Personalisierung/Personalisierung erfordert strategische Vorarbeit

Auf die Datenmodellierung kommt es an

18.05.2001
Die Zeit der schnellen Mark im Web ist vorbei. Wer heute langfristige Kundenbeziehungen im Internet aufbauen und erhalten will, muss mehr bieten als die Auswahl von Themen-Channels oder das Festlegen der Hintergrundfarben. Anspruchsvolle Personalisierung verlangt eine umfassende Datenmodellierung. Von Manfred Hild*

Noch heute beschränkt sich der Großteil der weltweit rund 200000 kommerziell betriebenen Websites darauf, mehr oder weniger statische Inhalte zu präsentieren. Ändert sich der Inhalt einer Page nicht von Zeit zu Zeit, langweilt sich der Besucher und wendet sich möglicherweise der Konkurrenz zu. Daher haben die großen Betreiber damit begonnen, wechselnden Content zu produzieren. Für den Mittelstand gibt es die Möglichkeit, vorproduzierte Inhalte beim Content Syndicator einzukaufen und im eigenen Layout in die eigene Site einzubinden. Darüber hinaus versehen Firmen ihre Online-Seiten mit Personalisierungsfunktionen. Sie haben erkannt, dass Exklusivität und Individualität als Instrument der Kundenbindung unverzichtbar sind. Dies gilt in besonderem Maße für das Web, denn der Kunde findet im Vergleich zur realen Welt weder menschliche Ansprechpartner noch ein greifbares Produkt vor. Andererseits bieten sich im Internet Möglichkeiten, die beispielsweise ein Einzelhandelsgeschäft nur schwer ausschöpfen kann: Site-Betreiber können Informationen schneller an den Mann bringen. Zumeist findet der Besucher die Mail-Adresse des richtigen Ansprechpartners, falls noch Fragen offen bleiben.

Das Web-Portal Msn.de bietet einfache Personalisierungsfunktionen. Der Site-Besucher darf auswählen, welche Informationskanäle er in welchem Layout und welcher Hintergrundfarbe sehen möchte, wenn er das nächste Mal auf die Site kommt. Realisiert wurde dieses Feature über ein Web-Content-Management-System, das diese Einstellungen beim nächsten Aufruf der Site berücksichtigt. Zur Identifikation des Benutzers wertet Msn.de in einem Cookie gespeicherte Informationen aus.

Einen Schritt weiter geht Amazon.com. Diese Shopping-Site gilt als Vorreiter für personalisierte Online-Angebote. Aus dem Kaufverhalten aller Kunden werden regelmäßig Profile gebildet, die als Grundlage für weitere Empfehlungen dienen: "Kunden, die dieselben Bücher gekauft haben wie Sie, haben auch noch folgendes Buch gekauft ..." Während die Login-Prozedur technisch nicht anspruchsvoller ist als bei Msn.de, kann Amazon.com durch die Sammlung von Transaktionsdaten seiner Kunden auf einen Informationsbestand zugreifen, der Grundlage des eben beschriebenen Collaborative Filtering ist. Leider ist die Ableitung der Information aus früheren Käufen mitunter störend. Wer ein umfassendes Fremdwörterlexikon gekauft hat, möchte sicher in den nächsten Tagen nicht unzählige weitere Werke dieser Kategorie vorgeschlagen bekommen.

KundenbindungEine andere Variante der Personalisierung hat Fleurop.de mit dem Erinnerungsdienst realisiert. Hier kann der Kunde Termine eintragen, zu denen er per Mail erinnert werden möchte. Was auf den ersten Blick trivial anmutet, ist ein probates Tool zur Kundenbindung, da diese Form der Interaktion einen weiten zeitlichen Horizont abdeckt. Da die Mails an persönliche Termine erinnern, haben sie einen deutlich höheren Stellenwert beim Kunden als Massen-Mailings. Allerdings wirft dieses Vorgehen die Frage auf, inwieweit Besucher bereit sind, persönliche Daten preiszugeben.

