Mehr Datentransparenz und ansprechenderes Marketing sind gefordert

Banken und Versicherungen wollen Kundendienst wirksamer gestalten

27.11.1992

*Rainer Melchert ist Geschäftsführer von Knowledge Systems GWS mbh, Hamburg. Kurt Faur ist Prokurist in der Zentralen Personalabteilung der Commerzbank AG in Frankfurt.

Mit Nachdruck hält die Multimedia-Technik auch in Banken und Versicherungen Einzug. Von der Integration unterschiedlicher Medien wie Text, Bild und Ton zu umfassenden Multimedia-Systemen, die sich dann in Bereichen wie Aus- und Fortbildung, Marketing oder ganzheitliche Sachbearbeitung einsetzen ließen, versprechen sich die Verantwortlichen wichtige Wettbewerbsvorteile.

Kühle Rechner versuchen auch in Banken und Versicherungen zunächst, die Effektivität bestehender Informationssysteme durch gezielten Einsatz multimedialer Technik zu steigern. Strategen mit Blick für die Potentialentwicklung skizzieren aber bereits die Konturen künftiger multimedialer Bürokommunikations-Systeme. Multimediale Informationseinheiten könnten dann die Basiskomponenten für die Kommunikation in netzwerkartigen Organisationsstrukturen bilden, eine mögliche Voraussetzung für die Entwicklung von Banken und Versicherungen hin zu Lean Enterprises. Multimedia-Einsatz ist jedoch kein Selbstzweck. Vielmehr soll der kombinierte Einsatz von Text, Ton und Bild helfen, bestehende Ziele zu erreichen. Dazu gehören die Aufwertung des Kundenservice, festere Kundenbindung, Ergänzung des Aus- und Fortbildungsangebots sowie Beschleunigung von Bewertungs- und Entscheidungsprozessen.

An diesen Absichten muß sich die Multimedia-Einsatzplanung orientieren. Die Firmen brauchen bessere Informations- und Kommunikationskonzepte, Mitarbeiter und Abteilungen müssen flexibler kooperieren können. Auf sechs Feldern bietet sich die Verbesserung der Informations-Infrastruktur durch Multimedia-Anwendungen besonders an.

Informationskioske als Marketing-Chance

Service-Terminals sind heute eine Selbstverständlichkeit für die meisten Banken. Das Leistungsangebot beschränkt sich jedoch überwiegend auf Bargeldausgabe, Kontoauszüge und zunehmend auch auf Überweisungen und Festgeldanlage. Zahlreiche Kundenkontakte spielen sich nur an dieser Schnittstelle im SB-Bereich der Bank oder Sparkasse ab. Das ist aus Kostengründen einerseits erwünscht, andererseits droht die Kundenbindung darunter zu leiden.

Hier kann der Einsatz von Multimedia-fähigen Terminals eine Wandlung herbeiführen: Bloße Serviceabwicklungs-Terminals wandeln sich zum aktiven Marketing-Instrument, zum Point of Information (POI). Kundenbesuche lassen sich so nicht nur zur Dienstleistung nutzen, sondern auch

- zur Umsatzsteigerung und Produktinformation,

- zur Imagepflege und als Mittel der Corporate-Identity- Präsentation,

- zur Abwicklung von Routineanfragen und zum Erzeugen eines Bedarfs an weiterer persönlicher Beratung sowie

- zur Gewinnung von Neukunden .

Mit Hilfe des Wissens, das der Kunde vorab am Informations- kiosk erhalten hat, können Beratungsgespräche deutlich gezielter verlaufen. Multimediales Marketing kann unter anderem für Immobilienangebote, Kreditprogramme, interaktive Vermögensverwaltung und Kombinationsmöglichkeiten von Finanzprodukten und Versicherungen werben. Der Einsatz von Bild und Ton macht die Informationsvermittlung effektiver.

Multimediale Marketing-Aktivitäten können den Kunden auch außerhalb der Geschäftsräume erreichen. An die Stelle von Broschüren treten die ersten Computerspiele zur Vermittlung von Werbebotschaften und Produktinformationen. Gewünscht sind der aktive Dialog und das Erlebnis anstelle des Werbemonologs: Interaktion statt Konsum von Informationen.

Erfolge mit attraktive und animierenden Multimedia-Anwendungen weisen zur Zeit noch eher Vertreter anderer Branchen aus, vor allem Genußmittel-Hersteller, die mit Multimedia-Anwendungen für bestimmte Zielgruppen spielerisch Marketing-Ziele zu erreichen versuchen. Bildschirme füllen sich mit Leben, nüchterne Texte und Zahlenkolonnen gewinnen an Aussagekraft durch Grafiken, Animationen, Farbfotos, Videosequenzen und akustische Informationen. Die Interaktion mit dem Computer wird zum Informationserlebnis.

Versicherungen sehen Chancen für den Einsatz von Multimedia-Techniken im Dokumenten-Management. Hier werden Fotos oder Dokumente in Faksimilequalität verarbeitet, übermittelt und archiviert. Die Bildverarbeitung wird trotz hoher Investitionskosten zu einem unverzichtbaren Arbeitsinstrument in der Sachbearbeitung. Zusätzlich zu Bild- und Datenanteilen lassen sich auch gesprochene Anmerkungen an Dokumente binden.

