Multimedia am Arbeitsplatz von Staatsdienern und Politikern

Baden-Württemberg testet Audio-Video-Konferenzen

05.01.2001
MÜNCHEN (CW) - Das baden-württembergische Staatsministerium will durch Videokonferenzen und Applikations-Sharing Effizienz gewinnen. In einem Pilotprojekt können sich nun Sachbearbeiter und Staatssekretäre elektronisch austauschen.

In der öffentlichen Verwaltung ist alles anders - auch die Art, wie Pilotprojekte aufgesetzt werden. Hier stehen am Anfang ein Beschluss und das Budget, dann erst wird der Bedarf ermittelt. Das Pilotprojekt der Staatsregierung Baden-Württembergs begann 1997 mit der Grundsatzentscheidung des Ministerrats, 25 Millionen Mark für Medienprojekte unterschiedlichster Art bereitzustellen. Sodann lotete das Medienreferat, das in der Abteilung 1 Organisation, Verwaltung, Recht, Haushalt und Allgemeines angesiedelt ist, die Möglichkeiten thematisch passender Projekte aus. Nach der Ist-Aufnahme und Schwachstellenanalyse in verschiedenen Landesministerien wurden im Jahr 1998 dann 17 IT-Projekte auserkoren.

Eines davon war die "Bereitstellung zeitgemäßer Kommunikationstechnologie inklusive vernetzter Multimedia-PCs mit Internet-Zugang sowie Telekooperation zur Unterstützung der Landesregierung". Am 20. April 1998 beschloss das Kabinett, das ministeriumsübergreifende Vorhaben mit dem langen Namen. Das Bereitstellungsprojekt sollte zwei Jahre dauern und 1,8 Millionen Mark kosten. Die Verantwortung siedelte der Ministerrat beim Staatsministerium Baden-Württemberg an. Konkret wurde die Dienststelle, die Ministerpräsident Erwin Teufel untersteht, beauftragt, 75 von rund 50000 PCs der Landesregierung mit Multimedia- und Telekooperations-Software sowie mit Internet-Zugang auszustatten.

Ziel war und ist es, die Arbeit der Landesregierung effizienter zu machen. Die Mitarbeiter der verschiedenen Ministerien sollen sich durch Videokonferenzen und die gemeinsame Benutzung von Anwendungen etwa lange Wege und aufwändige Meetings ersparen. Diese Einsparungen bedeuteten vor allem einen zeitlichen Gewinn, betont Rolf Craciunescu, einer der beiden Projektverantwortlichen im Staatsministerium.

In das Pilotprojekt einbezogen wurden neben einer Heimarbeiterin je drei bis fünf Mitarbeiter aus den verschiedenen Hierarchieebenen jedes Ministeriums - vom Sachbearbeiter bis zur politischen Ebene und den Staatssekretären. So sollen möglicherweise virtuelle Konferenzen per Videosystem die wöchentlich stattfindenden Gesprächsrunden der Amtschefs ersetzen.

Die Projektteilnahme setzte zunächst voraus, dass die Beteiligten tatsächlich interministerielle Kontakte pflegen. Zum Beispiel benötigt die Umweltverwaltung Finanzmittel für ihre Maßnahmen, Konferenzteilnehmer suchen einen Tagungsraum, und die Personalabteilung verlangt die Urlaubsanträge. Außerdem konnten sich Mitarbeiter für den Piloten melden, die ohnehin an neuen technischen Möglichkeiten interessiert sind.

Für die Multimedia-Konferenzausstattung von 35 PCs im Staatsministerium suchte sich Uwe Gaus, der zweite Projektleiter, auch komplette Ressorts mit bis zu sechs Personen aus. In diesen Gruppen lässt sich beispielsweise ausprobieren, inwieweit ein papierloser Workflow funktioniert. "Was wir jedoch nicht wollen, ist eine elektronische Post", grenzt Craciunescu den Projektinhalt ab. Vielmehr sollen sich die Leute zu Besprechungen und Schulungen nicht mehr an die bisher dafür vorgesehenen Orte begeben müssen, sondern ihren Arbeitsplatzrechner dafür nutzen.