Die Krux bei der Personalisierung liegt jedoch weit weniger in der Technologie als vielmehr in der überlegten Modellierung. Heutige Content-Management-Systeme bieten bereits umfassende Möglichkeiten für Standardfunktionen zur individuellen Seitenaufbereitung. Auch die Anbindung eines automatischen Mail-Versands oder ein Chat-Modul eines Fulfilment-Partners lassen sich meist einfach bewerkstelligen. Doch vor dem Einsatz solcher Systeme steht eine umfassende Strategieplanung, die am Beispiel des Online-Wellness-Coach www.xx-well.com der XX-well AG aus Berlin beschrieben werden soll.

Das Angebot untergliedert sich in drei unterschiedliche Bereiche für die Zielgruppen Ernährungs-, Diät- und Fitness-Interessierte, innerhalb der wiederum jeder Stammnutzer individualisierte Inhalte finden kann. Für jeden Bereich gibt es sowohl einen öffentlich zugänglichen Teil der Site als auch einen geschlossenen Bereich, den der Besucher erreicht, nachdem er einen Fragebogen ausgefüllt hat.

Am Anfang eines Personalisierungsprozesses ist eine Reihe von Fragen zu beantworten: Wer sind meine Kunden? Was benötigen sie? Wollen sie Produkte kaufen, Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder suchen sie Support? Bei xx-well.com handelt es sich um eine Dienstleistung für körper- und ernährungsbewusste Aktivkunden, die sich in die Zielgruppe Ernährungs-, Diät- und Fitness-orientierte Nutzer einordnen lassen.

Im Rahmen der Vorüberlegungen ist gegebenenfalls neben der Konsistenz mit traditionellen Geschäftsprozessen auch die Integration in eine bereits bestehende Systemlandschaft zu adressieren, zum Beispiel die Anbindung an ein vorhandenes Warenwirtschaftssystem, um Track-and-Trace-Funktionen mit anbieten zu können. Letztere erlauben es einem Kunden, den Status seines Auftrags online zu erfragen. Ein klassisches Beispiel ist die Paketverfolgung bei Logistikdienstleistern wie UPS oder German Parcel Service. Bei allen strategischen Überlegungen muss jedoch stets der Kundennutzen das Leitmotiv bleiben.

Personalisierung kann nur auf Basis valider Kundendaten funktionieren. Solche Informationen lassen sich entweder explizit beim Kunden über Eingabeformulare einholen. Alternativ kann das Unternehmen implizite Informationen extrahieren, welche durch das Mitprotokollieren des Surf-Verhaltens des Kunden auf der Site gewonnen werden. So lässt sich in Erfahrung bringen, welche Links die Besucher auf der Online-Präsenz verfolgen. Welche Methode sich bei welcher Bekanntheitsstufe des Kunden (von anonym bis zu lang bestehender Kundenbeziehung) anbietet, veranschaulicht die Grafik ("Stufenmodell").

Grundsätzlich hat der kundenseitigen Preisgabe von Informationen immer eine Belohnung zu folgen, wie etwa der Zugang zu weiteren Informationsangeboten, die Aufnahme in einen E-Mail-Verteiler oder die Mitgliedschaft in Chat-Gruppen. Bei xx-well.com erhält der Fitness-Interessent nach Angabe seiner persönlichen Ziele, wie beispielsweise Muskelaufbau und Ausdauer, einen auf genau diese Ziele zugeschnittenen Trainingsplan.

Die komplette Modellierung der Personalisierungselemente stellt eine Gratwanderung dar. Einerseits sind schnelle Erfolge notwendig, um keine Marktanteile zu verlieren. Andererseits ist es extrem kostspielig, zu einem späteren Zeitpunkt hochgradig verschränkte Datenbestände konvertieren und neu konsolidieren zu müssen, weil die erste Lösung nicht langfristig tragfähig war. Sinnvollerweise sollten die Verantwortlichen versuchen, einen Quick Win, also einen schnellen Marketing-Erfolg, zu erzielen, dessen Kosten sich niedrig halten lassen, um den Ansatz im schlimmsten Fall später komplett verwerfen zu können. Dafür gewinnt man einen Zeitpuffer für die solide Modellierung der Gesamtabläufe. Mitunter können Daten, die bei Betrieb des Quick Win anfallen, zum Feintuning des späteren Modells herangezogen werden.

