Systec: Konzept gegen die Gemischtwaren-Messe

Aussteller zwischen Zweckoptimismus und Zweifel - eine Umfrage der COMPUTERWOCHE-Redaktion

19.10.1990

"Die Argumentation, man müsse alles auf einer Messe für jede Zielgruppe zeigen, ist nicht mehr zeitgemäß - siehe Hannover" - kein Marketingleiter eines großen DV-Herstellers würde so etwas sagen, schließlich kann sich die CeBIT-Messeleitung nach wie vor mit Erfolgsmeldungen über steigende Aussteller- und Besucherzahlen schmücken. Den provozierenden Satz hat Eberhard Färber, Geschäftsführer des Münchner Softwarehauses Ixos, in einer CW-Umfrage zur "Systec Æ90" zu Protokoll gegeben - und der CeBIT-Kritiker sattelt noch einen drauf: "Dies führt keineswegs zu einer besseren Information für den Messebesucher, sondern zu dessen totaler Verwirrung." Die "Systec", nach eigenem Anspruch "Fachmesse für Computerintegration in der Fertigung" mit einer klaren Zielgruppenvorstellung, nämlich CAD-Profis anzusprechen, ist freilich selbst bei den Spezialanbietern von C-Techniken keineswegs unumstritten. Dazu Paul Lutz, Leiter Branchenmarketing bei PCS, München: "Ob das Messekonzept durchhaltbar, das heißt eindeutig abgrenzbar ist, wage ich zu bezweifeln." Hier die Antworten von acht Ausstellern auf zwei Fragen der CW zur "Systec".

Frage 1: Die Systec muß sich an ihrem programmatischen Anspruch messen lassen, Fachmesse für "Computerintegration in der Industrie" zu sein. Wie weit sind die Anwender-Unternehmen wirklich mit der Computerintegration im Fertigungsbereich?

Frage 2: Einige Fachleute sprechen nicht mehr von CIM, sondern von CIB (Computer Integrated Business), gemeint ist die informationstechnische Interdependenz von Fabrik und Büro. Die Systec klammert die DV-Anwendung in der Verwaltung (Office-Bereich) aus: ein Messe-Konzept im Antitrend?

Eckhard Braun

Geschäftsführer Vertrieb Hewlett-Packard Deutschland, Böblingen

Zu Frage 1: Im Markt dominieren derzeit noch immer Insellösungen. Nur sehr wenige Unternehmen der Computerbranche sind derzeit in der Lage, ihren Kunden umfassende, integrierte Komplettlösungen anzubieten.

Zu Frage 2: Ich denke nicht, da sich immer mehr Messen auf bestimmte Anwendungsbereiche fokussieren beziehungsweise spezialisieren.

Michael Bauer

Geschäftsführer PSI Prozeßsteuerungs- und Informationssysteme, Berlin

Zu Frage 1: Computerintegration als Hardware-Integration ist weit vorangekommen und überwiegend technisch möglich. Die Software-Integration gestaltet sich weitaus schwieriger. Nach schlechten Erfahrungen mit den Versprechungen der Lieferanten sind die Anwender verunsichert und zur Zeit eher zurückhaltend mit echten Integrationsprojekten.

Zu Frage 2: Die Erweiterung des CIM-Begriffes führt nicht zu einer Verbesserung der unter 1) genannten Situation. Eine Fachmesse sollte eher die Spezialisten als die Generalisten ansprechen. PSI unterstützt den Fachmessen-Trend und ist gegen Gemischtwaren-Messen. Systems und Systec sollten eher noch klarer positioniert werden.

Eberhard Färber

Geschäftsführer Ixos Software, München

Zu Frage 1: Die Unternehmen sind auf dem Weg zur Computerintegration - ausgehend von Inseln (meist CAD, PPS, BDE etc.), zwischen denen immer mehr Brücken gebaut werden. Dies geschieht zwar in mühsamer Handarbeit, weil die Standards speziell in den höheren Schichten noch zu wünschen übrig lassen, aber es lohnt sich trotzdem, selbst dann, wenn einige Brücken wieder eingerissen werden müssen.

