CIP - Computer-Investitions-Programm an der TU München:

Ausbildung soll am vernetzten Mikro erfolgen

07.03.1986

Studenten sollen ein möglichst breitgefächertes theoretisches Wissen erhalten. Unternehmen beklagen jedoch die geringe Praxisnähe während der Ausbildung. Ein breitangelegtes Computer-Investitions-Programm soll die Studenten im Umgang mit Hard- und Software fit machen. Gefördert wird CIP vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW).

Studenten der Technischen Universität München haben sich inzwischen daran gewöhnt, daß sie während der üblichen Vorlesungszeiten selten einen freien Bildschirm-Arbeitsplatz ergattern können. Ähnlich sieht es auch an anderen Hochschulen aus. Die Ressourcen sind viel zu gering. Folglich können Studenten während ihrer Ausbildung nicht im gewünschten Umfang an den vorhandenen Großrechnern arbeiten.

Der Umgang mit Computern ist inzwischen ein fester Bestandteil der meisten Ausbildungspläne an deutschen Universitäten und Hochschulen. Bis vor zirka drei Jahren waren es allerdings fast ausschließlich Mainframes, die dort das DV-Bild prägten. Die sprunghafte Verbreitung von Mikros und Personal Computern hat inzwischen zu einer Revision dieser Ausbildungspläne geführt. In einem auf vier Jahre angelegten Computer-Investitions-Programm - kurz CIP genannt - werden Hochschulen Geldmittel vom BMBW (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft) und von den Ländern zur Anschaffung von Hard- und Software zur Verfügung gestellt. Mit dem Ziel, den Studenten eine möglichst praxisnahe DV-Ausbildung zu vermitteln.

Während Hochschul-Rechenzentren in erster Linie der Forschung, der Erstellung von Diplomarbeiten oder Dissertationen dienen, versucht man bei CIP, den Studenten den Umgang mit dezentraler Intelligenz am Arbeitsplatz näher zu bringen. Die Rechner dürfen in diesem Fall ausschließlich zu Ausbildungszwecken eingesetzt werden. CIP sieht vor, Gerate zu verwenden, die im Leistungsspektrum zwischen mehrplatzfähigen Personal Computern an der unteren Grenze und Mikros im oberen Bereich angesiedelt sind. Ein weiteres Kriterium ist, daß ihre Funktionen über die Möglichkeiten von reinen Arbeitsplatzrechnern hinausgehen. Dazu gehört die Einbindung sämtlicher Anlagen in gemeinsame Netzwerke, wobei Mainframes, die im Timesharing-Betrieb mehrere Terminals bedienen, nicht in Frage kommen.

"Unsere Vorstellung war, Rechner zu finden, die an den oberen Grenzen des erlaubten Leistungsspektrums angesiedelt sind. Personal Computer wurden von uns ausgeschlossen, da bei diesen Rechnern mit der Vernetzung zur Zeit noch viel zu häufig Schwierigkeiten auftreten.

Die Geräte sollten sowohl standalone zu betreiben sein, als auch im Cluster arbeiten können", so Rudolf Gerold, Leiter des Informatik-Rechenzentrums der TU München und zugleich technischer Koordinator des Münchener ClP-Programms.

"Ferner müssen die Rechner den Anforderungen eines fehlerfreien Dauerbetriebs gerecht werden. Entsprechend einer Forderung des BMBW's bedeutet das unter anderem, daß die Mikros für einen wöchentlichen Einsatz von zirka 75 Stunden zur Verfügung stehen."

Der Auswahl ging eine globale Spezifikation mit sämtlichen Anforderungskriterien voraus. Sie wurde von einem Team der für den DV-Bereich verantwortlichen Mitarbeiter der Institute erstellt.

Aus der zunächst umfangreichen Hardware-Palette blieben am Ende nur wenige Modelle übrig, die sämtliche Kriterien erfüllten. Mit einem vom Institut für Informatik entwickelten Testpaket ließ sich feststellen, ob die in Frage kommenden Rechner den spezifizierten Anforderungen entsprachen. Aufgrund der Ergebnisse entschied man sich für die Cadmus-Rechner des Münchner Rechnerherstellers Periphere Computer Systeme GmbH pcs. Mit der Installation der ersten Netze wurde im Herbst 1985 begonnen. Inzwischen liegen Erfahrungswerte vor, die, wie der Leiter des Rechenzentrums bestätigt, seinen Erwartungen entsprechen. Rückblickend erinnert sich der Diplom-Ingenieur: "Erste Informationen über CIP bekamen wir im Februar 1985. Und bis heute wurden bereits an acht Instituten Rechnernetze installiert."

