"Aus dem Informationswust das Richtige selektieren"

25.02.1977

Mit Klaus Sprick, Technischer Leiter der dpa (Deutschte Presse-Agentur).Hamburg, sprach CW-Redakteurin, Nora Hörmann

- Dieser Tage werden die restlichen dpa-Landesbüros mit intelligenten Bildschirmen ausgestattet. Damit wird: der Kreis geschlossen zu einem rechnergesteuerten Nachrichtenvermittlungs- und Redigiersystem, über das alle dpa-Stellen miteinander kommunizieren können. Sie gelten als der "geistige Vater" dieser komplexen Lösung. Wie kam es dazu?

Bereits Ende der 60er Jahre haben wir festgestellt, daß wir mit den herkömmlichen Mitteln wie Papier und Bleistift, Fernschreiber und Schreibmaschine der ständig steigenden Informationsflut nicht mehr Herr werden konnten. Es mußten neue Mittel gesucht, neue Wege beschritten werden, um aus dem Informationswust für unsere Kunden das jeweils Richtige zu selektieren und entsprechend zu redigieren. Anfang der 70er Jahre fanden wir dann die Hardware, mit der zunächst ein Grundstein geschaffen wurde für unsere heutige Lösung: Das System ITT 6400 ADX zur elektronischen Nachrichtenvermittlung mit Speicher- und Abrufmöglichkeit in unserer Hamburger Zentrale. Diese Elektronische Rechnergesteuerte

Nachrichtenvermittlungs-Anlage "ERNA" bleibt auch künftig Kernstück des dpa-Nachrichten-Kommunikationenssystems.

Gleichzeitig suchten wir auf dem Markt nach Bildschirmgeräten als Medium zum Selektieren und Redigieren von Nachrichten. Computer und Bildschirm kombiniert sind das optimale Instrument, um Informationen schnell und problemlos nach Prioritäten geordnet und nach Adresscodes sortiert an die Redaktionsressorts in unserer Zentrale auszugeben und zum Redigieren am Bildschirm bereitzuhalten.

- Wie aber fanden Sie die Geräte die heute in den dpa-Landesbüros stehen?

Nach Einführung des computergesteuerten Systems in der dpa-Zentrale suchten wir nach "Minis" für unsere Landesbüros. Voraussetzung hierfür war, daß solche Geräte nicht nur den Bildschirm und die Tastatur steuern, sie mußten komplexen Kommunikationsaufgaben gewachsen sein. Nach umfangreichen Untersuchungen fanden wir einen amerikanischen Hersteller, der bereit war, den von uns erstellten umfangreichen Anforderungskatalog zu akzeptieren: Die Firma Megadata baute speziell auf die dpa-Belange zugeschnittene "Nachrichtenerfassungs- und Redigiersysteme". Diese mikroprozessorgesteuerten, intelligenten Bildschirme werden heute in allen dpa-Regionalbüros eingesetzt.

- Welche Vorteile dieser Lösung können Sie bereits heute feststellen?

Durch die Einsparung der manuellen Arbeitsgänge wird der Informationsumschlag beträchtlich beschIeunigt, die Sicherheit bei der Nachrichtenübermittlung hat sich wesentlich erhöht - nicht zuletzt durch das Vermeiden von Übertragungsfehlern, da der zuständige Redakteur die Nachricht so absenden kann, wie er sie haben will

- Welche echten Kosteneisparungen ergeben sich daraus?

Wir erwarben keine bedeutende Kostenersparnis - uns reicht es, wenn das System sich selbst trägt. Die Einsparungen im Personalbereich ergeben sich nur durch die natürliche Fluktuation, es werden keine Mitarbeiter entlassen.

- Wie viele Ihrer Mitarbeiter arbeiten heute bereits an den Bildschirmen?

Alle, die in den dpa-Büros beschäftigt sind, also sowohl Redakteure als auch Schreibkräfte, für die wir eine neue Arbeitsplatzbezeichnung geschaffen haben: Infotypisten. Die Informationen unserer Korrespondenten von "draußen" gehen nach wie vor per Fernschreiber oder Telefon ein und werden dann in das System eingegeben.

- Wie wirkt sich die neue Arbeitsweise auf das Betriebsklima aus? Gibt es Redakteure, die sich durch das Arbeiten am Bildschirm zum Datentypisten abgewertet fühlen?

