Auf der Suche nach dem kreativen Spinner

12.11.1982

NÜRNBERG - "Wird die Bundesrepublik Deutschland technisch ein Entwicklungsland?" Das war die provokante Frage, die die Nürnberger David Computer vor einem geladenen Publikum im altehrwürdigen Rittersaal der Nürnberger Burg diskutieren ließ. Als Sachverständige hatte der mittelständische DV-Anbieter den Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Reimar Lüst, und die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher für einen "Dämmerschoppen" über den Dächern der Altstadt gewinnen können.

Aus dem kommerziellen Bereich flankierten Horst Rosenbaum, Generalbevollmächtigter der Grundig-Stiftung, Ron Sommer, Geschäftsführer der Sony GmbH, und Gastgeber Michael Lanik, Geschäftsführer der ortsansässigen David Computer Vertriebs GmbH. Zum Advocatus Diaboli machte sich Werner Höfer, Fernsehmoderator und "Frühschoppen-Politiker" par excebence, der sich von seinem amerikanischen Kollegen, dem Journalisten Robert Ball, mit Informationen aus der transatlantischen Welt unterstützen ließ.

Höfers erste Frage, die reihum zu beantworten war: "Wie Stehen wir da?" Auf den kürzesten Nenner gebracht "beschissen", erklang die couragierte Antwort eines prominenten Diskutanten auf dem Podium. Von diesem Ausgangs- und Stimmungsniveau aus steigerte sich der teilweise harte Schlagabtausch noch erheblich. Auch wenn Formulierungen wie "alle Chancen liegen hinter uns" (Rosenbaum, Grundig) eher lähmten und die Ausgangsfrage zu bejahen schienen, kamen Ansätze zur Strukturierung - und zwar bezeichnenderweise von "japanischer Seite".

Sony-Geschäftsführer Sommer postulierte drei Bedingungen, unter denen Unternehmen innovativ und damit erfolgreich sein können: technologisches Spitzenkönnen, sozialpolitische "Power" und "Marketingkraft". Diese Faktoren zusammen genommen garantierten Erfolg. Und noch ein weiteres Rezept empfahl er den offensichtlich ratsuchenden Deutschen zur Nachahmung: Entwicklungsstrategien, die sich über zwanzig Jahre erstrecken. Als Beispiel nannte er den Videorecorder, zu dem in Japan bereits vor zwei Dekaden der Entwicklungsauftrag ergangen sei.

Horst Rosenbaum, Repräsentant des nicht nur im Video-Marktsegment von Sonys "Marketingpower" hart bedrängten Elektronikunternehmens Grundig, lancierte das Wort an Frau Hamm-Brücher mit der gezielten Frage nach einer speziellen "Industriepolitik". Die diskussionsgewohnte Parlamentarierin versuchte zunächst, die depressive Ausgangslage mit einem Hinweis auf das Phänomen "Self-fullfilling prophecy" zu entkrampfen. Sie warnte damit vor Pessimismus und entwarf erneut das in Europa schon oft beschworene Bild von arbeitsteiliger, internationaler Zusammenarbeit. Die Politikerin stellte die These auf: "Föderalismus macht eine einheitliche Konzeption (der Industriepolitik, Anm. d. Redaktion) unmöglich."

Mit diesem Hinweis konnte der Mann von Grundig nicht zufrieden sein, insbesondere weil die konstruktiven Anregungen von Ron Sommer auf einen fundierten Angriff auf das deutsche Topmanagement hinausliefen. Als Schwachpunkte nannte der deutsche Geschäftsführer der japanischen Sony-Niederlassung unter anderem zu geringe beziehungsweise falsche Aktivitäten im Ausbildungssektor und nicht ausreichende Bemühungen im Bereich "künstliche Intelligenz". Auch hier könnten die Japaner Vorbilder sein.

Schützenhilfe bekam der Sony-Mann wieder von der Dame im Ensemble. Hildegard Hamm-Brücher bestätigte seine Kritik indirekt mit der Förderung nach "mehr Konkurrenz für das staatliche Schulmonopol".

Moderationsakrobat Höfer brachte die sich zwischen Grundig und Sony "verbiesternde" Diskussion mit einer saloppen Zusammenfassung des bisher Vorgebrachten wieder auf den Punkt: Die Bundesrepublik wird kein Entwicklungsland, wenn, ja wenn "man" bei der Suche nach dem "kreativen Spinner" fündig wird.

Diesen kreativen Ansatz modifizierend, kam nun der Forschungsexperte Reimar Lüst endlich zu Wort. Er legte den Finger auf die Wunde.

"Drittmittelforschung" werde in der Bundesrepublik zu wenig betrieben, ferner gelinge die Umsetzung von Grundlagenforschung in die industrielle Anwendung viel zu selten. Außerdem seien die deutschen Wissenschaftler zu alt.

Rosenbaum sorgte im Anschluß an Lüsts Erklärungen wieder für eine Verengung des Horizonts, indem er vom Staat "Motivation" für mittlere Unternehmen forderte. Diese punktuelle Betrachtungsweise konterte Frau Hamm-Brücher mit dem desillusionierenden Satz: "Der Staat ist nicht fähig, den Übergang von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft zu schaffen", der intelligente Staat sei eine Vision.

Bei den vorwiegend skeptischen Stellungnahmen zum provozierten Szenario "Entwicklungsland Deutschland" gab es kein eindeutiges Ja oder auch Nein. Bemühte Ansätze, innovatorische Leistungen aus jüngster Vergangenheit aufzuzählen, provozierten immer auch gleich die berühmten japanischen und amerikanischen Gegenbeispiele.

Gastgeber Michael Lanik ließ sich von Werner Höfer nicht in die Enge treiben. Mit der Frage aller Fragen, nämlich welches technische Produkt wir denn überhaupt noch für unsere Glückseligkeit benötigten, antwortete er "Software".

Zwischen Spaß und Ernst war die letzte Aufforderung des Moderators Höfer an die eifrigen Wortfechter angesiedelt: zu artikulieren, was sie sich von der Forschung denn wünschen würden. Vom "Saft gegen Borniertheit" (Rosenbaum) bis zum "lnstant-Computer" (Höfer selbst), der den Traum einer Weitsprache durch Mikroelektronik verwirklichen könne, reichte die Liste.