Muße macht Mühe

Auszeit für Manager

15.12.2014
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Zwischen den Jahren bleibt selbst gestressten Führungskräften Zeit um zu entspannen. Doch das lockere Leben will gelernt sein. Wie die Balance gelingt und welche Bücher dabei helfen, darüber haben wir uns für Sie Gedanken gemacht.

Geschafft. Weihnachtsfeiern und Jahresendgespräche mit enttäuschten Mitarbeitern, für die es nicht mit der Beförderung geklappt hat. Jetzt also Weihnachten feiern, ein paar freie Tage genießen. Muße eben. Das Wort klingt für Menschen auf der Überholspur des Lebens nach Langeweile oder Schlimmerem. Tage ohne Termine verunsichern, ein leerer Kalender stresst Macher und quält sie mit einem schlechten Gewissen.

Europäer und Nordamerikaner kultivierten über Jahrhunderte ein hohes Arbeitsethos. In protestantisch und calvinistisch geprägten Landstrichen frönen sie dieser Arbeitsmoral noch rigider als in katholischen sozialisierten Gegenden. Alle kennen Sprichwörter wie „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. Muße hat ein schlechtes Image, auch in der modernen Sprachvariante Work-Life-Balance bleibt es für viele ein Problem. Doch wir wagen ein Gedankenexperiment: Nutzt Muße der Karriere?

Wann hatten Sie das letzte Mal die Muße, einen Sonnenaufgang in aller Ruhe zu bewundern?
Wann hatten Sie das letzte Mal die Muße, einen Sonnenaufgang in aller Ruhe zu bewundern?
Foto: styleuneed - Fotolia.com

Muße bedeutet Zeit für sich

Ja, meint der ehemalige Benediktinermönch Anselm Bilgri: „Muße macht zunächst Mühe. Wir müssen etwas neu einüben, was wir nicht gewohnt sind. Bei Muße geht es nicht ums Nichtstun oder Langeweile, sondern um ein auf sich selbst Konzentrieren, sich bewusst von den Anforderungen des Alltags, der Arbeit und der Familie zurückzuziehen. Muße bedeutet Zeit für sich. “ Das klingt nach einer großen Herausforderung.

Bilgri gründete vor eineinhalb Jahren mit Nikolaus Birkl und Georg Reider die Akademie der Muße. Die Kurse sind gut besucht, manche Unternehmen schicken ganze Teams in Klausur. Die Teilnehmer kommen aus unterschiedlichen Berufen. „Die meisten sind um die 40 Jahre, und ein gewisser Leidensdruck ist spürbar“, formuliert Bilgri. In mehrtägigen Seminaren, die überwiegend in ehemaligen Klöstern stattfinden, lernen die Teilnehmer außerdem schweigen, meditieren eine ganz neue Kulturtechnik: das Display des Smartphones zu ignorieren, ohne in einem Loch zu verschwinden.

„Muße ist in unserer beschleunigten Zeit enorm wichtig“, doziert Bilgri, der an der Hochschule München Wirtschaftsethik unterrichtet. Die in vielen Berufen geforderte ständige Verfügbarkeit setzt Körper und Seele zu. Gesund sein bleibt für jeden wichtig. Auch Jüngere brauchen eine Pause.

Radfahrmentalität der Manager

In den vergangenen Jahren sorgten Depressionen und psychische Erkrankungen prominenter Leistungsträger immer wieder für Schlagzeilen. Auch mancher Arbeitgeber wurde hellhörig und erzählt jetzt den Bewerbern, dass Work-Life-Balance ganz wichtig sei. „Die Sensibilität für das Thema ist gewachsen, viele Manager möchten etwas für sich und ihre Mitarbeiter tun“, merkt Bilgri an. Aus vielen Gesprächen und Coachings leitete er seine eigene Theorie ab, weshalb trotzdem viel schief geht: „Manchmal wundere ich mich über die Ich-Schwäche mancher Manager und deren freiwilliger Unterwerfungshaltung. Frage ich sie ´Sind Sie jetzt Führungskraft oder nicht?´, zucken zwar manche zusammen, doch viele schieben es auf die Strukturen im Unternehmen. Ich habe oft den Eindruck, dass Manager ihren Handlungsspielraum nicht nutzen und die Radfahrmentalität sehr verbreitet ist. Also nach oben buckeln und nach unten treten.“

Das Führungsverhalten wirkt sich direkt auf die Gesundheit der Beschäftigten aus, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin belegt. Es lohnt sich also, rücksichtsvoller mit den Mitarbeitern umzugehen, damit sie gern ins Büro kommen und sich engagieren, damit alle die hoch gesteckten Ziele erreichen.