Die Infrastruktur für das Projekt war bereits vorhanden. Die Ministerien sind hauptsächlich per Ethernet und Bandbreiten von 10 bis 100 Mbit/s vernetzt. Eine Ausnahme bildet das Wissenschaftsministerium, dem Gigabit-Bandbreiten und ATM-Verbindungen zur Verfügung stehen. Doch reicht die in den Ministerien übliche Vernetzung für das Videokonferenzsystem aus. Die ausgewählte Konferenzsoftware "Encounter" von der Ezenia Inc. aus Burlington, Massachusetts (vor einem Jahr noch unter Video-Server firmierend) benötigt rund 370 Kbit/sec für eine Multimedia-Schaltung.

Probleme mit der TestinstallationAnfang 1999 entschieden sich Craciunescu und Gaus für das Produkt, nachdem sie sich zuvor mit Mitarbeitern des Multimedia-Endgeräte-Kompetenzzentrums der Telekom in Karlsruhe beraten hatten. Bei der Testinstallation traten zunächst Probleme mit den rund 1100 Parametern auf, so dass eine der Encounter-Komponenten nicht arbeitete.

Um das Fehlverhalten zu beseitigen, musste der Hersteller eigens einen Experten aus den USA einfliegen. Soweit die Darstellung von Craciunescu und Gaus. Der Hersteller Ezenia stellt die Begebenheit anders dar: Niemand sei aus den USA eingeflogen worden. Vielmehr habe es sich bei dem Experten um einen englischen Mitarbeiter gehandelt, der gerade in München war und so schnell mal in Stuttgart nach dem Rechten schauen konnte.

Das Problem habe darin bestanden, dass der Encounter-Bestandteil "Gatekeeper" auf dem deutschen Windows-NT-Server in Stuttgart installiert war. Er musste aber auf Basis der Gateway-Verbindung für ISDN- und IP-Konferenzen "Encounter Netgate" laufen. Für diesen Wechsel habe der Techniker lediglich zwei Stunden benötigt, insistiert der Hersteller.

Jedenfalls konnten im Mai 1999 die Anwender in der Benutzung geschult werden. Im Folgenden wurden die Punkt-zu-Punkt-Verbindungen der TCP/IP-LANs in den Ministerien eingerichtet.

Zugleich begrenzten die Projektleiter die Bandbreiten für die Multimedia-Verbindungen auf maximal 400 Kbit pro Richtung. Die Beschränkung ist laut Gaus notwendig, da andernfalls der Kollaps des sonstigen Datenverkehrs drohe. Bei der Videoübertragung leidet darunter lediglich die Bildqualität; sie kommt jedoch zustande und bricht nicht etwa zusammen. Davon abgesehen, gab Gaus nur Empfehlungen zu den Übertragungsraten aus. Die Anwender können selbst bestimmen, wie stark sie die Leitungen belasten.

Nachdem die Punkt-zu-Punkt-Verbindungen standen, richteten Telekom-Techniker der Kundenniederlassung Stuttgart/Heilbronn den "Multipoint-Server" ein, das eigentliche Herzstück der Anwendung, wie Gaus und Craciunescu sagen. Dieser Server, der beim Zentrum für Kommunikation und Datenverarbeitung, Stuttgart, einer Dienststelle des Bundeslandes, aufgestellt wurde, regelt die Mehrfachverbindungen, die eigentlichen Konferenzschaltungen für den Videokontakt und den gemeinsamen Zugriff auf Daten und Anwendungen. Dabei reichen die Applikationen von den üblichen Office-Paketen der Firma Microsoft bis zur Grafiksoftware "Corel Draw" und dem Haushalts-Management-System "Pro-Fiskal".

Bisher ist die Anwendung noch mit der Intel-Kommunikationssoftware "Proshare 500" unterlegt, doch hat Intel die Software an Picturetel verkauft. Außerdem, betont Ezenia, sei das Produkt für den Betrieb des Videokonferenzsystems unnötig. Wie die meisten Wettbewerber hat der Konferenzsystem-Hersteller die Features für Punkt-zu-Punkt- und Multipoint-Verbindungen in sein Produkt integriert.