Die Verteilung der BMBW-Zuschüsse erfolgt abhängig von der Anzahl der Studenten an den jeweiligen Hochschulen. Dort werden wiederum die Mittel entsprechend der Anzahl der Hochschüler der einzelnen Fakultäten verteilt. In München handelte es sich im ersten Abschnitt um die Bereiche Mathematik/Informatik, Bauwesen und Baustatik, Chemie, Physik, Elektrotechnik, Maschinenbau, Architektur sowie Landwirtschaft, Gartenbau und Brauwesen, die bedacht wurden. Davon arbeiten bereits vier Fakultäten im Vollbetrieb.

Ein weiteres Kriterium bei der Entscheidungsfindung war die spätere Ausbaufähigkeit. Dazu gehörte neben der Hardware-Konsistenz ein zukunftsträchtiges und weltweit eingesetztes Betriebssystem. Man entschied sich für Unix, um unter anderem "echtes" Multitasking mit den Rechnern zu praktizieren. Außerdem ist es gerade im Hochschulbereich interessant, Programme, die an anderen Universitäten entwickelt worden sind, untereinander auszutauschen.

Die Entscheidung zugunsten von pcs-Rechnern fiel vor allem auch aus Gründen des überzeugenden Preis/ Leistungs-Verhältnisses. Zudem wurden diese Super-Mikros zusätzlichen Ansprüchen gerecht, auf die man ebenfalls großen Wert legt: schnelle Zugriffszeiten bei den Schreib-/Lesevorgängen und die Grafikfähigkeit der Bildschirme. Gerade die Bit-Map-Technik (schneller Bildaufbau) kommt hier dem Benutzer zugute, da an Technischen Hochschulen beispielsweise Grafik-Anwendungen ein wesentlicher Bestandteil der Vorlesungen sind.

Acht Fakultäten sind mit pcs-Supermikros Cadmus 9600 ausgerüstet die in unterschiedlichen Netzen eingebunden sind. Hierbei handelt es sich um fünf Netze mit jeweils fünf Arbeitsplatzrechnern, an die je zwei Bit-Map-Terminals mit Maus angeschlossen sind. Die drei weiteren Netze sind mit vier, sechs und sieben Workstations ausgestattet, an denen wiederum je zwei Bit-Map-Terminals hängen - insgesamt 84 Rechnerarbeitsplätze.

Bestückt sind die Cadmus-Rechner der Serie 9600 mit dem leistungsfähigen und schnellen 16/32-Bit-Mikroprozessor MC 68010. Dieser Prozessortyp ist mittlerweile Standard im Mini- /Mikrobereich. Zusätzlich wurde ein Floating-Point-Prozessor eingebaut.

Bei den installierten Rechnern unterscheidet man zwischen Arbeitsplatzstationen mit eigenem Plattenspeicher beziehungsweise ohne. Stationen ohne Massenspeicher -Diskless-Node genannt - sind nur mit einem FD-Laufwerk ausgestattet, haben allerdings zu jedem Zeitpunkt auf alle im Netz integrierten Speichermedien Zugriff. Die Hauptspeicherkapazität dieses Typs ist 1 MB. Eine Erweiterung des RAMs ist möglich. Sie bewirkt eine wesentliche Leistungssteigerung. Durch den Einsatz von Diskless-Nodes lassen sich die Kosten erheblich senken.

In jedem Netz sind weiterhin zwei Cadmus-Rechner mit 2 MB RAM integriert, die über einen eigenen Plattenspeicher mit 74 MB verfügen. Zur Datensicherung steht ein Kassettenlaufwerk (Streamer) mit 40 MB bereit. Diese Mikros übernehmen gleichzeitig die Funktionen von File-Servern. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit der Rechner liegt bei 0,7 bis 0,8 MIPS (Mega Instructions Per Second).

Munix/Net bereits vorhanden

Der Forderung nach Vernetzung der Mikros wurde man an der TU München durch die Installation von Munix/Net - basierend auf dem Ethernet-Standard - gerecht. Ausschlaggebend für diesen Entschluß war ein bereits vorhandenes Ethernet-LAN am Institut für Informatik. Mit diesem Netz hatte man schon positive Erfahrungen über einen längeren Zeitraum sammeln können. Vor allem erwies sich die Stabilität als sehr zuverlässig.

