Colemans Rücktritt und hohe Verluste vertiefen die Krise

Baan steht mit dem Rücken zur Wand

14.01.2000
MÜNCHEN (IDG/bs) - Der Abwärtstrend der Baan Comp. hält an: Für das vierte Quartal des gerade abgeschlossenen Geschäftsjahres weist das Software-Unternehmen einen Verlust von rund 250 Millionen Dollar aus. Die Vorstandschefin Mary Coleman trat überraschend zurück.

Ein schlechterer Start ins neue Jahr ist kaum vorstellbar: Mit dem sechsten negativen Quartal in Folge und dem Weggang des mit viel Vorschusslorbeeren bedachten Chief Executive Officer (CEO) Mary Coleman schockt Baan Anwender und Analysten. Im vierten Quartal des Geschäftsjahres 1999 verbucht die Company einen operativen Verlust zwischen 40 und 50 Millionen Dollar.

Weiterhin drücken Sonderabschreibungen für Software und Rückstellungen für Restrukturierungsmaßnahmen das Ergebnis um 200 Millionen Dollar auf ein Minus von rund 250 Millionen Dollar. Der größte Teil dieser Verluste soll die Cash-Reserven, die von Analysten der Deutschen Bank auf rund 285 Millionen geschätzt werden, allerdings nicht belasten. Doch fragen sich die Auguren des Finanzinstituts, wie lange dieser Puffer reicht, wenn auch in den kommenden Quartalen Verluste in der Größenordnung von 40 Millionen Dollar eingefahren werden.

Für das am 31. Dezember beendete Quartal erwartet Baan einen Umsatz zwischen 140 und 150 Millionen Dollar (1998: 131 Millionen). Immerhin sind die Einnahmen aus Lizenzverkäufen gegenüber dem dritten Quartal um über 30 Prozent gestiegen.

Doch die insgesamt schlechten Zahlen sind nicht Baans einziges Problem. Völlig überraschend für Branchenkenner nahm Mary Coleman, seit sieben Monaten Vorstandschefin bei Baan, ihren Hut.

"Es ist ein Desaster", erklärt Joshua Greenbaum, Analyst bei Enterprise Application Consulting in Berkeley, Kalifornien. Coleman galt als kompetente Hoffnungsträgerin, der man zutraute, den angeschlagenen Konzern wieder in ruhigeres Fahrwasser zu manövrieren: "Sie war der einzige Grund, weshalb ich optimistisch war für Baan", so Greenbaum. Coleman habe die Marktposition des Unternehmens in den letzten Monaten wieder gestärkt. So verdoppelte sich unter ihrer Führung der Wert der Aktie seit dem Allzeittief im Februar 1999. Sogar einen Tag vor ihrem Rücktritt stieg das Papier noch um acht Prozent, stürzte bei Bekanntwerden des Ausscheidens allerdings um über 30 Prozent ab. Jürgen Richter, Geschäftsführer der Baan Deutschland GmbH, hat von Colemans Rücktritt erst aus der Presse erfahren: "Das kam völlig unerwartet für mich." Gründe kann er nicht nennen. Die ehemalige Baan-Managerin hat jedenfalls einen neuen Job bei der Internet Capital Group, San Franzisko, gefunden. Das Unternehmen investiert in Softwarefirmen, die sich auf E-Commerce-Lösungen im Business-to-Business-Umfeld konzentrieren.

Den Spekulationen über die Ursachen für Colemans plötzlichen Ausstieg sind nun Tür und Tor geöffnet: Gerhard Hummel, Baan-Kenner und Berater bei Hummel & Partner, Stuttgart: "Frau Coleman hat sich zu viel vorgenommen. Sie ist an ihren hoch gesteckten Zielen gescheitert." Analyst Harry Tse von der Yankee Group ist sicher, dass Baans Hauptgeldgeber, Fletcher Investment, für den Rücktritt mitverantwortlich ist. Fletcher, das mittlerweile rund 425 Millionen Dollar in Baan hineingepumpt habe, wolle nicht länger warten, bis das Unternehmen endlich bessere Finanzdaten vorweise. Mitarbeiter von Flechter hätten einige Posten im Verwaltungsrat und demzufolge Einfluss auf strategische Entscheidungen: "Coleman musste schlicht und einfach gehen", so Tse.

Laut Einschätzungen von Mitgliedern der Deutschen Baan User Group (DBUG) könnten Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Baan-Managements über die Ausrichtung der Company zum Ausstieg von Coleman geführt haben. Die jüngsten Entwicklungen bei Baan sorgen unterdessen bei den leidgeprüften deutschen Anwendern für Ratlosigkeit: "Speziell für Neukunden sind die Ergebnisse sowie Colemans Rücktritt ein extrem schlechtes Signal", befürchtet Carol Smolawa, Leiter Informations-Management bei der Goldschlägerei Bego in Bremen. Das Baan-Management müsse dringend Perspektiven für das Jahr 2000 aufzeigen.

Als erste Maßnahme plant Baan, weltweit vier Prozent der Belegschaft, also rund 190 Mitarbeiter, zu entlassen und 14 weitere Büros zu schließen.

Hierzulande werde es keine Entlassungen geben, erklärte Deutschland-Statthalter Richter: "Wir haben bereits 1999 gründlich umstrukturiert, so dass weitere Maßnahmen nicht erforderlich sind." Das operative Ergebnis der GmbH sei zudem ausgeglichen, doch würde ein Teil der 200 Millionen Dollar für Rückstellungen das Resultat in Deutschland belasten. Genaue Zahlen nannte er nicht. Spekulationen über eine Zerschlagung des Unternehmens, wie sie von Analysten geäußert wurden, kommentierte Richter nicht. Als Interims-CEO übernimmt Pierre Everaert, Chairman des Aufsichtsrates und ehemaliger Philips-Manager, die Geschäfte, bis ein neuer Chef gefunden ist.