Auguren prophezeien Windows NT im naechsten Jahr einen Home Run Novells Strategiewechsel zehrt am Vertrauen der Netware-User

10.11.1995

MUENCHEN (CW) - Offen ist derzeit das Rennen um den Markt der Netzwerk-Betriebssysteme. Blieb Microsoft in der Vergangenheit technologisch oft hinter Novell zurueck, so hat die Gates- Mannschaft anscheinend in Sachen NT-Server mittlerweile ihre Hausaufgaben gemacht. Analysten gehen davon aus, dass 1996 die Zahl der NT-Installationen erstmals Netware ueberholen duerfte.

Allerdings hat Microsoft dies nicht nur der verbesserten NT- Technologie mit einem neuen Microkernel zu verdanken, sondern auch dem Strategie-Hickhack im Hause Novell. So zeigen sich zahlreiche Anwender verunsichert und sind nicht mehr bereit, die Zukunft ihres Enterprise Network auf Netware zu bauen.

Moses Sun, Netzbetreuer des Ocean Drilling Program an der Texas A&M University und langjaehriger Netware-Kunde, attestiert dem Unternehmen ein Defizit in Sachen Glaubwuerdigkeit. "Wenn Novell etwas ankuendigt", so Sun, "dann fragen wir uns nicht mehr, ob sie moeglicherweise mit Verspaetung ausliefern - sondern wir ueberlegen, ob das Produkt ueberhaupt entwickelt wird." Andere Anwender sind zwar nicht ganz so pessimistisch, doch viele nehmen gegenueber Novell erst einmal eine abwartende Haltung ein.

Die Frage ist letztlich, ob es Novell gelingt, die User von dem Prozess-Management-orientierten Ansatz von CEO Bob Frankenberg zu ueberzeugen. Dieser bedeutet einen Bruch mit der Strategie seines Vorgaengers Ray Noorda. Zumal im Netzwerkgeschaeft die strategischen Kaufentscheidungen im wesentlichen auf Vertrauen in den Hersteller beruhen, von dem nicht nur das Produkt, sondern gleichzeitig auch die Langzeitvision erworben wird.

Frankenberg stoppt zahlreiche Projekte

In diesem Zusammenhang hat Novell, so Sun, ein Problem: Unter Noorda wollte das Unternehmen mit Microsoft in jedem Bereich konkurrieren und kuendigte reihenweise neue Produkte an, die unter Frankenberg wieder gestoppt wurden. Fuer den Netzadministrator muss Novell deshalb seine Glaubwuerdigkeit erst wieder unter Beweis stellen.

Das fehlende Vertrauen der Anwender ist fuer Novell derzeit besonders gefaehrlich, da Microsofts NT Server allmaehlich salonfaehig wird. Die Marktforscher von IDC und Dataquest gehen sogar bereits davon aus, NT werde im naechsten Jahr Netware bei den Neuinstallationen ueberrunden. Allerdings steht Microsoft vor dem Problem, inwieweit die Anwender bereit sind, ein funktionierendes Netware-Netz zugunsten von NT abzuschalten. Der Erfahrungsschatz der eigenen Supportmitarbeiter mit Netware, so Mark Myers, Netzbetreuer bei Dreyers Grand Ice Inc. in Oakland, ist eine Ressource, die man nicht einfach aufgibt. Einen anderen Punkt spricht Andy Reho, Associate Department Head fuer verteilte Systeme bei Mitre Corp. in Mc Lean, an:

"Microsoft muss erst noch zeigen, dass NT auch fuer Unternehmen mit mehr als 500 Clients geeignet ist." Ebenso habe die Gates-Company noch nicht bewiesen, ob NT mit Datenbanken im Terabyte-Bereich zurechtkomme und grosse Symmetric-Multiprocessing-Applikationen managen koenne.

Doch die Versuchung, NT einzusetzen, waechst, wie selbst Myers zugibt, wenn er an die Integration zwischen den Desktop- Anwendungen der Gates-Company und Exchange sowie anderen Server- Applikationen aus dem gleichen Haus denkt. Letztlich duerfte der Erfolg von NT im Enterprise Networking, wie die Analysten einschraenken, von Microsofts Ueberzeugungskraft bei den Anwendern abhaengen, in Zukunft auf NT zu setzen, um weniger Kosten zu haben.