Auf der Drupa '95 praesentiert "Focus" gleichzeitig in Chicago, Osaka und Duesseldorf gedruckt

15.09.1995

Von Horst-Joachim Hoffmann*

In Duesseldorf hiess es "Cheese" - und in Osaka war Minuten spaeter das Foto einer laechelnden Person in einer Sonderpublikation des Nachrichtenmagazins "Focus" aus dem Burda-Verlag bereits gedruckt. Die Moeglichkeiten der netzgestuetzten Kommunikation sorgen also auch im Bereich des Drucks fuer neue Denk- und Arbeitsweisen.

Statt "drucken und verteilen" heisst es jetzt "verteilen und drukken". Zur Drupa '95 in Duesseldorf praesentierte Agfa-Gevaert in einer Musteranwendung den zeitgleichen Druck einer Sonderausgabe von "Focus" in Duesseldorf und in Osaka (vormittags) sowie in Chicago (nachmittags).

Voll vernetzt praesentierten sich sowohl Agfa-Gevaert als auch die "Focus"-Redaktion in Muenchen. Und auch das Personal des Duesseldorfer Messestands sowie die Mitarbeiter von Eurographic Press waren in das Netzwerk eingebunden. Dieses "telekommunikative" Team sollte ein achtseitiges Special produzieren, vier Seiten davon mit aktuellen Fotos und Infos von der Veranstaltung. Ziel: Darstellung der Attraktivitaet des digitalen Druckens ueber Kontinente hinweg.

Der simultane Druck irgendwo auf der Welt ueber das digitale Print- System Chromapress war Mittelpunkt der Anwendung. "Zeitmaessig ideal war morgens eine Verbindung nach Japan und nachmittags in die USA", erlaeutert Frank Schelfaut, Leiter der Abteilung Internationales Marketing und Kommunikation Graphik von Agfa- Gevaert aus Mortsel bei Antwerpen.

Um den besonderen Erfordernissen einer Messepraesentation gerecht zu werden, engagierten die Belgier die LU-Group aus Antwerpen, die speziell im Bereich Video-Conferencing arbeitet: Das Publikum sollte ueber eine Visualisierung hautnah den "realen" Einblick erhalten.

Um die Sessions auch technisch anspruchsvoll und interessant zu gestalten, entschieden sich die Verantwortlichen bei Agfa fuer den Einsatz von ISDN. "Der ISDN-Netzaufbau ueber die Kontinente barg allerdings bezueglich der Standardisierung und der Protokollabstimmung der Uebertragung im Vorfeld einige Probleme", so Schelfaut - aber die Kosten einer festen Satellitenverbindung waeren auch bei Reservierung mit leichten Vor- und Nachlaufzeiten um ein Vielfaches hoeher gewesen.

Drei ISDN-Verbindungen fuer Video-Conferencing

Angemietet wurden so pro Session jeweils drei Basis-ISDN- Verbindungen mit sechs Kanaelen fuer das Video-Conferencing sowie ein Basis-ISDN-Anschluss zur Datenuebertragung - einmal zu Morisawa in Osaka und einmal zu American Colors in St. Charles bei Chikago. Fuer die Uebertragung der Druckdaten war nur ein Kanal notwendig. Probleme gab es beim Aufbau der Praesentation in der Abstimmung der Protokolle. ISDN innerhalb Europas laeuft dank DSS1-Standard und Euro-ISDN reibungslos - schwierig wird die Uebermittlung nach Amerika, da dort sowohl mit 64 KB/s als auch 56 KB/s gearbeitet wird.

In den zur Datenuebertragung vorgesehenen Apple-Macintosh-Rechnern wurden deshalb die Planet-ISDN-Karte von Ositron und die Transfer- Software "Easy Transfer" von Access Privilege installiert. Die Planet-Profile zur Kommunikation umfassen V.154 erweitert auf 57,6 KB/s, HDLC (High-Level Data Link Control) mit 64 KB/s, X.75 mit 64 KB/s und X.25 mit 64 und 128 KB/s. Die Anpassung der Transferrate auf 56 KB/s fuer die Datenfernuebertragung mit den USA ist moeglich. Uebrigens ist die Uebertragungsrate sowohl von der Telefongesellschaft, die in den USA die Verbindung herstellt, als auch von der dortigen ISDN-Gegenstelle vor Ort abhaengig.