Raus aus dem Hamsterrad

Auch Angestellte haben Spielraum, den sie nutzen sollten. Bilgri amüsiert das oft verwendete Bild vom Hamsterrad: Wer genau hinsieht, muss erkennen, dass das kleine Tier das Rad selbst in Schwung hält. In den Seminaren üben die Teilnehmer drei Mal täglich eine halbstündige, moderate Zen-Mediation. Doch jeder kennt den Effekt, wenn nach einem Seminar das Gelernte im Alltag verloren geht. „Plötzliche Bekehrungen sind auch in unseren Seminaren selten. Natürlich fällt es in der Gruppe und an einem angenehmen Ort leichter, abzuschalten und sich auf sich selbst zu konzentrieren. Doch wer kleinere Übungen in seinen Alltag integriert und Muße einübt, der gewinnt Lebensqualität.“ Beispielsweise wenn es besonders hektisch zugeht im Büro, einfach den Rechner fünf oder zehn Minuten herunterfahren, aus dem Fenster sehen und eine Pause einlegen. Zen@work nennt Bilgri diese Übung.

In dem kürzlich veröffentlichten Buch „Vom Glück der Muße“ beleuchtet Bilgri das Phänomen Muße aus verschiedenen Blickwinkeln. „Glück heißt für mich, mit dem zufrieden sein, was man bekommt. Wer erwartungslos lebt, ist glücklicher als derjenige, der immer einem Ziel hinterher rennt“, mein Bilgri philosophisch. Schwere Kost für Manager. Doch zwischen den Jahren lohnt es sich darüber nachzudenken, ob Zielvereinbarungen Mitarbeiter wirklich glücklich machen und ob Muße ein lohnendes Ziel für das kommende Jahr sein könnte.

Buchtipps zum Thema Muße

Anselm Bilgri: Vom Glück der Muße. Wie wir wieder leben lernen. 288 Seiten, Piper Verlag, München, 2014, 19,99 Euro.
Anselm Bilgri: Vom Glück der Muße. Wie wir wieder leben lernen. 288 Seiten, Piper Verlag, München, 2014, 19,99 Euro.
Foto: Piper

Ob sich Muße als Trend durchsetzt, bleibt fraglich. Wer sich trotzdem dem Thema widmet, lernt viel dabei. Anselm Bilgri beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Muße, das merkt man seinem neuen Buch an. Neben philosophischen Exkursen flicht er lebenspraktische Aspekte ein. Jedes Kapitel schließt mit Tipps, mit deren Hilfe sich Leser einen individuellen Muße-Lehrplan zusammenstellen können.

Noch 20 gute Sommer?

Hajo Schumacher: Restlaufzeit. Wie ein gutes, lustiges und bezahlbares Leben im Alter gelingen kann. Eichborn Verlag bei Bastei Lübbe AG, Köln, 2014. 286 Seiten, 19,99 Euro.
Hajo Schumacher: Restlaufzeit. Wie ein gutes, lustiges und bezahlbares Leben im Alter gelingen kann. Eichborn Verlag bei Bastei Lübbe AG, Köln, 2014. 286 Seiten, 19,99 Euro.
Foto: Eichborn

Was bleibt, fragt sich Hajo Schumacher schonungslos. Anders als viele seiner ebenfalls 1964 geborenen Zeitgenossen, die sich zum 50. Geburtstag selbst kräftig auf die Schultern klopften und ihre Karrierewege lobten, wagt Schumacher den Blick in die Zukunft. Der Moderator und Journalist schreibt in seiner Kolumne auf Spiegel Online als Achim Achilles sonst über Laufen und Fitness.

Doch in „Restlaufzeit“ denkt er über die ihm (idealerweise) noch bleibenden Jahre nach und wie er sie verbringen möchte. Schumacher besuchte alternative Wohnprojekte im ganzen Land und probierte für einen Tag eine luxuriöse Seniorenresidenz aus. Diese entpuppte sich aber als ebenso schnöde Wartehalle wie andere ähnliche Heime, nur die Umgangsformen dort sind vornehmer und die Wohnungen großzügiger. Ein gut recherchiertes und mit der Neugier eines Profis amüsant geschriebenes Buch, das zum Nachdenken über die eigenen Zukunftsoptionen inspiriert.