Rexrodt auf der Online 96: Mittelstand muss innovativer sein

Banken wollen mittels Edifact zu Infovermittlern avancieren

16.02.1996

Anlaesslich der Eroeffnung der Online 96 in Hamburg stellte Bundeswirtschaftsminister Guenter Rexrodt die zentralen Thesen des vom Bundeskabinett verabschiedeten Regierungsberichts "Info 2000: Deutschlands Weg in die Informationgesellschaft" vor. Dort hat die Bundesregierung, wie von Experten seit langem gefordert, die Thematik der Informationsgesellschaft umfassend analysiert und einen entsprechenden Massnahmenkatalog erarbeitet.

Rexrodt zufolge muessen jetzt die Weichen richtig gestellt werden, wenn Deutschland nicht weiter abseits stehen wolle, waehrend in anderen Laendern die Vorbereitungen auf die Information Society bereits auf Hochtouren laufen. Die Arbeitsplatzentwicklung haenge davon ab, wie schnell die neue Technik in den Betrieben zum Einsatz komme und deren Wettbewerbsfaehigkeit steigere. Bereits heute ist nach Angaben des Ministers jeder zweite Arbeitsplatz direkt oder indirekt vom Informations- und Kommunikationssektor abhaengig. Darum hielt es der FDP-Politiker fuer bedenklich, dass viele mittelstaendische Unternehmen, die mit der neuen Technologie ihre Position staerken koennten, an diese Fragen zoegerlich herangehen.

Um die Vision der Informationsgesellschaft zu verwirklichen, haelt Rexrodt drei Massnahmen fuer erforderlich: Schaffung der notwendigen Akzeptanz bei den Buergern, einen groesseren Freiraum fuer unternehmerische Initiativen sowie eine staerkere internationale Kooperation und Abstimmung. Gerade in Zeiten der globalen Datenkommunikation muesse sich der Staat daran gewoehnen, dass er dezentral organisierte Netze nicht alleine kontrollieren koenne.

Der Zwang zur internationalen Abstimmung entbinde die deutschen Politiker jedoch nicht davon, ihre Hausaufgaben zu machen. Mit der Feststellung, hier muesse es darum gehen, "eine der groessten Selbstblockaden auszuraeumen", wandte sich der Minister insbesondere an die Adresse der Bundeslaender. Diese sind mit ihrem Gerangel um den richtigen Rundfunkbegriff in Rexrodts Augen daran schuld, dass das Multimedia-Geschaeft hierzulande nicht richtig in Fahrt kommt. Es sei kein Wunder, dass potentielle Anbieter lieber ins Ausland abwandern und via Satellit die Bundesrepulik beliefern, als sich mit 16 Landesmedienanstalten herumzuaergern.

Waehrend die Politik noch die Rahmenbedingungen zu schaffen versucht, ist die Wirtschaft bereits einen Schritt weiter. So arbeiten die Banken, die Microsoft-Chef Bill Gates noch vor einem Jahr als Dinosaurier in Sachen Electronic Banking titulierte, mit Nachdruck an der Verwirklichung des elektronischen Zahlungsverkehrs mit ihren Geschaeftskunden.

Die privaten deutschen Geldinstitute wollen beispielsweise, wie Thomas Egner vom Bundesverband deutscher Banken auf der Online 96 berichtete, innerhalb von zwei Jahren Edifact im Zahlungsverkehr einfuehren. Eine Aussage, die fuer manchen Teilnehmer ueberraschend kam, war doch Edifact bis 1995 im Finanzgeschaeft kaum zum Einsatz gekommen. Nachdem die Automobilindustrie die Vorreiterrolle uebernommen hat, haelt der Electronic Data Interchange (EDI) mittlerweile auch in anderen Branchen Einzug. Eine groessere Bank wirbt bereits mit der Unterstuetzung von Edifact.

Derzeit gehen die Bestrebungen dahin, Edifact in das von den Banken bereits verwendete Datentraegeraustauschformat DTA zu konvertieren. Das haette den Vorteil, dass der Empfaenger nicht unbedingt Edifact-faehig sein muss. Spaetere soll Edifact dann auf Basis einer endgueltigen Version des Directorys "D.96A" implementiert werden.

Fuer die Banken, die mit der Einfuehrung von Edifact im Finanzbereich das noch fehlende Kettenglied im Electronic-Loop schliessen, hofft Egner auf eine neue Rolle als Knotenpunkt im Datenverkehr. Die Geldhaeuser sollen kuenftig als Beschaffer, Weiterleiter und Konzentrator von Informationen fuer den Finanzstrom einer intakten Warenwirtschaft fungieren. Das bedeutet ein neues Selbstverstaendnis des Kreditgewerbes: weg vom reinen Zahlungsverkehr hin zum Provider des vierten Produktionsfaktors, der Information.