Frühzeitige PlanungDas Prozedere wird einfacher, wenn recht früh schon Überlegungen zur Realisierung mit einbezogen werden, beispielsweise über die Art und Weise der Aggregation von Daten. Es kann durchaus vorteilhaft sein, in Nachtjobs zu Zeiten geringer Systembelastung bereits auf Verdacht Daten vorzubereiten (Hash-Tabellen für Suchfunktionen bieten sich hier an), selbst wenn sich diese später als nicht erforderlich erweisen. Auch der Grad an Redundanz ist ein heikles Thema. Selbstverständlich sind stark anwachsende Datenbestände wenig erstrebenswert, andererseits sind manche Berechnungen auf Datenbanken zu langsam, um sie online durchführen zu können. Deshalb wäre zu überlegen, solche Berechnungen zeitlich zu entzerren und die Resultate zusätzlich mit abzuspeichern.

Für rein deterministische Verfahren zur Datenaggregation, also Finite State Machines, lassen sich gegebenenfalls regel- oder eventbasierende Prozesse des Web-Content-Management-Systems anlegen. Die vollständige Implementierung dieser Funktionen in Java hat auch bestechende Vorteile, ist sie doch damit unabhängiger von der eingesetzten Content-Verwaltung weniger abhängig. Häufig werden, zumindest in Kombination mit einem deterministischen Verfahren, auch stochastische Modelle verwendet. Unscharfe Methoden wie etwa Fuzzy Logic sind ebenfalls denkbar, und zwar als Alternative zu deterministischen Verfahren, wenn es um Funktionalitäten mit vielen Eingabeparametern geht.

Bei xx-well.com wird ein mehrstufiger Regelkreis (Kaskadenregelung) verwendet, um den Kunden behutsam zum selbst gesteckten Trainingsziel zu führen und ihn bei Verlassen seines Soll-Korridors zum Umsteuern zu bewegen. Falls ein Wert aus dem Ruder läuft, bekommt der Kunde zunächst motivierende Mails. Sollte dies nicht genügen, wird in zweiter Instanz eine One-to-One-Beratung vorgenommen. Hier kommt dann erstmalig eine reale Person aus dem Expertenteam der xx-well AG zum Einsatz. Im vom Benutzer zur Anmeldung auf der Site auszufüllenden Fragebogen sind motivationspsychologische Frageblöcke enthalten, die Datenmaterial einerseits für die Steuerung der automatischen Mails liefern, andererseits für den beratenden Experten notwendiges Hintergrundwissen zum Kunden liefern. Hier greifen explizite Methoden (Fragebogen) und implizite Verfahren (Monitoring von Verhaltensdaten) der Personalisierung ineinander.

Allerdings funktioniert dies nur, wenn der Besucher die richtigen Informationen liefert. Einer Untersuchung der Boston Consulting Group zufolge machen 27 Prozent der Nutzer einer Website falsche Angaben. So schön das Resultat der modellierten Personalisierung auch aussehen könnte: Gerade bei komplexen Abhängigkeiten steht und fällt die Gesamtfunktion mit der Datenqualität. Funktionen zur Validierung von Eingaben sind daher unerlässlich. Dies fängt bereits beim einfachsten Plausibilitätscheck an, der den flüchtigen Zahlendreher bei der Gewichtseingabe entlarvt. Manche Werte müssen das Weiterklicken zur nächsten Seite blockieren, weil spätere Berechnungen sonst falsche Resultate liefern. Andere Eingaben dürfen hingegen allenfalls hinterfragt werden ("Sind Sie sicher, dass Ihr Gewicht 180 Kilogramm beträgt"?), müssen aber zugelassen werden. Eine sublimere Aufgabe ist die inhaltliche Überprüfung von ausgefüllten Fragebögen. Hier ist echtes Expertenwissen aus der Befragungsmethodik notwendig. Eine Änderung der Ziele stellt regelungstechnisch eine weitere Herausforderung dar.

