Basis, das entscheidend zur Verarbeitung von Fertigungsdaten im Hauptrechner sowie der Fertigungsplanung und den Stücklisten beitrug. Zuvor wurden diese Fertigungsdaten auf File-Transfer zum PC geschickt, das Unix-System ermöglicht allerdings den direkten Datenzugriff auf den Zentralrechner. Diese Bilder sind in einer 500 MB großen DOS-Partition auf der Unix-Plattform abgelegt, denn Walter Siebler hat die RISC 6000 zugleich zum Novell-Server emuliert. Genauer gesagt, hat er unabhängig von den an die bestehende Verkabelung angeschlossenen 33 Wyse-Terminals neun PCs unter Novell vernetzt, deren Programme und Daten sich auf der DOS-Partition in der RS/6000 befinden, so daß die Plattform synchron als Unix-, Novell- und als Fileserver für die Programme unter DOS beziehungsweise Windows fungiert.

Zugleich konnte man bei dieser Vorgehensweise Kosten einsparen: Zum einen blieb die bestehende Verkabelung voll erhalten, da die neuen Wyse-Terminals statt der BA80 mit Hilfe von Kabelumlegung an die vorhandenen ADO-Steckdosen angeschlossen werden konnten ? selbst die vorhandene Vier-Drahtleitung genügte den Anforderungen. Lediglich die von Fujitsu neu eingesetzten 24-Nadeldrucker der Serie DL wurden über V.24 mit der Hauptanlage verbunden, für den Aufbau des PC-Netzwerkes mußte ein Ethernet-Kabel gelegt werden.

Der Datenexport ist gewährleistet

Hinter dieser PC-Vernetzung verbirgt sich ein weiteres Zeit- und zugleich Kosteneinsparungsmotiv Sieblers: Surfbasic impliziert den Call-Befehl, der es ermöglicht, die Daten in eine ASCII-Textdatei unter DOS umzuwandeln, so daß ein Datenexport gewährleistet ist. Nun wäre beispielsweise eine Serienbrieferstellung auf der Unix-Anlage aufwendig und teuer, die Auslagerung und Weiterverarbeitung selektierter Daten auf den DOS-PC erscheint dagegen weitaus günstiger: Der Anwender holt sich unter Surfbasic seine Datensätze aus der Stammdatei, der Call-Befehl wandelt diese in eine ASCII-Datei um, und im letzten Schritt kann diese unter der mittlerweile vertrauten Windows-Oberfläche innerhalb einer komfortablen Textverarbeitung weiterverarbeitet werden. ?Der umgekehrte Weg?, erklärt Siebler, ?wäre mit Hilfe des Call-Befehls ebenso möglich und in der Praxis vorstellbar, das heißt, zukünftig auf dem PC Aufträge zu erfassen und in die Surfbasic-Umgebung zu transportieren.?

Ein weiteres Beispiel für den sinnvollen Datenexport wäre der jüngst eingeführte Einsatz von Notebooks im Verkaufsbereich: Zwei Verkäufer sind mit Tragbaren ausgerüstet, auf denen Kundendaten aus der Buchhaltung gespeichert sind beziehungsweise der Notebook-Benutzer sich mittels Datentransfer jederzeit vom Netz-PC die Daten holen kann, wobei Siebler hier ausdrücklich auf das angewandte F + A-Programm verweist, welches die Daten im einfachen Handling selektiert.

Derzeit sind die Notebooks mit einer Terminalemulation ausgestattet, so daß sie sich mittels Modem wie ein Bildschirm-Arbeitsplatz direkt in die Anlage einzuloggen vermögen. So plant man für die nächste Basler Messe eine Standleitung, mit deren Hilfe die Aufträge direkt eingegeben und verbucht werden können.

Zukünftig sollen die kompletten Artikeldaten auf mobile PCs exportiert werden, wobei Siebler bereits ein sehr kleines Notebook von Olivetti unter DOS vorschwebt, das mittels Pocket-Adapter ans Netz angeschlossen werden kann.

Unix-Know-how ist nicht notwendig

Erwähnenswert bleibt insbesondere die Tatsache, daß beim Systemwechsel zu Unix kein Operator im Einsatz beziehungsweise kein spezifisches Unix-Know-how notwendig gewesen ist. So meint Siebler: ?Bei Surfbasic kann man sich ohne tiefergehende Programmierkenntnisse in der Benutzeroberfläche bewegen ? vom Tagesstart bis zur Datensicherung.? Für den ganz normalen Ablauf sind tatsächlich keinerlei Unix-Kenntnisse erforderlich, da das normale Handling, um beispielsweise Dateien zu kopieren, aufzulisten etc., in gewohnter Weise stattfindet. ?Unix beschränkt sich zunächst auf den Shut-down-Befehl und den Befehl, um Verzeichnisse zu erstellen?, resümiert Siebler, ?der Anwender merkt nichts vom Unix-Betriebssystem.?

Mit einer kleinen, implementierten Raffinesse rundet der DV-Leiter seine Anlagenkonzeption ab: Kurz vor Feierabend wird die Kassette mit dem Acht-Millimeter-Band eingelegt und die Tagesende-Routine gestartet.

Alle weiteren Schritte erfolgen nun vollautomatisch: Nachdem sich der letzte Anwender abgemeldet hat, wird die Surfbasic-Umgebung für weitere Zugriffe gesperrt. Dann erfolgt eine Plattensicherung der Fibu und anschließend ein System-Backup von höchster Ebene aus, bei dem selbst die DOS-Position mit gesichert wird. Der Shut-down-Befehl wird ausgelöst, und nun setzt die unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) ein, die über eine Signalleitung an die RS/6000 angeschlossen ist und deren Software sich auf der Unix-Plattform befindet. Sie gibt letztendlich den Power-Off-Befehl, schließt alle restlichen noch geöffneten Dateien und gewährleistet dabei zugleich eine einstündige Notstromversorgung, so daß beim eventuellen Stromausfall die Versorgung für Rechner, Systemkonsole und Schnittstellen-Konzentratoren gesichert ist.

Walter Siebler sieht zusätzliche Perspektiven für die Weiterentwicklung seiner DV-Anlage in Richtung relationale Datenbank, da das eingesetzte Surfbasic mittels SQL-Schnittstelle sowohl lesenden als auch schreibenden Zugriff auf gängige Datenbanksysteme bietet.

*Vera Freyer ist freie DV-Fachautorin in Paderborn.

Bereits 1928

gründete das Ehepaar Kling seinen Handwerksbetrieb, der dreißig Jahre später von Manfred Bächtold, dem gegewärtigen Geschäftsführer, übernommen wurde. In ihren Anfängen beschäftigte die Firma ganze zehn Leute und konzentrierte sich zunächst auf die Produktion von Aufmachungskarten für Schmuckschachteln. Im Laufe der Jahre wuchsen Unternehmen und Produktpalette um ein Vielfaches. Der Betrieb stellt heute vom Musterkoffer über den Vitrinenschrank bis zum kleinsten Accessoire rundum alles her, was zur Präsentation von Schmuckgegenständen eingesetzt wird. Mit 250 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 30 Millionen Mark behauptet sich die Firma Kling nicht nur bundesweit, sondern auch auf dem Exportmarkt.

Abb: Die DV der Friedrich Kling GmbH nach der Portierung. Quelle: Feyer