Neue Aufzeichnungstechniken an der Schwelle zum Massenmarkt

Aus den IBM-Labors: Speicher der Zukunft

09.01.2004
MÜNCHEN (CW) - Im Jahr 2002 hat jeder Mensch im Schnitt 800 MB aufgezeichnete Daten produziert. Das entspricht der Datenmenge von zehn Regalmetern Büchern. Vor allem in den letzten Jahren ist das Speichervolumen exponentiell angestiegen. Um mit diesem Trend Schritt zu halten, haben Entwickler die Speichertechniken rasant vorangetrieben. Gerade in jüngster Zeit sprengten sie immer wieder scheinbar die physikalischen Grenzen, etwa mit Hilfe der Nanotechnik.

In den 80er Jahren wurden große Platten gebaut, die 1991 von Raid-Architekturen abgelöst wurden. Damals zeichnete man mit dem induktiven Verfahren auf, bei dem die Anzahl und die Dicke der Kupferspulen des Aufzeichnungssystems so ausgelegt sein mussten, dass sowohl Schreiben als auch Lesen möglich waren. Mit der von IBM entwickelten und bis heute von allen Herstellern verwendeten magnetoresistiven (MR) Aufzeichnung kam die Verwendung von Dünnfilm in Form einer Metalllegierung auf den Markt und läutete die Zeit der Miniaturisierung ein. Heute werden 3,5-Zoll-Platten in Subsystemen eingesetzt und 2,5-Zoll-Platten in PCs und Laptops. Innerhalb von nur zehn Jahren konnte mit der MR-Technik die Aufzeichnungsdichte von 16 Millionen Bits auf dem Quadratzentimeter auf über eine Milliarde Bits pro Quadratzentimeter gesteigert werden.

Da die größte Problematik heutiger Laufwerke (mit klassischer MR-Technik) die entstehende Wärme ist, müssen neue Möglichkeiten entwickelt werden, damit Laufwerke trotz hoher Hitzeentwicklung vernünftig eingesetzt werden können. Daran arbeitet die IBM Storage Group und entwickelte die "Ice-Cube-Brick"-Technik. Dabei werden zwölf 120-GB-Laufwerke in einen kleinen Kühlschrank, den Ice-Cube, gepackt. Die Hitze, die der bestückte Kühlschrank im Betrieb entwickelt, wird über ein "Heatpipe-Verfahren" abgeleitet. Laufwerke im Inneren arbeiten dann in einer Temperaturumgebung zwischen 20 und 30 Grad Celsius - je nach Drehgeschwindigkeit. "Durch diese relativ niedrige Betriebstemperatur erhöht sich der Zuverlässigkeitsgrad der Laufwerke drastisch", erklärt Kurt Gerecke, Produktexperte für Speichertechnologien bei IBM. Jeder Ice-Cube hat seine eigene Heatpipe, seine eigene Stromversorgung und in jeder Steckverbindungsrichtung einen "Capacitive Coupler". Die Ice-Cubes können dreidimensional zu größeren Würfeln zusammengesteckt werden. Die Stromversorgung eines Speicherkühlschranks reicht aus, um im Notfall den danebengeschalteten mitzubedienen. Die nutzbare Kapazität eines Ice-Cubes, der mit 120-GB-Platten mit 2,5 Zoll bestückt ist, beträgt 1,2 Terabyte.

Feenstaub und Holografie

Der Hitzeentwicklung wirkt auch eine andere Entdeckung entgegen, die außerdem die Aufzeichnungsdichte noch einmal erhöht: 1999 entdeckte das IBM-Forschungslabor in Almaden den paramagnetischen Effekt. Er bewirkt über die Stabilisierung von zwei nahezu gleichzeitig erzeugten Bits eine Steigerung der Aufzeichnungsdichte auf über fünf Milliarden Bits pro Quadratzentimeter. Diese Technik ist heute in abgeänderter Form als AFC-Technik (Anti Ferro Magnetically Coupled Recording) auf dem Markt, auch bekannt unter dem Namen Pixie-Dust (englisch für "Feenstaub"). Dabei werden zwei Dünnfilmschichten durch einen Ruthenium-Layer mit einer Breite von sechs Angström getrennt. Wegen der Beimischung von Bor wird die Platte weicher und erzeugt trotz schnellerer Umdrehung weniger Wärme. Außerdem kann mit der heutigen MR-Schreib-Lese-Technik weitergearbeitet werden, denn die Miniaturisierung dieser Köpfe ist so weit gediehen, dass die Aufzeichnungsdichte in noch nicht absehbare Dimensionen vorangetrieben werden kann. IBM experimentiert bereits mit Blockgrößen von 4000 Bytes und Rotationsgeschwindigkeiten von 30000 Umdrehungen in der Minute. Pixie-Dust befindet sich seit 2001 in der Massenproduktion und wird in die zukünftigen IBM-"Microdrives" mit einer Kapazität von 4 und 6 GB auf der Größe einer Zwei-Euro-Münze integriert.

