Ausbildungsgänge für Call-Center-Agenten sind ein Provisorium

Ausbildungsgänge für Call-Center-Agenten sind ein Provisorium Gesucht: Streßgestählte und fachkundige Sprachtalente

05.03.1999
Von Helga Ballauf Können Sie mit der Stimme lächeln? Freundlichkeit am Telefon ist die Basis. Längst müssen Call-Center-Agenten hohen sozialen und fachlichen Anforderungen genügen. Doch die Ausbildungswege sind nur Provisorien.

Frau S. arbeitet im Fachhändler-Call-Service einer Großbank. Bei ihr rufen Möbelverkäufer oder Computerhändler an, die gerade mit einem Kunden über Ratenzahlung verhandeln. Per Computersystem holt sich die Call-Center-Agentin die Angaben, ob der Kunde kreditwürdig ist. Wenn ja, überweist die Bank dem Händler den vollen Kaufpreis und wickelt das Ratengeschäft dann mit dem Käufer ab. Mit Sicherheit kommt es bei Frau S.'' Aufgabe nicht auf die "lächelnde Stimme" an.

Dementsprechend umfangreich sind inzwischen die Ausbildungsanforderungen. Das Europäische Zentrum für Medienkompetenz GmbH in Marl hat sowohl Call-Center-Betreiber als auch unabhängige Schulungsinstitute befragt und folgende Essentials formuliert: Erforderlich für angehende Call-Center- Mitarbeiter sind DV-Training, kaufmännische Kenntnisse - von Besonderheiten des virtuellen Zahlungsverkehrs über Vertragsrecht bis zum Datenschutz -, Wissen über Telemarketing, Fertigkeiten in Service-orientierter Kommunikation sowie ein Training-on-the-Job. Von den Interessenten werden hohe Dienstleistungsbereitschaft, Aufgeschlossenheit, sprachliche Gewandtheit, die Fähigkeit zuzuhören, Belastbarkeit und Beharrlichkeit erwartet.

Ausbildungsunternehmen und Call-Center-Betreiber waren sich einig, daß der Weiterbildungsdschungel in der Branche gelichtet werden muß. Ohne klares Ausbildungsprofil und einheitliche Qualifikationsstandards geht das nicht.

Tatsächlich sind die Angebote an internen wie externen, häufig mit Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanzierten Call-Center- Schulungen kaum noch zu überblicken, geschweige denn in ihrer Qualität zu beurteilen. Von Rostock bis München bieten die regionalen Industrie- und Handelskammern (IHK) eigene Zertifikate für Call-Center-Agenten an. Die IHK Düsseldorf hat beispielsweise gerade den ersten Kurs für das mittlere Management in der Branche, für Teamleiter in Call-Centern, gestartet.

Ein wenig Übersicht will die Call-Center Akademie in Nordrhein- Westfalen schaffen, in der IHKs und freie Bildungsträger in der Region zusammengeschlossen sind. Für das Zertifikat "Call-Center- Agent" wird ein sechswöchiges, 240 Stunden umfassendes Trainingsprogramm empfohlen. Die fünf Module entsprechen den bereits genannten Essentials: von Softwarekenntnissen über kundenorientierte Kommunikation bis zur praktischen Umsetzung des Gelernten unter Anleitung.

Gerade bei der Vorauswahl von Personal und Schulungsteilnehmern klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Call-Center- Betreiber klagen einerseits, daß Langzeitarbeitslosen häufig das richtige Gespür für den Telefonkunden abgehe, daß sie nur über mangelhafte Servicequalitäten verfügten. Da helfe auch die beste Schulung nichts. Andererseits merken die Manager der Hotlines, die bisher ihren Betrieb mit nur kurz angelernten, pfiffigen Studenten am Laufen gehalten haben, daß die geforderte hohe Flexibilität der Beschäftigten zum Nachteil werden kann. Spätestens dann, wenn sich die hervorragend eingearbeiteten Telefonagenten kurz vor dem Hochschulexamen verabschieden. Laut einer Emnid-Studie vom vergangenen Jahr haben in Deutschland rund 40 Prozent aller Call- Center-Mitarbeiter Abitur oder ein abgeschlossenes Studium. Eine Zahl, die auch verdeutlicht, wie viele Studenten auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen.

