Ausbildungskrise bedroht den DV-Arbeitsmarkt

29.03.1985

Dr. Werner Dostal

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg

Der Arbeitsmarkt für Fachkräfte in der Datenverarbeitung hebt sich von dem anderer Berufe deutlich ab: Die Stellenanzeigen in den Zeitungen quellen derzeit über. Diese Sonderkonjunktur wird vermutlich auch in der Zukunft so bleiben.

Schon für das laufende Geschäft reicht die Manpower nicht aus. Gäbe es mehr Fachleute, so könnte man die Überstunden abbauen, auch wäre mehr Zeit für neue Ideen und für Fortbildung da. Dazu kommt, daß nicht alle Datenverarbeitungslösungen, die in den letzten Jahren hastig zusammengeklopft wurden, noch allzulange laufen werden. Außerdem warten neue Anwendungsgebiete auf Bearbeitung.

Warum aber gibt es nicht mehr DV-Spezialisten? Der ausgetrocknete Arbeitsmarkt in anderen Bereichen und die vergleichsweise günstigen Beschäftigungsbedingungen im EDV-Bereich müßten doch einen Run dorthin ausüben.

Doch in der Öffentlichkeit traut man diesem speziellen Arbeitsmarkt nicht so recht. Dies hängt mit den widersprüchlichen Argumenten zusammen, die schon seit Jahren herumschwirren.

Die Furcht vor der Rationalisierung der DV-Tätigkeit, etwa das "Programmieren in Umgangssprache" oder neue leistungsfähige Algorithmen etc., führten wiederholt zu Aussagen über den "Tod des Programmierers".

Auch bei Datenverarbeitern gibt es bereits eine merkliche Arbeitslosigkeit; im Herbst 1984 waren mehr als 5000 als Arbeitslose registriert. Unterstellt man aber, daß es etwa 150 000 DV-Spezialisten gibt

- diese Zahl kann nur geschätzt werden -, dann ergäbe sich daraus eine berufsspezifische Arbeitslosenquote von etwa drei Prozent, die sehr niedrig liegt im Vergleich zur allgemeinen Quote von neun Prozent

Die Anforderungen an die Ausbildungsqualifikation und an die berufliche Erfahrung steigen immer weiter. Gesucht werden eigentlich nur erfahrene Könner, nicht Mitläufer oder Anfänger. So ist es nicht verwunderlich, daß es auf der einen Seite unbesetzte Arbeitsplätze und auf der anderen Seite Arbeitslose gibt.

Insbesondere System- und Standardsoftware könnte an wenigen Stellen der Welt erstellt und breit vermarktet werden. Daraus ergibt sich ein geringerer Bedarf an Spezialisten. Allerdings müßte man in diesem Zusammenhang fragen, warum in anderen Branchen, in anderen Bereichen, in denen auch eine derartige Zentralisierung möglich wäre das nicht geschieht.

Dies sind nur einige Argumente, mit denen Datenverarbeitern eine trübe Zukunft vorausgesagt wird. Vieles an der gegenwärtigen Situation ist zwar undurchsichtig, einige Aussagen lassen sich aber gut begründen und belegen.

Die Ausbildungsgänge liefern offensichtlich weniger Absolventen, als der Arbeitsmarkt aufnehmen könnte. Es gibt zu wenig Datenverarbeiter mit guter Ausbildung und langjähriger Berufserfahrung.

Die Umschulung von einem konventionellen Beruf in einen Datenverarbeitungsberuf kann den Bedarf an Spezialisten nicht decken, da viele "Umsteiger" wieder in ihren früheren Berufsbereich zurückkehren und dort bei der Einführung von Datenverarbeitung mithelfen.

Ich möchte an einigen Beispielen die erste Aussage weiter vertiefen. Der jährliche Mehrbedarf an Datenverarbeitungsspezialisten liegt im langfristigen Trend bei 5000 bis 8000 Personen. Zur Entspannung der derzeit angespannten Arbeitsbedingungen und um den offenen Bedarf zu decken, wären zusätzlich - einmalig - schätzungsweise 30 000 bis 40 000 Fachkräfte nötig.

Kann die Ausbildung diesen Bedarf decken? In der betrieblichen Berufsausbildung wird der Datenverarbeitungskaufmann ausgebildet. 1983 haben knapp 700 von ihnen die Abschlußprüfung bestanden. Die übrigen Prüfungen, zum mathematisch-technischen Assistenten, zum EDV-Fachwirt, zum Organisationsprogrammierer oder Programmierer, erbrachten insgesamt etwa 400 Absolventen. Insgesamt kommen also etwa 1100 Absolventen aus diesem Bereich.

