Bandbreite im WAN ist noch sehr kostspielig ATM: Hohe Transferrate oeffnet den Flaschenhals im Backbone

04.11.1994

Kaum hat sich FDDI am Markt etabliert, steht mit dem Asynchronen Transfer-Modus (ATM) wieder eine neue Netzwerktechnologie ins Haus. Wie bei jeder neuen Entwicklung stellt sich der Anwender auch in diesem Fall die Frage: Soll er diese neue Technik einsetzen oder nicht? Klaus Eppele* skizziert in seinem Beitrag Projekte, die den Einsatz von ATM in lokalen Netzwerken bereits lohnen.

Die Entscheidung fuer oder wider eine ATM-Migration im LAN ist gar nicht so schwer. Fuer eine neue Technik wird sich der Anwender immer dann entscheiden, wenn er damit entweder Kosten einspart und/oder neue Funktionalitaeten gewinnt, die er sofort oder in Kuerze benoetigt.

Viele Backbones laufen heute noch mit einer Bandbreite von 10 Mbit/s. Wenn Backbones mit dieser Transferkapazitaet aufgrund bandbreitenhungriger Anwendungen beziehungsweise einer grossen Anzahl sowie hoher Leistungsfaehigkeit moderner Rechnersysteme jedoch zum Engpass werden, ist es hoechste Zeit, ueber neue Netzkonzepte nachzudenken. Dabei bieten sich verschiedene High- speed-LAN-Techniken an, um die bestehende Bandbreite zu erhoehen. Waehrend FDDI oder Fast Ethernet jedoch auf 100 Mbit/s beschraenkt sind, lassen sich mittels ATM beliebig breitbandige Backbones aufbauen.

Ein Beispiel: In einem konkreten Projekt wird etwa gefordert, 280 Ethernet-Stationen so zu verbinden, dass bei Bedarf alle Rechner gleichzeitig mit je 10 Mbit/s Bandbreite per Videokonferenz untereinander kommunizieren koennen. Diese Konstellation bringt einen dynamisch nutzbaren Bandbreitenbedarf von ueber 1 Gbit/s mit sich.

ATM bietet in diesem Fall zwei Loesungen: Zum einen laesst sich die geforderte Bandbreite durch das parallele Schalten entsprechend vieler 155 Mbit/s-Uebertragungsstrecken mit leistungsfaehigen Switches erzielen, mit dem positiven Nebeneffekt einer hohen Ausfallsicherheit durch mehrfache Strecken- und Geraeteredundanz. Zum anderen kann der Anwender sofort auf die 622-Mbit/s- Technologie ausweichen, die ATM ebenfalls realisiert. Beide Alternativen sind uebrigens noch erweiterbar und erfuellen den Wunsch des Projektleiters, spaeter mehrere hundert weiterer Ethernet-Stationen mit voller Bandbreite in den bestehenden Backbone zu integrieren.

FDDI-Beschraenkung auf 100 Mbit/s ist problematisch

Die Beschraenkung auf 100 Mbit/s bei FDDI ist auch dann problematisch, sollen mehrere FDDI-Ringe leistungsfaehig miteinander verbunden werden. In diesem Fall wird der Netzverantwortliche FDDI/ATM-Switches einsetzen, um seine FDDI- Ringe ueber 155 Mbit/s-ATM-Strecken miteinander zu verbinden (vgl. Abbildung 1). Damit ist er fuer die Zukunft geruestet, denn sollten die 155 Mbit/s zum Flaschenhals werden, sind die Schnittstellen lediglich gegen die 622-Mbit/s-Technologie auszutauschen.

ATM bietet aufgrund seiner Isochronitaet die optimalen Voraussetzungen fuer vernetzte multimediale Anwendungen wie rechnerbasierte Videokonferenzen, Electronic Publishing, Documentsharing etc. Dafuer sind zwei ATM-Eigenschaften verantwortlich: ATM garantiert Anwendungen zum einen eine bestimmte Dienstequalitaet, dass etwa fuer die Dauer der Uebertragung eine Mindestbandbreite zur Verfuegung steht. Zum anderen werden Daten zeittransparent transferiert. Zeittransparenz bei der Uebertragung - also moeglichst gleich grosse Verzoegerungszeiten - ist aeusserst wichtig, wenn Bewegtbildinformation oder Sprache nicht verfaelscht oder verzerrt werden soll.

Diese Vorzuege von ATM sind im Netzwerk allerdings nur nutzbar, wenn ein Wechsel vom heute noch weitverbreiteten "Shared Medium" zum "Switched Medium" stattfindet. Im Klartext heisst das: Paketorientiert arbeitende Kopplungssysteme wie Bruecken oder Router muessen zellorientiert arbeitenden Switches weichen. Paketorientierte Loesungen agieren als Store-and-forward-Systeme: Empfangene Datenpakete werden dabei komplett im systeminternen Speicher zwischengelagert und anschliessend per Software analysiert. Erst dann findet ihre Umwandlung in ATM-Zellen und ihre Freigabe fuer ATM-Strecken statt. Die Verweildauer der Datenpakete im Kopplungssystem ist damit abhaengig von ihrer Laenge und deshalb nicht konstant - ergo nicht berechenbar und fuer Multimedia-Anwendungen viel zu lang. Zellorientiert arbeitende Loesungen teilen ein Datenpaket beim Empfang in kleine Zellen gleicher Groesse und leiten diese sofort weiter, wodurch die Verzoegerungszeit gering und konstant bleibt.