Eingesetzt waren High-end-Macintosh-Power-PC8100 mit 110 Megahertz Taktrate. Die Systeme besassen 2 GB Festplatte, 128 MB Arbeitsspeicher und liefen unter dem Betriebssystem 7.5. Die Uebertragung der vier Seiten starken "Focus"-Sonderausgabe dauerte etwa 15 Minuten und verhielt sich waehrend der Messetage stabil, wie sich Schelfaut erinnert. Die fuer die Uebertragung zustaendigen Rechner waren gleichzeitig Bestandteil der digitalen Druckanlage in Duesseldorf.

Eine Konfiguration fuer das digitale Drucken besteht aus einem Macintosh-Arbeitsplatzrechner mit der fuer den Druck notwendigen "Chromapost"-Software als Job-Beschreibungsdatei, einem Chromapress-Server, ebenfalls auf Macintosh-Basis, Chromapress-RIP (Raster Image Processor) und Druckwerk-Controller zur Verarbeitung der Druckauftraege sowie der Chromapress-Druckeinheit. Zusaetzlich war auf der Drupa eine digitale Kamera, die Actioncam, in das System integriert.

Druckvorlagen in Form von Postscript-Files

Als Postscript-Files, ueber Scanner, Modem oder direkt aus der Kamera ueber eine SCSI-2-Schnittstelle, gehen die elektronischen Druckvorlagen und aufbereiteten Dateien wie Auftragsbeschreibung, Colortags, die OPI-Auszeichung (Open Prepress Interface) ueber Ethernet an den Chromapress-Server, der ueber das Programm "Chromawatch" die Warteschlangenverwaltung regelt. Zusaetzlich fungiert der Server als Druckmaschinen-Datenbank und ist fuer Farb- Management, automatisches Ausschiessen und Proof-Modi zustaendig. Im Server sorgt "Chromawrite" fuer die Aufbereitung der Druckbefehle, den OPI-Bildaustausch, Statusberichte, Archivierung und ermoeglicht Ferndiagnosen der weiteren angeschlossenen Systeme, insbesondere des RIP.

Im Betrieb gelangen die Daten ueber eine schnelle SCSI- Schnittstelle in den RIP, der die Farbenkonvertierung und - separation vornimmt, Farbdateien einbindet sowie die Dateien aufrastert. Die Druckjobs werden anschliessend auf Festplatte zwischengespeichert und fliessen je nach Arbeitsfortschritt ueber eine schnelle APIS-Schnittstelle (Agfa Protocol Interface Standard) vom RIP an den Controller der Druckeinheit, in der der eigentliche Druckvorgang stattfindet.

Das Zusammenbringen einer Seite und der Seitenumbruch mit Text und Bildern (auch der digitalen Kamera) erfolgte in der Software "Quark Xpress", bei der aber fuer den Druck mit Chromapress wie bei jedem normalen Scan eine Nachbearbeitung zu Rasterung und Tonerauftrag notwendig ist.

Um ueber Kontinente hinweg zu drucken, lassen sich zwei verschiedene Datensaetze ueber das Netz zur Gegenstelle uebermitteln: die Grobdaten aus Quark Xpress oder die sogenannten "gerippten" (feinbearbeiteten) Daten fuer den Printvorgang. Das digitale Drucken per Fernuebertragung eignet sich nach Schelfauts Worten vor allem fuer multinationale Unternehmen, die beispielsweise Prospekte, technische Anleitungen oder Kataloge international distribuieren muessen.

Einsparungen ergeben sich vor allem im Bereich des Transports der Druck-Erzeugnisse sowie auch in der Zeit von der Erstellung der Vorlage in der Zentrale bis zum Druck vor Ort. Zudem ist es je nach Konfiguration moeglich, bei einem Transport der Grobdaten eine nachtraegliche Weiterbearbeitung vor Ort durchzufuehren: Die froehliche japanische Bildunterschrift unter ein vor wenigen Minuten aufgenommenens Laecheln aus Duesseldorf ist also kein Problem.

* Horst-Joachim Hoffmann ist freier Fachjournalist in Muenchen.