An den wissenschaftlichen Hochschulen und an den Fachhochschulen haben insgesamt etwa 1100 Studenten ihr Studium im Fach Informatik - und an Fachhochschulen im Fach Mathematik - erfolgreich abgeschlossen.

Dazu zählen nach meiner Schätzung etwa 400 bis 500 Personen, die auf anderem Wege eine formalisierte DV-Ausbildung - im wesentlichen im Fachschulbereich - abgeschlossen haben.

Also kommt man auf maximal 3000 Absolventen - nicht einmal genügend, um den jährlichen Mehrbedarf zu decken. Für eine Entspannung des Arbeitsmarktes können wir demnach aus dem Sektor Ausbildung nicht allzuviel erhoffen. Der einzige Lichtblick ist die Tatsache, daß die 3000 Ausgebildeten pro Jahr normalerweise mit guter Ausbildung und einiger Praxiserfahrung auf dem Arbeitsmarkt erscheinen. Im Vergleich zu konventionellen Berufen ist diese Zahl sehr gering: Jährlich schließen etwa 21000 Ingenieure und 11 000 Wirtschaftswissenschaftler ihre Ausbildung an Hochschulen erfolgreich ab.

So besteht die Personallücke weiterhin mit allen ihren negativen Begleiterscheinungen von Überstunden und Überlastung der Fachleute bis hin zum Head-hunting.

Leider wirkt sich diese angespannte Arbeitsmarktsituation wegen der geringen Elastizitäten auf dem Arbeitsmarkt nur begrenzt auf die Einkommenssituation der DV-Spezialisten aus. Dies gilt insbesondere für den öffentlichen Dienst.

Vor dem Hintergrund dieser Arbeitsmarktlage wäre anzunehmen, daß diese Beschäftigungsnischen von der Ausbildung besonders gut bedient würden. Dem ist aber nicht so.

Im Fach Informatik an wissenschaftlichen Hochschulen hat sich der Ansturm auf die bundesweit etwa 2200 Studienplätze inzwischen dramatisch erhöht. In den Anfangssemestern sitzen auf einem Studienplatz fast schon drei Studenten. Das hat sicher Folgen für die Qualität der Ausbildung, aber auch für die Studenten, die sich an hohe Durchfallquoten gewöhnen müssen. Hier erscheint ein weiterer Ausbau der Kapazitäten notwendig. Das Argument, es gebe für die Position eines Hochschullehrers nicht genügend fachlich und pädagogisch erfahrene Bewerber, sollte in der Öffentlichkeit einmal etwas genauer und kritischer hinterfragt werden.

Dasselbe gilt für die Fachhochschulen. Auch hier sollte die Ausbildungskapazität im Fach Informatik und eventuell im Fach Mathematik ausgeweitet werden.

Bei der betrieblichen Berufsausbildung dagegen ist Vorsicht angebracht. Das komplette Berufsbild des Datenverarbeitungskaufmanns ist wohl im Betrieb nicht so leicht zu vermitteln. Eine stärker schulisch orientierte Ausbildung - wie sie an den Fachschulen vermittelt wird - könnte hier zu zusätzlichen Ausbildungsplätzen verhelfen. Auch eine Anhebung der Zugangsvoraussetzungen wie mittlerer Bildungsabschluß oder Abitur - in der Praxis häufig der Fall - könnte das Niveau anheben.

Das Instrument Umschulung indes ist für die Ausbildung von DV-Spezialisten weder sinnvoll noch ökonomisch. Höchstens für die Berufe im Umkreis der Datenverarbeitungs-Anwendung erscheint diese Maßnahme weiterhin adäquat und nützlich. Auch die Zahl der mit großem Erfolg in Datenverarbeitungsberufe hineingeführten hochschulabsolventen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier nur um eine Reparaturmaßnahme handelt. Bildungsökonomisch wäre es weit sinnvoller, von vornherein im Fach Informatik auszubilden.

Die vor allem für die DV-Anwendung ausgerufene Bildungskrise gibt es also - zwar nicht von der Qualität, sondern von der Quantität her - auch bei den Datenverarbeitungsspezialisten. Falls in diesem Bereich nicht in Kürze die Ausbildungskapazitäten ausgeweitet werden, lassen sich Beschäftigungsnischen weiterhin nicht nutzen - mit allen negativen Begleiterscheinungen.

Außerdem muß eine Umschulungswelle erwartet werden, die die falsche Kapazitätsverteilung in unserem Bildungssystem nachträglich geradebiegen soll. Dies ist einerseits ökonomisch unsinnig, da es bessere Wege für eine zielgerichtete Ausbildung gibt. Andererseits ist es für die Betroffenen unverständlich, daß sie wegen falscher Ausbildungskapazitäten bereits in ihrer Erstausbildung aufwendige und frustrierende Umwege einschlagen müssen.