Wenn Mitarbeiter geringwertige Sachen klauen

Bagatelldelikte als Entlassungsgrund?

17.01.2011
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Rechtmäßigkeit in zwei Schritten prüfen

Hierbei wiesen die Richter des BAG in ihrer Urteilsbegründung ausdrücklich darauf hin, dass die Rechtsmäßigkeitsprüfung von Bagatellkündigungen - wie bei jeder fristlosen Kündigung - in zwei Schritten zu erfolgen habe. Zunächst müsse in einem ersten Schritt geprüft werden, ob ein "an sich" geeigneter Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliegt. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung bejahten die Richter dies zwar auch für den vorliegenden Fall. Sie betonten insoweit, dass eine fristlose Kündigung weiterhin bei einem vorsätzlichen Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten gerechtfertigt sein kann, auch wenn der damit einhergehende wirtschaftliche Schaden für den Arbeitgeber gering sei.

Allerdings müsse bei den außerordentlichen Kündigungen gem. § 626 Abs. 1 BGB in einem zweiten Schritt überprüft werden, ob dieser Grund "unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter der Abwägung aller Interessen beider Vertragsteile" eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Im Rahmen dieser Einzelfallbeurteilung seien das Maß der Beschädigung des Vertrauens, das Interesse an der korrekten Handhabung der Geschäftsanweisungen, das vom Arbeitnehmer in der Zeit seiner unbeanstandeten Beschäftigung bereits erworbene "Vertrauenskapital" und die wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes gegeneinander abzuwägen.

Insgesamt müsse sich die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses als eine angemessene Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung erweisen. Dies sei nach Ansicht der Richter dann nicht der Fall, wenn eine Abmahnung als milderes Mittel angemessen und ausreichend sei, um künftig einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken und das Vertrauen in die Redlichkeit des Arbeitsnehmers wieder herzustellen.

Im Rahmen der hiernach vorzunehmenden Interessenabwägung nahmen die Richter eine grundsätzlich neue Bewertung vor und befanden die fristlose Kündigung der Kassiererin für nicht gerechtfertigt. Zugunsten des Arbeitgebers werteten die Richter zwar, dass das Fehlverhalten der Arbeitnehmerin den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben als Kassiererin betraf und damit zu einem erheblichen Vertrauensverlust führte. Ferner berücksichtigten die BAG-Richter auch, dass die Beklagte als Einzelhandelsunternehmen besonders anfällig dafür sei, in der Summe hohe Einbußen durch viele kleinere Schädigungen zu erleiden.

Zugunsten der Kassiererin werteten die Richter dagegen, dass diese seit mehr als 30 Jahren beanstandungslos für das Unternehmen tätig gewesen sei und sich damit ein hohes Maß an Vertrauen verdient habe. Dieses "Vertrauenskapital" sei durch das einmalige Fehlverhalten und den in vieler Hinsicht atypischen Kündigungssachverhalt nicht völlig zerstört worden. Zudem stellten die Richter darauf ab, dass die Beklagte vergleichsweise eine nur sehr geringfügige wirtschaftliche Schädigung erlitten habe, wohingegen der Kassiererin mit der außerordentlichen Kündigung sehr schwerwiegende Einbußen gedroht hätten.