Problem wurde jahrelang nicht erkannt

BASF tauscht bei Großanwendern fehlerhafte 3480-Kassetten aus

06.03.1992

MÜNCHEN (sc) - Der Umtausch fehlerhafter Magnetband-Kassetten belastet derzeit die ohnehin verlustgeschwächte BASF Magnetics. Einige Millionen Datenträger, die IBM-3480-kompatible Laufwerke verunreinigen, müssen bei den Anwendern ausgetauscht werden. Die BASF-Division will den Fehler auf einzelne Lieferungen beschränkt sehen. Branchenkenner vermuten jedoch, daß die gesamte Produktion von 1986 bis Anfang 1991 betroffen ist.

Jahrelang hat BASF 3480-kompatible Magnetband-Kassetten (MTC) produziert, die nicht einwandfrei waren. Dies wurde offensichtlich, als beim Abspeichern der Daten vermehrt Schreibfehler auftraten. Man fand heraus, daß sich bei den Bändern aus der Schicht zwischen Trägerband und Oxidauflage einzelne Partikel lösen, die sich als Schmiere an den Schreibköpfen ablagern. Dadurch wird der Abstand zwischen Magnetband und Schreibkopf ungleichmäßig, was zu Aufzeichnungsfehlern führt.

BASF begründet die schadhafte Ware mit Unregelmäßigkeiten in der Dispersionsherstellung. Es hätten sich Fremdkörper in der Bindeschicht eingelagert, die in heißen oder feuchten Umgebungen beziehungsweise bei permanentem Gebrauch an die Oberfläche der Bänder treten, lautet die Erklärung. Der deutsche Chemiekonzern hält sich allerdings bedeckt, wie viele fehlerhafte Kassetten im Einsatz sind. Schätzungen von 25 Millionen Stück weltweit, wie sie die CW-Schwesterpublikation "Computerworld veröffentlicht hat, weist ein Sprecher des Ludwigshafener Unternehmens als "utopisch" zurück. Laut BASF habe man zwar von 1986 bis Anfang 1991 mit dieser Rezeptur gearbeitet, doch betroffen seien "einzelne Chargen und nicht die gesamte Jahresproduktion".

In der Pressestelle von BASF Magnetics rechnet man weltweit mit maximal zehn bis elf Millionen auszutauschender Datenträger. Branchenkenner und Anwender können jedoch kaum glauben, daß es sich nur um einzelne Chargen handeln soll. "Alle solchen Kleber haben über 20 Jahre Schwierigkeiten gemacht, weil sie organischer Natur sind. Der Stoff hat immer empfindlich auf Feuchtigkeit oder Temperaturveränderungen reagiert", erklärt Werner Gilg. Der in Unterföhring bei München ansässige Ingenieur vertreibt eigenen Angaben zufolge seit über 15 Jahren Geräte, die Magnetbänder prüfen und reinigen.

Problem trat auch bei anderen Herstellern auf

"Mit diesem Problem, das heute bei den BASF-Bändern auftritt, hatte vor drei Jahren auch die IBM zu kämpfen", berichtet Gilg. "Auch Memorex, Graham Magnetics, Wabash und TDK standen, bereits vor diesen Schwierigkeiten - doch nie in dem Maße." Für den Magnetband-Profi steht daher fest, daß bei sämtlichen MTC-Bändern, die zwischen 1986 und Mai 1991 ausgeliefert wurden, diese Fehler auftreten können. In dieser Richtung äußert sich auch die Computerworld, deren Artikel unter anderem auf ein Gespräch mit John Healion basiert, dem Marketing-Vice-President der BASF Corp. Die Publikation stützt ihre Aussage darauf, daß BASF im Mai 1991 die Rezeptur für diese Zwischenschicht geändert hat, was auch bei den deutschen Anwendern bekannt ist.

Daß nur Magnetbänder einzelner Lieferungen diesen starken Abrieb aufweisen, nimmt den Württembergern auch der MTC-Einkäufer einer großen deutschen Genossenschaft nicht ab. "Bei den Rechenzentren, wo heute ein Fehler auftritt, tauscht BASF den Gesamtbestand aus. Es wird nicht zwischen einzelnen Chargennummern unterschieden." Nachdem es sich um große Stückzahlen handelt - meist mehrere tausend Bänder -, deutet das für den Großeinkäufer darauf hin, daß die chemische Formel die ganzen Jahre nicht geändert wurde.

Er könne sich keine Firma vorstellen, die eine Charge austausche, von der sie sicher wisse, daß sie in Ordnung sei. Außerdem habe ihn BASF mündlich darauf hingewiesen, daß die Fehler auch bei anderen Bändern auftreten können, fügt er hinzu.