Da die Bewertung der motorischen Eigenschaft Ausdauer über die Zeit beobachtet wird, ergibt sich beim Wechsel der bevorzugten Sportarten unter Umständen ein neuer Maßstab: Sind 20 Minuten Fahrrad fahren dasselbe wie 20 Minuten rudern? Wie ist vorzugehen, wenn eine neue Massensportart in Mode kommt, die in der Auswahl nicht fehlen darf? Dies sind nur wenige Beispiele, die illustrieren, dass der Modellierungsaufwand nicht unterschätzt werden sollte, will man die Modellierung ernst nehmen.

Ein vollständiges Testen aller vorkommenden Konstellationen, insbesondere unter Berücksichtigung der zeitlichen Abhängigkeiten, ist in der Regel nicht zu bewerkstelligen. Wenn im Vorfeld eine saubere Trennung zwischen Online- und Offline-Berechnungen stattgefunden hat, ist zumindest in Teilmodulen eine Qualitätssicherung möglich. Eins ist sicher: Spätestens die Menge der Kunden wird Unzulänglichkeiten aufdecken. Deshalb ist es wichtig, dass nach ausgiebigem Testen auch Frühwarnmechanismen für den laufenden Betrieb etabliert werden.

Personalisierung als KreislaufDie Marketing-Kampagne war erfolgreich, die Systeme laufen stabil, die Kundenzahlen wachsen. Fertig? Leider nein. Langfristige Kundenbindung heißt langfristige, also personalisierte Kundenbeziehungen. Und eine Beziehung muss sich ganz wie im realen Leben weiterentwickeln. Daher muss der Site-Betreiber in regelmäßigen Abständen Auswertungen über die Entwicklung der Kundenprofile vornehmen, am besten in Kombination von Standardabfragen und weiter gehenden Ad-hoc-Auswertungen. Dabei sind Kennzahlen zur Kundenzufriedenheit von großem Wert.

*Manfred Hild ist Projekt-Manager bei der GFT Technologies AG in St. Georgen.

Szenario-Management

Von Marcus Rieks und Frank Ladwig*Der Softwarehersteller Art Technology Group (ATG) bietet in seiner Personalisierungssoftware "Dynamo" eine besondere Form der Interaktion mit dem Kunden. Die Szenario-Management-Funktion des Programms kann mehrere Interaktions-Workflows definieren. Verschiedene Szenarien unterstützen Unternehmen dabei, mit ihren Endkunden in direkter Abhängigkeit zu deren individuellem Surf-Verhalten zu interagieren. Je nach Aktion oder Reaktion des Site-Besuchers kann über einen Zeitraum von mehreren Wochen ein spezifisches Szenario durchgespielt werden. Ein "treuer" Kunde wird zum Beispiel mit Rabatten belohnt, ein unschlüssiger Interessent mit Sonderangeboten gelockt. Die Auswertung des Kundenverhaltens ergibt in jedem Fall ein Profil, auf das die Marketing-Abteilung reagieren kann. Während Personalisierung eine einzelne Interaktion mit dem Kunden darstellt, gestatten Szenarien eine mehrstufige Online-Kommunikation, deren Verlauf von der Kundenreaktion beeinflusst wird.

Komplett lernfähige System, die in der Lage sind, Kundenbedürfnisse zu erfassen und ständig zu aktualisieren, gibt es jedoch noch nicht. Firmen verfügen zwar über regelbasierende Personalisierungssysteme und betreiben komplexe Auswertungssysteme in Data-Warehouses, eine Rückkopplung zwischen Analyseergebnissen in die Personalisierungsfunktion findet derzeit noch nicht statt. Wäre eine solche Verknüpfung machbar, könnte das System Trends automatisch erkennen und Personalisierungsregeln formulieren.

*Marcus Rieks ist als Projekt-Manager E-Business, Frank Ladwig als Produkt-Manager bei Materna in Dortmund tätig.

Abb.1: Phasen der Datenaggregation

Bestimmte Prozesse, insbesondere rechenintensive, sollten zu Zeiten geringer Systemlast ablaufen können. Quelle: GFT

Abb.2: Stufenmodell der Personalisierung

Bei expliziter Personalisierung gibt der Surfer Daten ein, die implizite Variante wertet das Surf-Verhalten aus. Quelle: GFT