Der größte Sprung in der Entwicklung von Speichertechnologien steht uns nach Ansicht von Gerecke allerdings noch bevor. So kommt die Holografiespeicherung voraussichtlich in den nächsten zwei Jahren zur Produktionsreife und macht wesentlich höhere Kapazitäten möglich. Das Prinzip der Holografiespeicherung beruht auf Lasertechnik, wobei heute in der Entwicklung mit dem "blauen Laser" und dem "Raman Laser" gearbeitet wird. Beim Schreiben wird ein Laserstrahl als Datenquelle verwendet. Mit Hilfe eines Referenzlasers mit anderer Frequenz wird zusammen mit dem Quell-Laser auf einem gut zu belichtenden Material ein so genanntes Interferenzfeld ("Hologramm") erzeugt. Ein Hologramm kann heute bis zu 300000 Schnittstellen und somit bis zu 300000 Bits widerspiegeln. Als zu belichtende Materialien werden anorganische Kristalle oder organische Polymere eingesetzt.

Speichern auf Tesafilm

Welches Material dann tatsächlich in einer Massenproduktion zum Einsatz kommt, wird der Kostenfaktor entscheiden. Für den Consumer-Markt sind durchaus billige, gut zu belichtende Materialien wie beispielsweise Tesafilm oder das Gummimaterial eines Luftballons denkbar. Im IBM-Forschungslabor in Almaden existiert bereits eine Laborversion einer voll funktionsfähigen holografischen Platte mit einer Kapazität von einem Terabyte.

Die Einsatzmöglichkeiten fangen bei Speicherchips an und gehen über klassische Platten als wiederbeschreibbares Medium und CD-ROMs bis zur Massenarchivhaltung. Laut Gerecke dürfte sich als Standard das CD-Format durchsetzen, das in der holografischen Version allerdings 50 bis 150 GB fassen wird und eine Lebenszeit von mindestens 100 Jahren hat. Die Hersteller dürften mit Elan die Marktreife der neuen Speicher betreiben, da deren Produktion nur ein Zehntel dessen kostet, was eine Vier-Layer-DVD verschlingt.

Lochkarte der Zukunft

Unter der Leitung von Nobelpreisträger Gerd Binnig arbeiten IBM-Forscher im schweizerischen Rüschlikon mit Hochdruck an der Entwicklung einer anderen Technik, der "Millipede"-Speicherung. Sie soll Speicherdichten von bis zu 500 Milliarden Bits per Quadratzentimeter ermöglichen. Das entspricht der Datenmenge von zirka 25 DVDs oder 25 Millionen Buchseiten auf der Größe einer Briefmarke. Die extreme Dichte von einem Terabit pro Quadratzoll wird mit Hilfe der Nanomechanik erzielt: Mit Tausenden von feinsten Spitzen "schreibt" der so genannte Millipede (Tausendfüßler) winzige Vertiefungen, die einzelne Bits repräsentieren, in einen dünnen Film aus Kunststoff.

Das Potenzial der Millipede-Technik wird von Wissenschaftlern als sehr hoch eingeschätzt: "Da Nanometer-scharfe Spitzen einzelne Atome adressieren können, sind Verbesserungen weit über den Terabit-Meilenstein hinaus möglich", prognostiziert Nobelpreisträger Binnig. "Während die heute eingesetzten Speichertechnologien allmählich an fundamentale Grenzen stoßen, steht unser nanomechanischer Ansatz erst am Anfang und hat ein Entwicklungspotenzial für tausendfach höhere Speicherdichte."