Die Implementierung von Encounter hakte allerdings an einigen Stellen. So vertrug sich die Ezenia-Software nicht mit der deutschsprachigen Windows-NT-Version. "Wir mussten lange herumprobieren, bis genau klar war, worin das Problem bestand", erinnert sich Gaus. Schließlich konnten die Unverträglichkeiten beseitigt werden, indem einige Betriebssystem-Pfade neu benannt wurden. In die Kategorie Unverträglichkeit gehört auch, dass Ezenia den falschen Bildschirmadapter lieferte und die Bandbreite der ISDN-Leitung zu dem Telearbeitsplatz nicht ausreichte.

Nach Darstellung von Ezenia liegen die Staatsdiener mit ihrer Interpretation der Schwierigkeiten ganz falsch. Zum einen handle es sich um das bereits erklärte und von dem englischen Techniker gelöste Gatekeepe-Netgate-Problem. Zum anderen stamme der falsche Bildschirmadapter nicht von Ezenia, sondern von Intel. Schließlich habe die ISDN-Bandbreite deswegen nicht gereicht, weil das bestellte Ezenia-Gateway lediglich über ein "Basic Rate Interface" verfügte. Es sei jedoch ein "Primary Rate Interface" notwendig gewesen. Das musste nachbestellt werden. Die Sendung traf mit Verspätung ein. Ezenia schreibt die Verzögerung in erster Linie dem Zoll zu. Außerdem sei das Produkt in falschen Kanälen bei der deutschen Telekom gelandet.

Obwohl auch laut Craciunescu und Gaus gravierende technische Probleme im Projektverlauf ausblieben, verursachten bereits die geschilderten Ärgernisse eine erhebliche Verzögerung. Vor mehr als einem halben Jahr sollte das Projekt bereits abgeschlossen sein. Wie Gaus und Craciunescu mitteilen, sind sie aber noch mindestens für den Rest dieses Jahres mit dem Vorhaben beschäftigt. Ihre Arbeit besteht mittlerweile hauptsächlich in der Integration des Internet-Zugangs, während die Multimedia-Einführung weitgehend abgeschlossen ist.

Heute basieren die Schwierigkeiten beim Videokonferencing eher in der Anwenderdisziplin. Da die Übertragung durch den Audiokanal gesteuert wird, darf es im Gesprächsverlauf nur ein Nacheinander geben. Reden die Teilnehmer gleichzeitig, entsteht ein unentwirrbarer Datensalat.

Theoretisch können bis zu 32 Landesbeamte via PC an ein und derselben Multimedia-Konferenz teilnehmen; zusätzlich sind gleichzeitig 16 Audioverbindungen möglich. Zur Zeit stellen Craciunescu und Gaus eine Art Stundenplan für die Konferenzverbindungen auf. Diese Stundentafel verzeichnet alle regelmäßigen Online-Besprechungen. Darüber hinaus lassen sich bis zu acht Verbindungen spontan aufbauen.

Die Multimedia-Ausstattung kostet 1250 Mark pro Arbeitsplatz. Ob sich die Investition letztlich auszahlt, können Craciunescu und Gaus noch nicht sagen. Bislang fehlen die Erkenntnisse über das Anwenderverhalten. Unbekannt ist beispielsweise, wie viel Prozent der Besprechungen tatsächlich elektronisch abgewickelt werden, in welchem Maß die Landesmitarbeiter das neue Medium akzeptieren und inwieweit sie ohne Hilfe des Administrators mit der Technik zurechtkommen. Ungeachtet dieser Unbekannten zeigt sich Craciunescu aber zuversichtlich: Das Projekt lohne sich allemal.

Abb: Die Ministerien von Baden-Württemberg liegen verstreut. Das Videokonferencing erspart zum Teil die Wege zwischen den Ressorts. Quelle: CW