Neben der Umstellung auf Switched Medium ist ferner dafuer zu sorgen, dass sich Endgeraete kein gemeinsames Segment teilen. In diesem Fall wuerden sie sich durch den simultanen Zugriff auf ein Medium gegenseitig bei der Datenuebertragung stoeren. Jedes Endgeraet benoetigt deshalb eine dedizierte Leitung zu einem leistungsfaehigen Switch.

Werden die genannten Punkte beachtet, ist schon heute eine preiswerte Migration auf ATM moeglich. Ethernet- oder Token-Ring- Stationen werden ueber dedizierte Leitungen an einen zeittransparent arbeitenden Switch angeschlossen, der einen Uebergang zu einem leistungsfaehigen ATM-Backbone realisiert. Die 10 beziehungsweise 16 Mbit/s, die dann jedem Endgeraet zur Verfuegung stehen, reichen in der Regel fuer alle Applikationen aus, auch wenn Sprache oder Videodaten uebertragen werden sollen. ATM-Adapter sind nur dann zu installieren, wenn Endgeraete mit der vorhandenen Bandbreite nicht mehr auskommen, zum Beispiel zentrale Video- Server.

Im geschilderten Szenario lassen sich Vorteile von ATM nutzen, ohne dass die vorhandenen Netzadapter in den Endgeraeten gegen momentan noch relativ teuere ATM-Adapter ausgetauscht werden muessten. Lediglich bei den Kopplungssystemen bedarf es eines Wechsels. Hierbei ist darauf zu achten, dass die verwendeten Switches modular aufgebaut sind. Der Grund: Zu einem spaeteren Zeitpunkt, wenn die Preise fuer ATM-Adapter fallen, lassen sich weitere Endgeraete via ATM sukzessive an den bestehenden ATM- Backbone anbinden.

Ein solches Migrationskonzept erlaubt schon heute den Start in die ATM-Technologie zum Preis konventioneller Techniken, wie das Beispiel eines Instituts zeigen soll: Die Anforderung bestand darin, 24 Ethernet-Segmente ueber einen Collapsed Backbone mit Hilfe eines leistungsfaehigen Routers zu verbinden. Separat zu diesem Netzwerk waren mit einem Testnetz vier Sun-Workstations ueber ATM zu verbinden, um Erfahrung mit dieser neuen Technik zu sammeln.

Nach Produkt- und Preisvergleichen wurden jetzt statt des geplanten Routers mehrere ATM-Ethernet-Switches installiert. Die Vorteile: Mit ATM erhaelt der Kunde einen modernen, leistungsfaehigeren Backbone, dessen Bandbreite mit den Anforderungen des Instituts wachsen kann. Ausserdem muessen nicht, wie urspruenglich geplant, zwei getrennte Netze aufgebaut werden. Der Backbone wird naemlich gleichzeitig zur Realisierung des geforderten ATM-Testnetzes genutzt, indem die vier Sun- Workstations mit Hilfe von SDH/Sonet-Adaptern, die eine Uebertragungsrate von 155 Mbit/s haben, in das Netz integriert werden.

Fuer viele Netzbetreiber ist Multimedia- und damit ATM - leider noch kein Thema. Doch Vorsicht: Zum einen werden leistungsfaehigere Rechner, sinkende Preise und neue Anforderungen rasch dafuer sorgen, dass multimediale Anwendungen Einzug halten, zum anderen kommunizieren wir alle zu einem gewissen Grad bereits multimedial. Das geschieht heute lediglich ueber verschiedene Netze, naemlich das Daten- und Telefonnetz. Was spricht jedoch dagegen, beides in einer Netztechnologie zu verbinden?

Auch hierzu ein konkretes Beispiel aus der Praxis: In einem Projekt soll eine unternehmenseigene 10-Mbit/s-LWL-Verbindung zwischen zwei Standorten durch ATM-Ethernet-Switches mit hoeherer Bandbreite betrieben werden. Weil die Uebertragungskapazitaet von 155 Mbit/s anfangs noch nicht vollstaendig zur Datenkommunikation benoetigt wird und die ausgewaehlten Switches auch S2M- Schnittstellen unterstuetzen, hat sich der Anwender entschlossen, neben den Ethernets auch die bestehenden Telefonuntervermittlungen beider Standorte in das ATM-Netz einzubinden. Die Verbindung erfolgt mittels 2-Mbit/s-Kanaelen ueber ATM (vgl. Abbildung 2).

Nach der Installation dieser Loesung werden alle Telefongespraeche zwischen den beiden Standorten ueber die firmeneigene ATM-Leitung realisiert. Da etwa 70 Prozent aller Telefongespraeche zwischen den Standorten gefuehrt werden, lassen sich die Telekom-Gebuehren erheblich senken. Die Installation macht sich deshalb schon in kurzer Zeit bezahlt.