Temperaturunterschiede nutzen

Für das Lesen, Schreiben, Löschen und Überschreiben werden die Spitzen mit dem nur wenige Nanometer dünnen Polymerfilm auf dem Siliziumsubstrat in Kontakt gebracht. Das Schreiben von Bits erfolgt durch Aufheizen des in den Kantilevern (Federzungen aus Silizium) integrierten Widerstands auf 400 Grad Celsius. Die dadurch ebenfalls aufgeheizte Spitze weicht das Polymer auf, sinkt ein und hinterlässt eine Vertiefung. Zum Lesen wird die Temperatur des Widerstands auf 300 Grad Celsius reduziert. Bei dieser Temperatur wird das Polymer nicht aufgeweicht. "Fällt" nun die Spitze in eine Vertiefung, kühlt sich der Widerstand wegen des besseren Wärmetransports leicht ab, was zu einer messbaren Veränderung des Widerstands führt. Um Daten zu überschreiben, ätzt die Spitze versetzt Vertiefungen in die Oberfläche. Deren äußere Ränder überlappen die alten Vertiefungen und löschen so die alten Daten. "Mehr als 100000 Schreib- und Überschreibzyklen haben den Nachweis erbracht, dass sich das Konzept für einen wiederbeschreibbaren Speichertyp eignet", versichert Speicherexperte Gerecke.

50 Jahre Bandtechnik

Eingesetzt in Flash Memories, mobilen Geräten wie PDAs, Mobiltelefonen und multifunktionalen Armbanduhren kann Millipede diesen Produkten enorme Speicherkapazität verleihen. Darüber hinaus denkt IBM bereits über andere mögliche Anwendungen nach, beispielsweise die Lithografie im Nanometerbereich, mikroskopische Abbildungen von relativ großen Bereichen oder atomare und molekulare Manipulation. Gerecke ist sich sicher, dass Millipede-Speicher etwa ab 2005 herkömmliche Festplatten ablösen werden, denn neben der höheren Speicherkapazität verfügen sie noch über andere Vorteile: Sie entwickeln nahezu keine Wärme, nehmen nur wenig Strom auf, sind sehr schockresistent und eignen sich deshalb vorzüglich für den Einsatz in Mobilgeräten.

Für den Bandspeicherbereich setzt IBM nach 50 Jahren Erfahrung mit dem Langzeitmedium jetzt auf die patentierte "Flat-Lap"-Kopftechnik, bei der keine Berührung zwischen Band und Kopf stattfindet. "Die Problematik von bisherigen Bandspeichersystemen bestand stets in den verheerenden Folgen von Staubpartikeln, die eine Vielzahl von Spuren zerstören können", erklärt Gerecke die Neuentwicklung. Die Flat-Lap-Kopftechnik verbessert das Schreib-Lese-Signal zwischen Kopf und Band, weil eine wesentlich höhere Induktion ermöglicht wird. Vor und hinter der Kopfreihe wird zusätzlich ein Unterdruck erzeugt, der Staubpartikel, die sich unvermeidbar ansammeln, absaugt. Dadurch ist die Qualität der erzeugten Bits wesentlich höher, und die Möglichkeit, die Daten wieder zu lesen, steigt enorm. Außerdem wird so sichergestellt, dass selbst bei Langzeitlagerung von Bändern nahezu kein Impulsverlust auftritt. IBM erwartet, dass sich die Lebenszeit von Bändern auf 60 bis 100 Jahre steigern lässt.

Dank einer neuartigen Beschichtung der Bänder, die in Kooperation mit Fuji-Film entwickelt wurde, ist das aus der Festplattentechnik bekannte PRML-Encoding nun auch bei Tapes möglich. Die Flat-Lap-Kopftechnologie kam erstmalig in vollem Umfang bei LTO 2 zur Anwendung und ist in weitergehender Form auch in IBMs neuem "3592"-Laufwerk implementiert. Gerecke kündigt an, dass Ende März 2004 eine Worm-Version (Worm = Write once read many) des Tapes auf den Markt kommen wird. (kk)

Aufzeichnungsdichte

MR-Technik:

1 Milliarde Bit pro Quadratzentimeter.

Hologafische Speicher:

30 Milliarden Bit pro Quadratzentimeter.

Millipede-Speicher:

500 Milliarden Bit pro Quadratzentimeter.