Zu Frage 2: Die Argumentation, man müsse alles auf einer Messe für jede Zielgruppe zeigen, ist nicht mehr zeitgemäß - siehe Hannover. Dies führt keineswegs zu einer besseren Information für den Messebesucher, sondern zu dessen totaler Verwirrung. Gerade die Systec hat ein erfreulich klares Zielgruppenprofil: die Fertigungsleute. Keine Banker im weißen Kragen, keine Ärzte, keine Behörden, nicht einmal die Rechenzentrumsfürsten klassischer Prägung sind gefragt. Die sind eher Verhinderer der dezentralen Informationstechnik. Die hätten am liebsten noch "beherrschbare" Transmissionsriemen durch die ganze Fabrik statt Hunderter oder Tausender dezentraler Energiequellen in Form von Elektromotoren (= Computer).

Eine gute Messe muß vor allem die Sprache der Zielgruppe sprechen. Die "informationstechnische Interdependenz zwischen Fabrik und Büro" ist natürlich gegeben und wird auf der Systec ausreichend deutlich gemacht. Das neue (?) Schlagwort CIB-Computer Integrated Business rechtfertigt aber gewiß nicht die Rückkehr zu erwiesenermaßen überfrachteten Messekonzepten.

Helmut Krings

Geschäftsführer Sun Microsystems, Grasbrunn

Zu Frage 1: Die Computerintegration im Fertigungsbereich ist ein Automatisierungskonzept, das sich in sehr unterschiedlicher Tiefe und Intensität realisieren läßt. Deshalb hielte ich es für vermessen, ein umfassendes Urteil über die Situation bei Anwenderunternehmen zu fällen. Für uns als Anbieter ist die Tatsache viel wichtiger, daß es noch ein erhebliches Integrationspotential gibt.

Zu Frage 2: Zweifelsohne kann die Integration in der Fertigung langfristig nur eine Untermenge der unternehmensweiten Integration sein. Die Ausstellungsantwort auf diese Problemstellung findet der Anwender in Hannover oder alle zwei Jahre in München auf der Systems. Meines Erachtens liegt eine Fachmesse wie die Systec mit einem klar umrissenen und ausreichend umfassenden technischen Thema sehr wohl in Trend. Die Besucherzahlen werden zeigen, daß ein großer Informationsbedarf auf dem Gebiet der Computerisierung im Fertigungsbereich besteht.

Paul Lutz

Leiter Branchenmarketing PCS Computer Systeme, München

Zu Frage 1: Der Anspruch von CIM und die Wirklichkeit klaffen immer noch weit auseinander. Betrachtet man die bekanntgewordenen Untersuchungen, die sich mit unseren Erfahrungen decken, so ist in den letzten vier Jahren - trotz des Abstandes zum Ideal - viel vorangetrieben worden. Vor allem in den Bereichen Konstruktion und AB gibt es ein steigendes Angebot und Akzeptanz. Die Forderungen nach Standards sowohl bei Rechnersystemen als auch bei den Anwendungs-Softwaresystemen - man denke nur an die Arbeiten von DIN und VDI - spiegeln das gestiegene Bewußtsein wider. Man sollte jedoch auch in Zukunft nicht die Hemmnisse unterschätzen, die durch gewachsene DV-Landschaften entstanden sind - dies gilt vor allem im Bereich der PPS-Systeme. Viele Anwender beginnen heute, ihre CIM-Welt aus der Produktion (BDE) heraus selbst zu realisieren - sie wollen aktuelle Informationen über ihre Produktionsmittel und Aufträge. Fazit: Wir sind ein gutes Stück vorangekommen, es bleibt aber noch viel zu tun. Man sollte nicht glauben, CIM abhaken zu können; vielleicht kann man es anders nennen -das Ziel bleibt.

Zu Frage 2: Der Gedanke der Integration ist natürlich nicht in der Fertigung und den vorgelagerten Bereichen hängengeblieben. Auch beispielsweise im Vertrieb, in der strategischen Planung und in anderen Bereichen gibt es rechnergestützte Verfahren, die auf der Basis moderner Bürokommunikationssysteme Informationen zum Beispiel mit PPS-Systemen austauschen müssen. Es ist durchaus vorstellbar, eine Spezialmesse für "die Integration in der Produktion" zu halten: Ob das Messekonzept durchhaltbar, das heißt eindeutig abgrenzbar ist, wage ich zu bezweifeln.

Erwin Leonhardi

Geschäftsführer Prime Computer, Wiesbaden

Zu Frage 1: Die "Computerintegration in der Industrie" kann sich im Prinzip nur auf vier Bereiche eines Industriebetriebes erstrecken, nämlich Konstruktion, Fertigungsvorbereitung, Produktion und Verwaltung. Die drei erstgenannten bilden den technischen Aspekt, der letztgenannte den kaufmännischen.