Ich glaube nicht. Dieses System wurde von den Redakteuren sehr gut aufgenommen. In der Zentrale sitzen zur Zeit vor allem unsere Dienstleiter der Bereiche In- und Ausland an den Displays und selektieren Meldungen, die ihnen von den anderen Büros zugeleitet werden. Mit dem Bildschirm geht das wesentlich schneller, übersichtlicher und leiser als bisher. Vorher landeten nämlich Stapel von Fernschreiben auf ihren Schreibtischen. Der Fernschreiber lebt zwar noch, aber er spuckt nicht mehr wahllos Papier aus. Er ist heute integriert in das Nachrichtensystem und gibt dem Redakteur per Knopfdruck die von ihm gewünschte Information auf Papier aus. Diese Möglichkeit ist für den Mitarbeiter sehr wütig, um ihm das Gefühl zu nehmen, er sei nur auf ein einziges Gerät angewiesen. Schließlich ist der Bildschirm ausgesprochen arbeitsplatzfreundlich, vorausgesetzt natürlich, das Gerät erfüllt die ergonomischen Forderungen.

- Eine Schicht, das sind normalerweise acht Stunden - allgemein wird aber von den Gewerkschaften und Arbeitsmedizinern gefordert, daß nicht mehr als vier Stunden hintereinander am Bildschirm gearbeitet werden darf. Wie vereinbart sich das?

Während meines Studiums habe ich auch ein Fach "Arbeitspsychologie und Physiologie" belegt Schon damals - vor mehr als 15 Jahren - wurde gelehrt, daß keine Tätigkeit ununterbrochen ohne Pause länger als vier Stunden ausgeübt werden sollte. Darüber hinaus gibt es ja auch eine gesetzliche Regelung in dieser Richtung. Das ist

also nichts Neues. Nur ist es unsere feste Überzeugung, daß sich die nur auf die ununterbrochene Tätigkeit bezieht und nicht etwa auf einen normalen Acht-Stunden-Tag in einer Redaktion.

- Wie lange hat es gedauert, Ihre Mitarbeiter auf die neue Arbeitsweise umzuschulen?

Wichtig vor Einführung eines neuen Systems ist, die Mitarbeiter entsprechend frühzeitig mit Informationen er diese Neuerung zu versorgen, sie an Entscheidungen zu beteiligen und durch praktische und theoretische Vorbereitung auf die neue Tätigkeit einzustellen Unsere Erfahrungen haben gezeigt, daß die Mitarbeiter innerhalb weniger Stunden mit diesem Gerät vertraut waren, es innerhalb von Tagen beherrschten, innerhalb weniger Wochen perfekt anwendeten. Auch ältere Kollegen konnten sich sehr gut an das neue Gerät gewöhnen.

- Wen trifft die Verantwortung, wenn heute Pannen bei der Nachrichtenübermittlung auftreten, wenn durch Hard- oder Softwarefehler wichtige Meldungen verlorengehen?

Verluste dieser Art gibt es nicht Genausowenig wie Versicherungen dagegen. Verantwortlich wäre der zuständige Technische Leiter der dpa - also ich. Obwohl wir uns für sehr fortschrittlich halten, gilt das Prinzips keine neuen Technologien einzuführen, ohne gleichzeitig eine entsprechende Absicherung mit einzuhauen. So auch bei diesem System: Per Knopfdruck kann eine andere Ausgabeschnittstelle gewählt werden, die dem Benutzer bei Ausfall eines wichtigen Teiles im Gesamtsystem - also beispielsweise der Steuereinheit, der Diskette oder der Leitungssteuerung - ermöglicht, auf unser Reserve-System umzuschalten. So kann ein Betrieb aufrechterhalten werden, der zumindest dem entspricht, wie er bisher mit den herkömmlichen Mitteln erreicht wurde.

- Wie sehen Sie denn allgemein die Zukunft von Zeitungsverlagen oder Agenturen? Wird man künftig auch dort ohne derartige Systeme nicht mehr auskommen können?

Das Redigieren am Bildschirm ist ohne Zweifel für die Zukunft nicht mehr wegzudenken Auch Zeitungsverlage werden solche Systeme einführen, allerdings in abgeänderter Form, denn die Verhältnisse und der Bedarf liegen dort ganz anders. Unser Schwerpunkt ist die interne Kommunikation, da in den dpa-Büros praktisch jede Minute "Redaktionsschluß" ist.