Um der Globalisierung der Maerkte gerecht zu werden und den grenzueberschreitenden Edifact-Verkehr zu realisieren, soll demnaechst ein Implementierungs-Leitfaden ins Internet gestellt werden. Zur Vereinfachung des internationalen Zahlungsverkehrs wollen die Standardisierungs-Organisationen ISO und ECBS bereits Mitte des Jahres ueber eine International Bank Account Number (IBAN) abstimmen. Diese soll im Gegensatz zu den derzeitigen Kennungen ueber eine Pruefziffer sowie internationale Laendercodes verfuegen und so den automatischen elektronischen Zahlungsverkehr vereinfachen. Inwieweit das System spaeter auf nationaler Ebene implementiert wird, ist noch offen.

Darueber hinaus ist vorgesehen, den Kunden die Verwendung eines bestimmten Directorys zu empfehlen oder sie ueber den EDI-Vertrag darauf zu verpflichten, um einen europaweiten Bankenstandard zu schaffen. Ungeklaert ist aber noch die Frage nach der Implementierung verschiedener Message-Arten. Wie hierzulande besteht auch international ein Trend zur Bildung von Subsets. Eine Tendenz, die laut Egner im nationalen Umfeld zwar durchaus Sinn machen mag, aber beim grenzuebergreifenden Geldverkehr eher kontraproduktiv ist. Deshalb gibt es UEberlegungen, "europaeische Subsets" einzufuehren, die die gemeinsame Grundfunktionalitaet abdecken.

Fuer kleinere Kunden, die sich den mit EDI verbunden Aufwand (Software, Virtual Private Network etc.) nicht leisten koennen, soll der DTA mit seinem schlankeren Format vorerst weiterbestehen. Auf eine andere Alternative machte Rahild Neuburger, Wissenschaftliche Assistentin an der Universitaet Muenchen, die Online-96-Teilnehmer aufmerksam: die Nutzung des Internet als kostenguenstige Kommunikationsinfrastruktur fuer den EDI-Verkehr. Aufgrund der bei EDI bereits vorhandenen Sicherheitsmechanismen duerfte laut Neuburger auch das Sicherheitsproblem im Internet zu loesen sein. Durch Verwendung der Multipurpose Internet Mail Extension (MIME), die Nachrichten wie eine Art Briefumschlag verschliesst, erfolgt die UEbertragung dann angeblich sicherer als mit herkoemmlichen E-Mail-Verfahren, bei denen die Authentizitaet des Absenders nicht unbedingt gewaehrleistet ist. Die Kombination aus MIME und EDI via Internet koennte so auch fuer kleinere Unternehmen bezahlbar sein.

Zahlreiche Anwender, die billiger kommunizieren und der allgegenwaertigen Telekom entkommen wollen, hoffen auf die neuen Carrier. Dementsprechend gross war das Interesse in Hamburg daran, wie diese Player kuenftig ihre Kunden im City-Bereich erreichen wollen, ohne ausschliesslich auf Leitungen des Bonner Riesen angewiesen zu sein. Nach Ansicht von Holger Morbitzer, Bereichsleiter Telekommunikation bei der Scientific Consulting GmbH, bietet sich auf den letzten Metern vor allem die DECT-Technologie an. Ein derart gestalteter Wireless Local Loop eroeffne neben dem Vorteil, dass man auf die Leitungen der Telekom verzichten kann, die Moeglichkeit, Benutzern Anschluesse anzubieten, mit denen sie mobil sind. Damit wuerde der bisherige Unterschied zwischen Fest- und Mobilnetz verschwinden, da je nach Auslegung der DECT-Infrastruktur die Kunden in einem begrenzten Umfeld oder im ganzen Stadtgebiet mit entsprechenden Endgeraeten drahtlos telefonieren koennten.

Mit Kapazitaetsproblemen ist allerdings in Grossstaedten zu rechnen. Mit einer Basisstation koennen nur 90 stationaere Anschluesse pro Zelle versorgt werden, kaemen mobile Teilnehmer hinzu, muesste man mit 240 Telefonisten rechnen. Baut man die Kapazitaet einer Zelle auf zehn Basisstationen aus, so betraegt das theoretische Maximum an stationaeren Verbindungen 1400 Anschluesse, und im mobilen Bereich liegt die Grenze bei der Groessenordnung von 4000 Teilnehmern. In Ballungsgebieten duerfte aber selbst damit ein moeglicher Teilnehmeransturm nicht zu bewaeltigen sein. Abhilfe koennte hier unter Umstaenden eine Segmentierung und staerkere richtungsgebundene Buendelung der Funkwellen schaffen.