Eine Messe, die sich mit allen vier Teilbereichen beschäftigt, hätte CeBIT-Charakter und wäre daher überflüssig beziehungsweise nur regional sinnvoll.

Eine spezifische Teilung ist daher angezeigt. München hat sich dazu entschieden, abwechselnd die "Systems" für das Verwaltungsressort und die "Systec" für den gesamten technischen Bereich durchzufahren. Damit ist München die einzige DV-Messe (meines Wissens in Europa), die sich mit dieser Thematik gesondert beschäftigt.

"Computerintegration in der Industrie" soll also bei der Systec in Form von technisch realisierbaren Prozeßketten gezeigt werden. Im übrigen ist exakt dies der Bereich, in dem die Anwender de facto integrative Fortschritte aufzuzeigen haben. Allen voran sei hier der Automobilbau genannt, der in Verbindung von Konstruktion und Fertigungsvorbereitung deutliche Resultate aufzuweisen hat.

Die Verbindung der Fertigungsvorbereitung und Fertigung ist in der Regel heute nach wie vor an PPS-Systeme gebunden. Die sogenannte Werkstattfeinsteuerung ist aufgrund ihrer eigenen Problematik in den seltensten Fällen integriert. Dicht hinter dem Automobilbau sehen wir nachweisliche Erfolge im Bereich des komplexeren Maschinenbaus. Deutlich am geringsten vertreten sind Integrationen zwischen technischen Prozeßketten und dem kaufmännischen Bereich.

Zu Frage 2: Ob CIB ein Oberbegriff von CIM ist, sei dahingestellt. Eines ist sicher, daß es informationstechnische Abhängigkeit gibt zwischen Produktion und Verwaltung. Beide Bereiche integriert zu zeigen, käme einer Addition von Systems und Systec gleich. Das Resultat wäre wahrscheinlich eine unübersichtliche Mammut-Messe.

Meines Erachtens liegt die Systec absolut nicht mit ihrem Konzept im Antitrend, sondern versucht, den Bereich der technischen Prozeßketten insgesamt möglich zu machen. Der zukünftige Trend der Messen sollte sich trotz aller Integrationseuphorie in Richtung Spezialisierung entwickeln. Es ist nicht erforderlich, einem Fachmann jeweils riesige Ablaufketten vorzuführen, wenn er sich über ein Teil und dessen Integrationsfähigkeit informieren möchte.

Helmut Schell

Leiter Branchenmarketing NCR, Augsburg

Zu Frage 1: Bei den Unternehmen steht nicht mehr die Frage im Mittelpunkt, ob CIM gemacht werden muß, sondern wie. Wirklich durchgängige CIM-Lösungen sind noch nicht realisiert. Eine Ernüchterung hinsichtlich der Umsetzbarkeit von CIM-Konzepten läßt sich feststellen, wenn es nicht nur "quick and dirty" um ein einzelnes Produkt geht, da Architekturen (horizontal und vertikal), die die Bewältigung der größten Herausforderungen nach Integration in heterogenen Systemumgebungen sinnvoll unterstützen, erst jetzt verfügbar werden. Hier wollen wir uns vom Wettbewerb differenzieren.

Zu Frage 2: Die Grenzen werden fließender, dies wird sich auch auf der Systec zeigen.

Aber es geht nicht in einem Schritt. Wir müssen lernen, mit Architekturen für eine Gesamtintegration des Unternehmens Schritt für Schritt umzugehen.

Michael Schädlich

Marketingleiter Fertigungsindustrie Digital Equipment, München

Zu Frage 1: Die Integration in der Fertigung ist über die ersten Versuche und die Pilotphase hinaus. Der Computer ist ein akzeptiertes Werkzeug geworden. Es geht nun nicht mehr "ums Ob", sondern darum, wie, wann und in welcher Reihenfolge der Anwender seine Applikationen integriert. Hier ist die Systec eine wertvolle Entscheidungshilfe.

Zu Frage 2: Die Begriffsvielfalt erschwert allerdings die Orientierung. Hersteller mit eigenen Wortschöpfungen verwirren mehr, als sie helfen. Es wäre wünschenswert, wenn DIN mit seiner CIM-Normung schnell und pragmatisch von der Öffentlichkeit akzeptiert würde. CIM soll und muß als Oberbegriff der computerunterstützten Integration aller Informationssysteme eines Unternehmens gesehen werden. Es ist nicht Fertigungsautomation, sondern unternehmensweiter Informationsaustausch.