Die frühzeitige Verwendung solchen Materials aus Präzedenzfällen, verbunden mit gesprochenen Kommentaren, kann die Risiken in der Akquisition und im Underwriting durch bessere Transparenz des Erfahrungswissens in einer Versicherungssparte verringern. Antragsdurchlaufzeiten und Entscheidungsprozesse werden beschleunigt.

Sinnvoll zu verwenden sind Multimedia-Anwendungen unter anderem in der Kfz-Schadenregulierung, der Transport- und Kunstversicherung sowie der Schadenverhütung und -forschung. Im einzelnen können besonders die Arbeitsbereiche Underwriting, Vertrieb, Schadenbearbeitung und Risiko-Management von der neuen Technologie profitieren.

Kann kommunikative Aus- und Fortbildung von Multimedia-Anwendungen übernommen werden? Soll Technikeinsatz Seminarveranstaltungen verdrängen? Solche Befürchtungen vieler Ausbildungsleiter können mit einem klaren Nein beantwortet werden.

Rollenspiele am Bildschirm

Computer Based Training (CBT) kann aber Seminarveranstaltungen aufwerten und zusätzliche Perspektiven für die Wissensvermittlung aufweisen. Es unterstützt den Lernenden bei der Ergänzung und Vertiefung von Seminarstoff durch Vor- und Nachbereitung. CBT Anwendungen bieten eine Alternative, wo Seminarveranstaltungen wegen geringer Teilnehmerzahlen nicht zustandekommen. Rollenspiele etwa zur Verkaufsschulung lassen sich am Bildschirm sehr gut demonstrieren und initiieren.

Im Computer Based Training bestimmt jeder Lerner selbst das Lerntempo, was in Gruppen selten möglich ist. Die aktive Beschäftigung mit dem Lernstoff bewirkt, daß dieser zu 80 Prozent verarbeitet wird, während bloßes Zusehen und Zuhören lediglich einen Lernerfolg von 40 Prozent erbringen. CBT-Systeme wenden sich insofern vor allem an den interessegeleiteten Nutzer mit Eigeninitiative.

Besonders eignen sie sich für das Lernen in folgenden Gebieten:

- Ausbildung für Ausbilder,

- Immobilienberatung,

- Baufinanzierung,

- Konsumentenkredite,

- Wechselgeschäft,

- Electronic Banking,

- Kreditpolitik,

- Kunden- und Beraterverhalten,

- Einführung eines neuen Computersystems im gesamten Filialnetz sowie

- Investmentsparen.

Beim CBT-System auf Hypertext-Basis der Commerzbank AG sind die Kunden-Basisdaten und ihre Bedeutung für Mitarbeiter, Geschäftsstelle und Bank der zentrale Lerninhalt. Entsprechende Formulare, Schlüssel-Handbücher und realitätsgetreu simulierte Transaktions-Bildschirme erlauben das Training von Kundeneröffnungen, Änderungen und Sonderfall-Behandlungen.

Daten-Visualisierung als Entscheidungshilfe

Eine Verbesserung der Qualität und des Tempos von Entscheidungen verspricht man sich auch von einer multimedialen Präsentation des relevanten Materials. Im wesentlichen bedeutet das die Visualisierung von Zahlenkolonnen und Zeitreihen. Im besonders komplexen Bereich des Portfolio-Managements ist jeder Schritt zu mehr Transparenz unter den Entscheidungsparametern zu begrüßen. Mittel wie räumliche Darstellung, Farbgebung und Bewegung zur Präsentation von Kursniveaus und Trends einzelner Aktien, Marktsegmente oder Börsen machen die komplex strukturierten Daten transparenter.

Ein bereits realisiertes System zur Unterstützung von Vermögensverwaltern simuliert die Welt der Aktienmärkte und ihrer Gesetzte dreidimensional. Richtig gehandhabt soll dieses virtuelle System Vermögensverwaltern Vorteile bei der Interpretation und Bearbeitung von Investmentdaten verschaffen, zum Beispiel beim Erkennen von Aktien mit attraktiven Kennzahlen oder von Arbitragemöglichkeiten.

Im Außendienst ermöglichen Multimedia-Anwendungen eine verbesserte Produkt- und Dienstleistungs-Präsentation. Ad-hoc- Berechnungen, zum Beispiel von Finanzierungspaketen, gelingen leichter und schneller. Der Einsatz von Bild und Ton verbessert die Möglichkeiten, das Unternehmen attraktiv darzustellen.

Insgesamt zeigen die Anwendungsbeispiele, daß beim Einsatz von Multimedia auch ganz neue Wege beschritten werden können. Die neue Technologie ist freilich kein Selbstläufer. Im Einzelfall ist immer ein detailliertes, nutzenorientiertes Konzept nötig, das auch sagt, wie vorhandene Informations- und Kommunikationsstrukturen sinnvoll zu ergänzen oder neu zu ordnen sind.

Multimedia-Anwendungen sollen nicht nur ästhetisch gefällig, sondern auch ergonomisch vertretbar sein und dabei die Vermittlung von Informationen nachweislich verbessern. Auch hier ist die Konzeption wichtiger als die Technik.