Die Erkenntnis wächst, daß nur solche Hotlines auf Dauer die Servicequalität aufrechterhalten können, die einen festen Stamm gut geschulter und angemessen bezahlter Mitarbeiter pflegen. Die regelmäßige professionelle Betreuung und Nachschulung der Call- Center-Agenten gewinnt an Bedeutung: Dabei geht es weniger darum, in Kursen vermitteltes Wissen aufzufrischen. Vielmehr legen die Arbeitgeber Wert darauf, daß in der Alltagspraxis Routinefehler vermieden, spezifische Verhaltensweisen am Telefon, die nicht unbedingt dem persönlichen Repertoire eines jeden Mitarbeiters entsprechen, immer wieder in reflektierten Spielsituationen geübt werden und daß die Agenten Unterstützung im Umgang mit schwierigen Klienten erhalten.

Die derzeitigen Qualifizierungsansätze im Boomgeschäft Call-Center sind ein Provisorium. Zwischen zweihundert- und dreihunderttausend Arbeitsplätze soll es bis zur Jahrtausendwende in diesem Tätigkeitsfeld geben. Geregelte Aus- und Weiterbildungswege sind nötig. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Berlin will eine bundesweite wie eine regionale Studie in Mecklenburg- Vorpommern zu künftigen Anforderungen abwarten, bevor es eigene Vorschläge unterbreitet. Für das BIBB sind vier Wege denkbar, die gleichzeitig oder alternativ eingeschlagen werden können:

- Alle IHKs einigen sich auf eine bundesweit gültige Aufstiegsfortbildung zum Call-Center-Agenten.

- Ein eigener Ausbildungsberuf "Fachkraft für Telemarketing" wird geschaffen.

- Für Auszubildende im Bereich der kaufmännischen Berufe werden Zusatzmodule angeboten, die sie auf die Arbeit an der Hotline vorbereiten. Die Teilnahme ist freiwillig und wird im Berufsabschlußzeugnis vermerkt.

- Die Berufsbilder Industrie-, Bank- und Versicherungskaufleute werden um Pflichtbausteine zum "Telemarketing" ergänzt. Welche Schritte als nächste möglich und denkbar sind, wollen die Berliner Berufsbild-Spezialisten in diesem Sommer entscheiden.

Interessante Vorarbeiten hat die Firma Michel Medienforschung und Beratung in Essen im Auftrag der Call-Center Akademie NRW geleistet. Das Fazit lautet: Es gibt keinen Königsweg für die Qualifizierung der Telefonagenten. Entscheidend ist das betriebliche Umfeld, in dem der Kundenservice per Telefon stattfindet. Konkret: Dort, wo die Agenten die Kunden einer einzelnen Branche - wie Hard- und Software, Kreditwesen oder Versicherungen - betreuen, sollten sie einen einschlägigen Beruf gelernt haben und dazu im Hotline-Geschäft trainiert werden. Im gesamten Handelsbereich könnte das spezielle Know-how in Sachen Call-Center in bestehende Berufe - vom Kaufmann für Bürokommunikation über den Automobilkaufmann bis zum Groß- und Außenhandelskaufmann - integriert werden. Ein eigener Beruf "Telemarketing-Fachkraft" bliebe dann der richtige Weg für die 15 bis 20 Prozent der Call-Center, die Allround-Dienstleister für andere Unternehmen quer durch alle Branchen sind. Als sicher gilt, daß Weiterbildungsangebote für Quereinsteiger ihre große Bedeutung behalten.

Wo bleibt bei all dem die "lächelnde Stimme"? Eine schwierige Frage. So schwören einige Branchenbeobachter darauf, daß ein ratsuchender Anrufer sich nur schwer einem Menschen mit bayerisch oder sächsisch gefärbter Aussprache offenbaren wird. Eingängig und vertrauenserweckend dagegen sei der reine Klang eines Telefonagenten aus Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern.

Weit gefehlt, sagt dagegen die Beratungsagentur der britischen Regierung "Locate in Scotland". Sie wirbt für den europäischen Call-Center-Standort Nummer eins - Schottland - bei deutschen Kunden mit dem Slogan: "Mit Akzent auf Erfolg.

Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.