Wie der Chemiekonzern ausdrücklich betont, gefährdet dieser Produktionsfehler keine Datenbestände, die bereits auf den Bändern archiviert sind. Der Nachteil, der sich für den Anwender ergebe, bestehe vielmehr darin, daß die Schreib. Lese-Köpfe der Laufwerke öfter zu säubern seien. Da die in die Drives integrierten Reinigungseinrichtungen mit dem Abrieb nicht fertig werden, ist BASF zufolge eine Naßreinigung erforderlich, die Geld kostet und zudem während der Säuberungsaktion die Speicherung blockiert. Hinzu kommt, daß es Rechnerzeit kostet, weil das System die Schreibvorgänge wiederholt, wenn Fehler bei der Aufzeichnung gemeldet werden, bemerkt ein Frankfurter Fachmann.

Bänder für Archivzwecke werden nicht umgetauscht

BASF zufolge reklamieren jedoch nur Unternehmen, die ständig mit den fehlerhaften Bändern arbeiten. "Die meisten Anwender nutzen die MTCs zu Archivzwecken", behauptet die Presseabteilung. "80 Prozent unserer Kunden haben keine Probleme."

Bereits seit Ende 1990 tauscht BASF, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, weltweit die Magnetband-Kassetten um. "Die ersten Fälle, die 1990 auftraten, wurden von BASF runtergespielt, weil man offensichtlich dachte, daß es sich um Einzelfälle handelt", vermutet ein hessische Branchen-Insider. Mittlerweile seien die Anwender jedoch von BASF informiert. "In Deutschland sind 99 Prozent der Kunden davon unterrichtet", versichert der BASF-Mann. Sowohl Wiederverkäufer wie Memorex, deren Angebotspalette zum Teil aus BASF-Kassetten bestand, als auch die Händler wissen angeblich Bescheid. "Alle Kunden, die Produkte von Händlern gekauft haben, erhalten diese ersetzt", heißt es weiter. Der Ludwigshafener schränkt jedoch ein: "Falls es nötig ist." Bei Bändern, die nur zur Archivierung eingesetzt würden, sei nicht geplant, diese in die Aktion mit einzubeziehen.

Den Austausch bei den deutschen Großkunden hat BASF eigenen Angaben zufolge bereits abgewickelt. Weltweit sollen mittlerweile vier Millionen Kassetten ersetzt worden sein. Wie das Unternehmen berichtet, werde umgetauscht und wenn es erforderlich sei, die Reinigung der Laufwerke bezahlt. Der DV-Abteilung entstehe kaum ein Arbeitsaufwand, äußert ein BASF-Sprecher. Ein Kunde denkt darüber anders: "Ein Rechenzentrum hat Riesenprobleme mit 50 000 Bändern einen Wechsel durchzuziehen." Dies koste Manpower, wobei die BASF nur bedingt bereit sei, die Kosten zu übernehmen, argumentiert der BASF-Kenner.

Nach ihren Erfahrungen mit der Rückholaktion befragt, äußern sich die BASF-Kunden unterschiedlich. Gilg, der sich mit RZ-Leitern über dieses Thema unterhalten hat, behauptet: "Es gibt Kunden, die sich mit dem Rechtsanwalt durchsetzen mußten, weil sie 40 000 bis 60 000 Kassetten austauschen wollten. Andere werden dagegen sehr zuvorkommend behandelt." Dazu zählt zum Beispiel eine große Transportgesellschaft. "Bei uns lief der Austausch reibungslos", versichert der RZ-Leiter. Anders erging es dem DV-Manager einer Versicherung, der andeutet, daß er mit dem Engagement von BASF nicht so glücklich ist: "Daß es kein Problem ist, unterschreibe ich nicht." Für ihn habe die Angelegenheit eine solche Dimension erreicht, daß er nähere Auskünfte darüber nicht erteilen wolle.

BASF streitet nicht ab, daß es mit Kunden zu Schwierigkeiten kommen könnte. Ein Grund dafür sei, daß manche Unternehmen Wert darauf legten, Bänder ersetzt zu bekommen, die zur reinen Archivierung benutzt würden. Dagegen wolle man sich wehren, denn hier habe der Produktionsfehler keine relevanten Folgen, so die Position von BASF. Obwohl Anwender berichten, auch in diesem Fall problemlos fehlerfreie MTCs erhalten zu haben, liegt die restriktive Reaktion von seiten der

BASF für Branchenkenner nahe. Wie ein Pressesprecher erwähnt, betragen die Kosten für die Rückholaktion "sicher einige Millionen Mark".