Mit ATM steht erstmals eine Technik bereit, die sowohl im LAN als auch im WAN nutzbar ist. Derzeit laufen die ersten B-ISDN- Pilotnetze der Telekom an, die auf dieser Technik beruhen. Bis zur Flaechendeckung von B-ISDN wird es jedoch noch eine Weile dauern, ausserdem sprechen momentan noch die hohen Tarife gegen eine ATM- WAN-Kommunikation. Diese Situation wird sich aendern, wenn das Netzmonopol der Telekom faellt und private Anbieter als Wettbewerber hinzukommen.

ATM wird sich auch im WAN-Bereich rechnen

ATM wird dann auch im WAN-Bereich erschwinglich werden und sowohl eine Kostenersparnis als auch eine Sicherung der Investitionen bringen. Ersteres, weil ATM Sprach- und Datennetze wie auch LAN und WAN technisch vereint und sich das gesamte Netzwerk-Management somit erheblich einfacher und effizienter gestaltet. Letzteres, weil ATM-Nachfolgetechnologien kaum Chancen haben werden, ATM abzuloesen, wenn der WAN-Bereich erst einmal aufwendig mit dieser Technik ausgestattet wurde.

Sie ist uebrigens gar nicht so jung, wie mancher denken mag. Die ersten Veroeffentlichungen zu ATM und den zugehoerigen Techniken erschienen bereits 1983. Allerdings wird ATM erst seit der Gruendung des ATM-Forums im November 1991 fuer den Einsatz in privaten Netzen forciert. Die etwa 500 Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, die technischen Interessen der LAN-Industrie zu formulieren, um die Aktivitaeten der zustaendigen Normierungsgremien mit entsprechenden Vorschlaegen zu beschleunigen.

Der gegenwaertige Stand der Normierung gewaehrleistet, vereinfacht gesagt, eine Hardwarestabilitaet, um die Produktion von ATM- Switches sicherzustellen. Die notwendigen Bausteine werden bereits von mehreren Chip-Herstellern am Markt angeboten. Indiz dafuer ist, dass die letzte Normierungsaenderung, die eine Anpassung in der Hardware erforderte - die Definition des ATM-Adaption-Layer 5, im Jahr 1992 datiert. Selbstverstaendlich wird es auch kuenftig neue Hardwaredefinitionen fuer die physikalische Ebene geben, schliesslich sollen die Technik weiterentwickelt und modifizierte Transfermoeglichkeiten mit noch groesseren Bandbreiten definiert werden koennen. Das ATM-Forum arbeitet beispielsweise an der Uebertragung von 155 Mbit/s ueber Twisted-Pair-Kabel.

Normierungsprozess sollte kein Handicap darstellen

Was die Normierung im Softwarebereich betrifft, so hat auch die User-Network-Interface-Spezifikation Version 3.0 (UNI) des ATM- Forums, die im Herbst 1993 erschienen ist, fuer eine weitgehende Stabilitaet gesorgt. Vor allem fuer die Funktionen Signalisierung, Verkehrs- und Staukontrolle wurden damit die fuer die Interoperabilitaet dringend benoetigten Implementierungs-Richtlinien geliefert. Trotzdem ist gerade im Softwarebereich noch einiges zu tun. Weitere Funktionen sind noch festzuschreiben, so dass die heute benutzten Programme ausgetauscht werden muessen, wenn gegenwaertig eingesetzte ATM-Komponenten zu Geraeten beliebiger Hersteller kompatibel sein sollen. Es waere jedoch falsch, wegen anstehender Software-Updates auf ATM zu verzichten. Aktualisierungen sind schnell durchgefuehrt. Das Problem, das die Einfuehrung von FDDI erschwerte, naemlich dass Softwarefunktionen noch in der Hardware realisiert werden mussten, wird bei ATM nicht auftreten.

Multimedia: An ATM fuehrt kein Weg vorbei

Fazit: Das Bereitstellen hoher Bandbreiten, die Skalierbarkeit der Netze und die Unterstuetzung zeitkritischer Anwendungen wie Video- und Tonuebertragung machen ATM ohne Zweifel zu einer interessanten Netztechnologie. Aber nicht nur Bandbreiten fordernde multimediale Anwendungen geben dieser Technologie in Zukunft eine Daseinsberechtigung. Wie die genannten Beispiele zeigen, laesst sie sich schon heute im LAN einsetzen. Preiswerte Migrationspfade existieren in Form von ATM-Switches, die konventionelle Techniken in ATM integrierbar machen. Darueber hinaus ist die Normierung so weit fortgeschritten, dass sich eine mit ATM moegliche Dienstintegration, wie beispielsweise die Vereinigung von Sprach- und Datennetzen, schon nach kurzer Zeit rechnet.

* Diplominformatiker Klaus Eppele ist Vertriebs- und Marketing- Leiter bei der Firma HiLAN GmbH in Karlsruhe.