Jeder Teilnehmer des Munix/Net kann auf alle im Netz eingebundenen Betriebsmittel zugreifen, als wären sie lokal vorhanden. Dieses erreicht man durch ein virtuelles Dateisystem. Die lokalen Dateisysteme werden über eine Superroot - ein virtuelles Directory - vernetzt. über dieses Verzeichnis ist damit von jedem Knoten aus der Zugriff auf alle im Netz existierenden Dateisysteme und Geräte möglich.

Nach Einschalten eines Netzknotens wird das Betriebssystem automatisch geladen. Diskless-Nodes-Arbeitsplätze mit eigener CPU, aber ohne eigenen Plattenspeicher - ordnen sich selbsttätig einem File-Server zu. Die Übertragungsrate im Netz beträgt 10 Megabit pro Sekunde.

Durch das Ressource-Sharing ist allen Teilnehmern der Zugriff auf die im Netz integrierte Peripherie erlaubt. So lassen sich teure Geräte wie beispielsweise Plotter oder Laserdrucker mehrfach verwenden.

Bit-Map-Terminals zur grafischen Darstellung

Das am Institut für physikalische Chemie installierte LAN besteht aus fünf Arbeitsplatzrechnern und fünf Diskless-Nodes. Bereits im Wintersemester 1985 wurde mit der Ausbildung am Rechner begonnen, und zwar mit einem Pascal-Kurs. Studenten sollen dadurch erste Erfahrungen im Umgang mit einem Mehrplatzsystem sammeln. Die entwickelten Programme helfen bei der Losung der Praktika-Aufgaben. Für die kommenden Semester sind auch Fortran-Kurse geplant. Weiterhin soll der Umgang mit Applikationsprogrammen und dem Betriebssystem erlernt werden.

"Wir gehen davon aus, daß der überwiegende Teil der Studenten nach Beendigung des Studiums an verteilten Systemen arbeiten wird" erläutert Dr. Heinrich Selzke, Leiter des fortgeschrittenen Praktikums des Instituts. Der Haupteinsatz ist seiner Meinung nach allerdings nicht im Labor zu sehen, sondern in der Ausbildung am Rechner.

Den Studenten stehen Lernprogramme - CAI - Computer Aided Instructions - zur Verfügung. Der Umgang und die Handhabung von Hard- und Software ist im Selbststudium erlernbar. Entsprechend den für die einzelnen Fakultäten spezifischen Aufgabenstellungen existieren Softwarepakete, die den Studenten die rein aufgabenbezogene Bearbeitung näher bringen sollen. So zum Beispiel am Institut für physikalische Chemie die Molekularberechnungen. Die ermittelten Werte lassen sich in grafischer Form aufbereiten. Aus diesem Grund spielt die Installation von Bit-Map-Terminals eine große Rolle.

Ausbildung und Übungen zu den Vorlesungen werden mit dem installierten Rechnernetz durchgeführt. Unterstützend wirken bei den Vorlesungen Computer-Praktika. Man unterteilt sie in zwei Gebiete: in Programmentwicklung und die Auswertung der Daten. Die Steuerung von Experimenten wird nicht mit den Rechnern angestrebt.

"Programme, die auf einem Cadmus-Rechner entwickelt worden sind, lassen sich problemlos auf die Systeme übernehmen, die die Experimente steuern," lautet die Aussage von Selzke. Positiver Nebeneffekt: Der Umgang mit den Mikros erleichtert den Studenten die nachfolgende Arbeit an den Experimentrechnern.

Die Erwartungen sind hoch gesteckt. Durch den Einsatz von Rechnersystemen soll eine qualitative Verbesserung der Ausbildung erreicht werden. Die Studenten lernen, mit Super-Mikros in Netzen umzugehen. Die Vernetzung hat den Vorteil, daß Studenten nicht mehr wie bisher üblich auf einen bestimmten Arbeitsplatz warten müssen, sondern sich wahlweise an einen freien Eingabebildschirm setzen können. Tests ergaben, daß bei zehr, im Netz befindlichen Arbeitsplätzen trotz einer sich verlangsamenden Arbeitsgeschwindigkeit ein problemloser Multitasking-Betrieb möglich ist. So können beispielsweise an allen zehn Geräten unterschiedliche Aufgaben laufen.

*Jürgen Koch ist EDV-Jounalist in München.